Macht: Omnipräsentes Tabu-Thema
«Macht einsetzen? Nur im Notfall!», «Ich bin nur ein Rädchen im Getriebe», «Ich führe ohne Einsatz von Macht», «Für mich ist Macht ein einfältiger Begriff!». Dies sind Aussagen von gestandenen Führungspersonen, Männlein wie Weiblein. Die Frage nach dem Einsatz von Macht löst in der Regel eher starke Reaktionen aus – eine Annäherung an ein Mysterium.

Jede Organisation hat Befehlshaber und –empfänger. Besonders stark ausgeprägt ist das Machtgefälle im Militär. (Bild: Keystone)
Lebensbegleiterin Macht
Wir sollten einen weniger verkrampften Zugang zum Begriff «Macht» pflegen und ihn immer wieder von Neuem diskutieren und klären. Schon nur deswegen, weil er uns alle betrifft. Wir sind dem Mysterium Macht jeden Tag unseres Lebens ausgesetzt, müssen damit leben und Macht mitunter auch selber ausüben.
Wir haben Macht bereits als Kleinkinder erlebt, waren ihr ausgeliefert und wir kennen auch das Gegenstück: Ebenfalls im Kindesalter lernen wir, wie es sich anfühlt, Macht zu besitzen.
Als Erwachsene erleben und erleiden wir Macht weiterhin: Wir sind Untergebene, Teammitglieder, Beobachter, Zeitungsleser, Steuerzahler, Vereinsmitglieder, Mieter. Und wir machen Gebrauch vom Werkzeug Macht: Als Partner, Eltern, Idole, Lehrer, Meinungsmacher, Eigentümer, Vorgesetzte, Experten, Beamte, Verwaltungsräte, Offiziere, Berater, Politiker, Reiche, Journalisten, Schriftsteller, Kleriker, und so weiter und so fort; die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.
Macht - ein Tabu
Mit der Macht ist es aber wie mit dem Sex: Alle wissen, dass es ihn gibt und er einen wichtigen Platz im Leben einnimmt, aber offen darüber sprechen? Lieber nicht. Genauso verhält es sich mit dem Begriff «Macht». Im Filmklassiker «Star Wars» war die Figur des schwarz gekleideten Darth Vader mit Helm und keuchender Grabesstimme die perfekte Verkörperung «der dunklen Seite der Macht». Für die meisten Menschen ist Macht tatsächlich etwas Dunkles, Diffuses. Macht ist anrüchig, unanständig, hat sogar etwas Böses und Gefährliches an sich. Darüber zu sprechen, «gehört sich nicht». Macht ist ein Tabu.
Eine einfache Erklärung dazu: Man soll gar nicht darüber sprechen. Ein Tabu ist immer auch ein Mittel, das zur Aufrechterhaltung bestehender Verhältnisse dient. Solange über etwas nicht gesprochen wird, kann auch nicht kritisch darüber gesprochen werden, vor allem nicht öffentlich. Bestehende Machtverhältnisse können so auch nicht kritisch hinterfragt, gar angezweifelt werden. Es können auch keine Veränderungen vorgeschlagen werden. Was in diesem Zusammenhang auch auffällt: Macht kommt als Thema nach wie vor in keiner Managerausbildung vor. Dabei ist es erstens ein ausserordentlich spannendes Thema; zudem wäre es für Führungskräfte wichtig, egal welcher Hierarchiestufe zugehörig, darüber Bescheid zu wissen: Profis müssen die Instrumente beherrschen, auf denen sie spielen.
Was genau ist eigentlich «Macht»?
- Macht ist in ein Instrument, das zur Durchsetzung, Aufrechterhaltung oder der Veränderung von Interessen und Verhältnissen dient. Macht kann beschützen, bewahren. Sie hat auch eine gestaltende Seite: Macht einzusetzen kann heissen, kreativ zu sein, zu erschaffen, zu bewegen.
- Macht an sich ist ein wertfreier Begriff – sie ist weder gut noch schlecht. Was «gute» (vernünftiger Einsatz von Macht) von «schlechter» (Machtmissbrauch) unterscheidet, sind die Ziele, die mit dem Einsatz von Macht verfolgt werden.
- Macht ist nie neutral: Damit werden immer Interessen verfolgt. Wer Macht anwendet, geht in die Handlung. Machtgebrauch ist unerlässlich, um überhaupt handeln zu können: Sie ist ein notwendiges Instrument zur Durchsetzung von Entscheiden und Abmachungen in jeder Organisation, sei es nun eine Firma, eine Schule oder die Familie. Organisationen sind ohne den Einsatz von Macht gar nicht steuerbar. Setzt eine Führungsperson die ihr zur Verfügung stehende Macht nicht ein, werden andere das Machtvakuum füllen.
- Macht ist vielmals unsichtbar und nur erschwert zu kontrollieren. Sie muss daher formell und inhaltlich verteilt werden und es bedarf der regelmässigen Überprüfung, vor allem was die Verhältnisse von Macht und deren Anwendung angeht.
- Es existieren keine «machtfreien» Organisationen. Jede Organisation hat eine Hierarchie, ob sie nun flach oder steil ist, spielt keine Rolle. Jede Organisation hat Befehlshaber und –empfänger, hat grössere oder kleinere Machtgefälle sowie nicht formalisierte Machtverhältnisse.
- Machtverhältnisse entstehen «automatisch», sobald Menschen gezwungen sind, zusammen zu leben, sei es als Schicksalsgemeinschaft oder von den Betroffenen beabsichtigt. Dies kann durch physische Vorteile geschehen, durch Wissens- oder Informationsvorsprung, durch Regelwerke oder durch die Verfügbarkeit von bestimmten Gegenständen oder anderen Vorteilen. Macht kennzeichnet soziale Beziehungen.
- Klare Machtverhältnisse bieten Sicherheit einer minimalen Ordnung sowie ein gewisses Mass von Stabilität. Aber: Der Einsatz von Macht wirkt auf die Betroffenen freiheitsbeschränkend - daher ist jeder Machtgebrauch grundsätzlich und kritisch zu hinterfragen.
- Es existieren verschiedene Durchsetzungsformen von Macht und unterschiedliche Formen zur Stabilisierung von Machtverhältnissen. Diese zu kennen und einordnen zu können, ermöglicht die Analyse von Verhältnissen und damit (unter Umständen) auch deren Veränderung.
- Die Bildung von Macht kann organisiert werden. Eine Gruppe muss sich dazu nicht einmal in numerischer Mehrheit befinden. Aber mit Hilfe eines hohen Gruppenzusammenhaltes und der konsequenten Verfolgung eines gemeinsamen, definierten Zieles kann Macht generiert werden.
Chance und Risiko
Die Ausübung von Macht in jeder Organisation ist notwendig und unvermeidlich; in allen Führungs- und Veränderungsprozessen spielt Macht eine entscheidende Rolle. Veränderungsprojekte scheitern selten an Geld oder Sachfragen, sondern am «Kräftemessen» zwischen den zentralen Exponenten. Die daraus entstehenden Konflikte und Auswirkungen können riesige Ausmasse annehmen und immense Schäden in materieller und menschlicher Hinsicht anrichten, das Firmenimage kann ruiniert werden, mitunter verschwindet gar eine ganze Unternehmung, weil Macht nicht oder falsch eingesetzt wurde.
Insofern lohnt es sich in jedem Fall, wenn mit Macht professionell und zweckmässig umgegangen werden kann. Dazu muss der Begriff jedoch entkrampft und offener diskutiert werden. Zudem – wie bereits eingangs erwähnt – es geht uns alle etwas an.