Porträt

«Laisse rouler!»

Caroline Gürber leitet seit drei Jahren das HR von Greenpeace Schweiz. Die Non-Profit-Organisation mit rund 94 Vollzeitstellen ist seit 1984 in der Schweiz aktiv und hat das 30-jährige Jubiläum jüngst mit einem Umzug in die brandneue Genossenschaft Kalkbreite und einer Reorgani­sation ­kombiniert. Zeit zum Durchatmen? Weit gefehlt.

Im Sommer 2014 verlegte Greenpeace Schweiz ihren Geschäftssitz vom Zürcher Stadtkreis 5 in den Neubau der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich-Wiedikon. Durch die konkrete Umsetzung der Vision einer 2000-Watt-Gesellschaft wollen die Genossenschafter hier den Beweis antreten, dass der Energieverbrauch pro Quadratmeter bis zu 70 Prozent gesenkt werden kann.

Um das Einsparungspotenzial auszureizen, hat sich Greenpeace auch für die Einführung einer neuen Arbeitsform entschieden: «Wir haben uns verabschiedet von einem eigenen Arbeitsplatz. Darum auch die langen Tische», erklärt Caroline Gürber, während sie durch die neuen «Open Offices» führt. «Es hat niemand mehr einen eigenen Arbeitsplatz, auch die Geschäftsleitung nicht», fährt Gürber fort, um etwas kleinlaut, aber lachend anzufügen: «Ausser ich. Ich geb es zu.» – Eine Extrawurst für die HR-Frau? «Alle Mitarbeitenden sollten wissen, wo sie einen ruhigen Ort mit einer vertrauensvollen Atmosphäre finden», antwortet Gürber. Das Resultat der Mitarbeitendenbefragung zur Arbeitsplatzorganisation sei jedenfalls eindeutig ausgefallen: «Im Endeffekt war sich die grosse Mehrheit einig: Wir können nicht von anderen Suffizienz fordern und gleichzeitig alle an einem eigenen Arbeitsplatz festhalten. Vor allem, weil die meisten Teilzeit arbeiten und dann der Arbeitsplatz leer bleibt.»

Teilzeit-Workaholic

Teilzeit-Arbeitsmodelle sind bei Greenpeace Teil der Philosophie. «Bei uns arbeiten praktisch alle Teilzeit auf der Basis einer 40-Stunden-Woche, die meisten zwischen 50 und 80 Prozent», erläutert Gürber. Bei ihr ist die Ausgangslage ein 90-Prozent-Pensum ist, welches sie aktuell aber auf 100 Prozent aufgestockt hat. «Das liegt am Umzug und an der soeben umgesetzten Reorganisation. Mein Pensum sollte sich auch wieder normalisieren.»

Sie habe schon immer gern viel gearbeitet, so Caroline Gürber, die sich, seit ihrem 15. Lebensjahr, ihr eigenes (Zigaretten-)Geld verdient, als Gymnasiastin zunächst in einem Blumengeschäft am Bahnhof Oerlikon, später in diversen Temporärjobs. Würde sie sich als Workaholic bezeichnen? «Man kann es so nennen. Ich finde den Begriff aber nicht wahnsinnig passend. Manchmal verliere ich mich halt einfach in der Arbeit, weil ich es gerade so spannend finde.»

«Ich bin verantwortlich für das Zeitmanagement unserer Mitarbeitenden. Es gilt, die rechtlichen und gesundheitlichen Aspekte zu berücksichtigen. Was das eigene Arbeitszeitmanagement betrifft, bin ich kein ideales Vorbild. Aber ich bin sehr gut darin, andere zu motivieren, es besser zu machen», sagt Gürber und lacht herzhaft. Wenn wir schon bei den Schwächen sind: Gibt es weitere Schwächen neben der Arbeitswut? «Nein, sonst bin ich perfekt», lacht Gürber. «Ich könnte sicher noch weitere Schwächen benennen, aber ich möchte es so stehen lassen. Auch als Vorbild für Frauen. Denn nach meiner Erfahrung sind Frauen üblicherweise viel besser darin, ihre Schwächen aufzuzählen als ihre Stärken – im Gegensatz zu Männern.»

Zur Person

Caroline Gürber (47) ist in Zürich zur Welt gekommen und in Oerlikon als Tochter eines Kranführers mit zwei Geschwistern in einer Dreizimmerwohnung aufgewachsen. Auf den Tisch kam, was der Schrebergarten der Eltern hergab. Während der «bewegten» 80er-Jahre besucht sie die Kantonsschule und arbeitet nach der Matur in diversen Temporärjobs, womit sie auch ihr Psychologie- und BWL-Studium finanziert. 2004 steigt Gürber als Mutterschaftsvertretung in die Newplacement-Firma jobtv medienwerkstatt ein, die sie 2011 als Co-Geschäftsführerin verlässt, um bei Greenpeace die HR-Leitung anzutreten, wo sie heute als beratendes Mitglied in der Geschäfts­leitung sitzt. Zurzeit (noch) ohne Stimmrecht.

