Potenzialanalyse

Leitfaden: Worauf Unternehmen 
bei Potenzialanalysen achten sollten

Potenzialanalysen sind strategische Tools im HR: Mit ihrer Hilfe wird über interne Karrieresprünge ebenso entschieden wie über die Besetzung von Schlüsselpositionen. Diese wichtigen Entscheidungen erfordern eine hohe Qualität der eingesetzten Methoden und die richtige Gestaltung der Prozesse.

Potenzialanalysen oder Management Audits werden in der unternehmensinternen Personaldiagnostik und -beförderung, aber auch bei der Auswahl externer Bewerber angewendet. Aus methodischer Perspektive gibt es eine Vielzahl von Qualitätsanforderungen, die erfüllt sein müssen, damit das Ziel – die Identifikation künftiger Leistungsträger – auch erreicht werden kann:

  • Anforderungsbezug
    
Ohne detaillierte Kenntnisse der Anforderungen einer Position kann kein wirksames Verfahren der Personaldiagnostik entwickelt oder eingesetzt werden. Erst Methoden der Anforderungsanalyse helfen zu erkennen, was anforderungsrelevant ist und gemessen werden muss. «Kompetenzmodelle» sind für diese Zwecke meistens keine gute Basis, weil sie oft zu allgemein gehalten sind und eher das Unternehmensleitbild als die wirklichen Anforderungen beschreiben.
  • Klar definierte Prozesse
    
Ein verbindlicher Prozess stellt sicher, dass die Methoden korrekt angewendet, ausgewertet und die richtigen Entscheidungen getroffen werden – das erfordert auch klare Verantwortlichkeiten und Regeln, wie mit Diagnoseergebnissen umgegangen wird.
  • Multimodale Diagnostik
    
Für eine gute Erfolgsprognose müssen alle Zugangswege der Personalpsychologie berücksichtig werden: biografische Diagnose, um bisherige Leistungen in die Beurteilung künftigen Potenzials einbeziehen zu können; simulationsbasierte Diagnostik, um das aktuelle Leistungsvermögen beobachtbar zu machen (etwa Rollenspiele); die eigenschaftsbasierte Diagnostik, um stabile und anforderungsrelevante Personenmerkmale zu erfassen (kognitive Fähigkeiten, Leistungsmotivation, Integrität). Nur eine Kombination dieser drei Ansätze ermöglicht eine Potenzialerkennung ohne blinde Flecken. Eine wichtige Ursache für die geringe prognostische Validität von Assessment Center liegt darin, dass der Simulationsansatz zu stark berücksichtigt, auf eigenschafts- und biographieorientierte Diagnostik jedoch oft verzichtet wird. Das Multimodale Interview MMI® ist ein Verfahren, in dem alle drei diagnostischen Zugänge in einem Instrument vereint sind, und deshalb ein prognosestarkes Instrument.
  • Wissenschaftlich-psychometrische Gestaltung
    
Fachpsychologische Standards schreiben vor, dass alle eingesetzten Methoden objektiv, messgenau (reliable) und vor allem prognostisch valide sein müssen. Fachpsychologen können anhand dieser Merkmale prüfen, ob die Verfahren auch leisten, was sie versprechen. Im Zweifel muss dies durch eine Untersuchung mit unternehmens
internen Daten überprüft werden.
  • 
Verzicht auf unwissenschaftliche Methoden
    
Nur etwa zehn Prozent der am Markt angebotenen Tests und Verfahren erfüllen wissenschaftliche Qualitätsansprüche. Ohne Expertenwissen hinzuzuziehen, fällt man schnell auf Werbebroschüren herein. Pauschal lässt sich sagen: Finger weg von Typentests, Postkorbaufgaben und Gruppendiskussionen – diese Methoden haben sich wissenschaftlich nicht bewährt und bergen mehr Probleme als Chancen.
  • Fairness und Akzeptanz
    
Es ist eine ethische Verpflichtung der Anwender von Instrumenten der Personaldiagnostik, nur Methoden einzusetzen, die fair sind und von den Betroffenen akzeptiert werden. Tests und andere Verfahren müssen zudem einen klaren Berufsbezug zur angestrebten Position aufweisen und dürfen nicht als allgemeinpsychologisches «Röntgen» erlebt werden.
  • Qualifizierte Anwender
    
Neben dem Einsatz standardisierter Verfahren ist die Auswahl geeigneter Diagnostiker und die Schulung aller Anwender eine Grundvoraussetzung, um Diagnosemethoden erfolgreich einzusetzen. Dazu gehört aber auch, dass internen Experten Gehör geschenkt wird und die Verantwortung für HR-Entscheidungen sachlichen und nicht politischen Kriterien folgt.

Grundsätzlich gilt: Weder Personalauswahl noch -entwicklung funktionieren von der Stange. Ein Instrument im Sinne von «one fits all» kann es nicht geben – zu unterschiedlich sind die Anforderungen an verschiedene Positionen und unternehmensspezifische Bedürfnisse. Für die Praxis bedeutet dies: Es braucht eine massgeschneiderte Entwicklung sowohl von Prozessen als auch von Verfahren der Potenzialanalyse. Dabei können diese als dauerhaftes Instrument des HR-Managements eingeführt werden und das Performance Appraisal um wichtige Informationen ergänzen.Oder sie können rein anlassbezogen und fallweise zum Einsatz gelangen.

Häufig wird für anlassbezogene Potenzialanalysen der Begriff des Management Audit verwendet. Diese werden meist bei umfangreichen Reorganisations- oder Freisetzungsmassnahmen, aber auch M&A-Prozessen durchgeführt. Insbesondere bei Übernahmen oder Fusionen muss frühzeitig geklärt werden, welches Potenzial eine Führungsmannschaft für die künftigen Aufgaben besitzt oder wer an Bord des neuen Management-Teams (noch) benötigt wird. Solche Informationen müssen nicht nur rechtzeitig erhoben, sondern sollten durch eine fundierte, auf die künftigen Aufgaben ausgerichtete Potenzialanalyse abgesichert werden. Gerade hier passieren oft Fehler: Kommt eine Übernahme über Nacht, bleibt keine Zeit mehr für einen Audit-Prozess.

Gut beraten ist daher, wer die Potenzialanalyse zum Regelprozess macht und stets den Überblick über Potenzialträger behält. Das hilft auch für die tägliche Arbeit, denn nirgends gibt es eine renditestärkere Investition als in die richtigen Mitarbeitenden und in ein kompetentes Management. Deshalb haben Potenzialanalysen strategische Bedeutung und müssen hierarchisch entsprechend positioniert werden. Schliesslich kann ein vernünftiges System der Potenzialanalyse nicht nur nachhaltig den Unternehmens
erfolg sichern, sondern auch die Rolle von HR als Business Partner und Bestandteil der Wertschöpfungskette unterstreichen.

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Andreas Frintrup ist geschäftsführender Gesellschafter der S&F Personalpsychologie Managementberatung GmbH (www.personalpsychologie.de)  und Vorstand der HR Diagnostics AG. Gemeinsam mit dem Personalpsychologen Prof. Dr. Heinz Schuler berät er auch Schweizer Unternehmen in Sachen Personalauswahl, E-Recruiting und E-Assessment, Potenzialanalyse und Performance 
Appraisal.

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