Vom Reiz der Non-Profit-Welt

Aber alles der Reihe nach. Wie ist Caroline Gürber eigentlich bei Greenpeace gelandet? «Was mache ich nun mit meinem Leben?», habe sie sich vor sieben Jahren gefragt, als sie die 40 überschritten hatte. «Ich habe mir lange überlegt, was ich will, was ich kann und wie das wohl zusammenpasst.»

Nach einer Karriere, die sie über verschiedene Temporärjobs, ein Studium der angewandten Psychologie und Betriebswirtschaft von der Mutterschaftsvertretung zur Co-Geschäftsleiterin einer Newplacement-Firma führt, gesteht sie sich ein: «Ja, ich will jetzt ins HR.» Aber nicht irgendwohin. «Schon gar nicht in einen grossen Konzern und am liebsten in eine Non-Profit-Organisation.»

«Als ich anfing, war ich alleine verantwortlich für alle HR-Themen. Ausser der Payroll, die in der Buchhaltung ange­siedelt ist, war alles bei mir. Recruiting, Weiterbildung, Mit­arbeitenden-Performance-Management, Organisationsentwicklung, Führungskreisentwicklung – alles, tutto, das gesamte Programm.» Inzwischen hat Gürber das HR um zwei Mitarbeiterinnen aufgestockt: eine für die Personalentwicklung und eine als HR-Officer. «Beide Kolleginnen kommen aus der Profit-Welt, eine aus dem Consulting-Sektor und eine aus der Werbung. Während der Planung der Reorganisation habe ich gesagt, wir brauchen bei einem solchen Umzug und so vielen Change-Projekten mehr HR-Ressourcen.»

Dabei ist ihr durchaus bewusst, dass das für eine Organisation dieser Grösse ungewöhnlich viele Stellenprozente sind. Zumal bei Greenpeace jede Schaffung einer neuen Stelle sorgfältig geprüft wird, da alle aus Spendengeldern finanziert werden. «Die Geschäftsleitung hat die Stellen im HR für die Transformationsphase bis 2015 genehmigt. Danach schauen wir, was es wirklich braucht. Es ist nicht das Ziel, eine möglichst grosse HR-Abteilung aufzubauen. Das ist Unsinn. Man kann auch zu viel HR haben.»

Apropos Löhne: Wie hoch ist eigentlich das Personalbudget? «Unser Personalaufwand beläuft sich auf insgesamt 9,6 Millionen Franken für 94 Vollzeitstellen. Dies beinhaltet auch Sozialleistungen sowie Personalentwicklungs- und -beschaffungskosten.»

Wenn Löhne aus Spenden stammen

Die Salärpolitik von Greenpeace steht unter besonderer Beobachtung, da die Löhne aus Spendengeldern finanziert werden. Deshalb wird die Frage nach dem Umgang mit Spendengeldern intern immer wieder diskutiert. «Wir nehmen keine Gelder an von politischen Parteien oder von Firmen», erklärt Gürber. «Das ist einer unserer Core Values.»

Kürzlich erschütterte ein Skandal Greenpeace International, weil ein Mitarbeiter Währungsgeschäfte tätigte, die zu einem hohen Verlust führten. Welche Lehre zieht Caroline Gürber daraus? «Natürlich war dieser Vorfall ein Fehler, er ist gravierend und wir nehmen ihn sehr ernst. Trotzdem: Wo Menschen arbeiten, können Fehler passieren. Aus HR-Sicht ist es von entscheidender Bedeutung, welche Fehlerkultur in einer Organisation vorherrscht und wie man aus Fehlern lernt.»

Punkto Löhne herrscht bei Greenpeace übrigens Transparenz: «Die Lohnliste liegt bei uns auf dem Intranet und jeder kann nachschauen, wer wie viel verdient», verrät Gürber. «Das ist aussergewöhnlich. Ich habe noch nie so wenige Diskussionen betreffend Lohnverhandlungen führen müssen. Wir haben zudem eine sehr kleine Lohnschere. Der Faktor ist 1:3 vom tiefsten zum höchsten Lohn.»

Natürlich lägen die Löhne im Durchschnitt unter dem Marktwert, wenn man die Gesamtwirtschaft betrachte. «Im Vergleich zu anderen Non-Profit-Organisationen sind unsere Löhne aber wettbewerbsfähig.» Bei internen Diskus­sionen gebe es verschiedene Haltungen: «Von ‹eigentlich sollte man gar nichts verdienen, es ist ein Privileg, für Greenpeace arbeiten zu dürfen› über ‹wir wollen alle den gleichen Lohn, egal welche Funktion› bis hin zu ‹das ist ein Job wie jeder andere› ist alles vertreten.» Gerade bei der Rekrutierung von Fundraising-Profilen berge das eine gewisse Herausforderung: «Wir müssen Leute finden, die nicht über das Geld, sondern über andere Anreize motiviert werden. Deren gibt es zum Glück einige.»

Klischee-Korrektur

Grundsätzlich nehme sie zurzeit durchaus wahr, dass die Leute verstärkt eine sinnerfüllte Arbeit suchen, was sich auch in der gestiegenen Zahl an Bankern abzeichne, die sich bei Greenpeace bewerben. Es sei aber nicht so, «dass man bei Greenpeace einfach nur das Gutmenschentum leben kann», stellt Gürber klar: «Wenn jemand das Gefühl hat, Greenpeace sei der einzige Ort, wo er oder sie die Welt retten kann, dann ist man hier nicht richtig.» Obwohl sie durchaus finde, dass bei Greenpeace «alles brillante, sehr qualifizierte und engagierte Menschen arbeiten», sei es nicht so, «dass wir besser sind als der Rest der Welt, überhaupt nicht».

Und mit einer Anekdote räumt sie auch gleich mit einem weiteren Klischee auf: «Wenn ich Lernende rekrutiere, veranstalte ich Schnuppertage. Nach dem letzten Schnuppertag hab ich die jungen Leute einzeln zu mir gebeten und sie gefragt, was sie nun gelernt haben. Eine hat gesagt, sie habe jetzt gelernt, dass da nicht nur Hippies arbeiten. Dann habe ich geantwortet: ‹Genau so ist es›, erzählt Gürber und lacht. «Falsche Bilder bieten die Chance, dass man miteinander ins Gespräch kommt und diese korrigieren kann.»

Kein Kampagnen-Kolonialismus

«Der Hauptgrund, wieso wir die Reorganisation in Angriff genommen haben, liegt darin, dass wir international vernetzter und effektiver zusammenarbeiten wollen.» Dies beinhalte auch die Anpassung der Strukturen in der Schweiz. So versucht man bei Greenpeace derzeit die Kampagnenarbeit zu dezentralisieren. «Man gibt die Verantwortlichkeiten für die einzelnen Kampagnen dorthin, wo die Probleme sind», erläutert Gürber, «die Regenwaldthematik zum Beispiel nach Brasilien.»

Obwohl es auch vor der eigenen Haustür immer noch genug Umweltprobleme gebe, seien die grössten Probleme aktuell in den sich schnell entwickelnden Ländern wie zum Beispiel Indien, China oder Brasilien anzutreffen. «Dort stärken wir derzeit unsere Büros, weil diese jetzt am Wachsen sind.» Es sei aber definitiv nicht das Ziel, «dass wir dorthin arbeiten gehen, um diese Länder quasi zu kolonialisieren und zu sagen, wie es zu laufen hat». Vielmehr laute das Ziel zurzeit, Know-how aufzubauen. «Wir kommunizieren sehr viel mit Videocalls und Videokonferenzen.» Natürlich müsse man sich manchmal auch sehen und könne nicht alles virtuell lösen. «Wir arbeiten deshalb auch mit Secondments, schicken also jemanden für ein halbes Jahr dorthin oder jemand kommt hierher, um ein halbes Jahr bei uns zu arbeiten.»

Widerstand als Lebensaufgabe

Die Herausforderung bestehe darin, «dass die heutigen Umweltprobleme nicht vor Landesgrenzen Halt machen», resümiert Gürber. «Man kann das nicht einfach abgrenzen, nach dem Motto ‹in der Schweiz lösen wir die Schweizer Probleme›.» Vielmehr gehe es darum, «globaler und vernetzter miteinander zu arbeiten».

Insofern sei auch ihr Lebensmotto zu verstehen: «‹Laisse rouler› hat für mich damit zu tun: Man muss unterscheiden können, wann im Leben der richtige Zeitpunkt ist, vorwärtszugehen, Widerstand zu leisten oder die eigenen Energien umzuleiten. Das ist eine Lebensaufgabe.»

Greenpeace

Greenpeace setzt sich seit 1971 mit teils spektakulären Aktionen «für eine ökologische, soziale und gerechte Gegenwart und Zukunft» ein. Global ist die Umweltschutzorganisation in 40 Ländern aktiv. Dabei wird Greenpeace von rund 3000 Mitarbeitenden, Tausenden von Freiwilligen und 2,9 Mil­lionen Spenderinnen und Spendern weltweit unterstützt. Greenpeace Schweiz weist bei 94 Vollzeitstellen einen Personalaufwand von 9,6 Millionen Franken aus. Mit rund 160 000 Spenderinnen und Spendern ist Greenpeace Schweiz der weltweit viertgrösste Geldgeber und konnte 2013 mit knapp 28 Millionen einen Spendenrekord erzielen.

 

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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