Der Arbeitsplatz der Zukunft

Massanzug statt Massenware

Verschiedene Tätigkeiten und Arbeitsprozesse erfordern verschiedene Räumlichkeiten. 
Der Arbeitsplatz der Zukunft ist daher nicht ein eigener Tisch und Stuhl, sondern eine Bürolandschaft, in der die Menschen je nach Aufgabe ihren aktuellen Stand- beziehungsweise Sitzort wählen.

In die Zukunft zu schauen ist immer aufregend, aber man muss unterscheiden zwischen Trends, die auf Fantasien basieren, und Trends, die eine Fortsetzung schon bekannter Entwicklungen sind. Wir können die demografische Entwicklung über drei Jahrzehnte vorhersagen. Die Menschen werden in unserer zivilisierten Welt immer älter. Auch eine steigende Geburtenrate kann das nicht mehr ausgleichen. Der «War for Talents» hat schon begonnen. Im Jahr 2020 – das ist in 408 Wochen – wird jeder dritte Arbeitnehmer über 50 Jahre alt sein, aber nur noch jeder fünfte unter 30. Wenn wir unsere Wirtschaftsleistung und Sozialsysteme erhalten wollen, müssen die Menschen mit einer längeren Lebensarbeitszeit rechnen. Das wird aber nur gelingen, wenn sie bis ins hohe Alter gesund bleiben.

Gegenwärtig erleben wir jedoch das Gegenteil. Psychische Erkrankungen sind in den letzten 12 Jahren um 80 Prozent angestiegen; sie sind die häufigste Ursache für Frühverrentung. 33 Prozent begründen den Ausstieg aus dem Arbeitsleben mit Depressionen. Je mobiler die Arbeitswelt wird, je grösser die Ansprüche an Erreichbarkeit (entgrenzte Flexibilität) sind, desto mehr braucht der Mensch Rückzugsmöglichkeiten während der Arbeitzeit. Menschen können ihr Gesundheitspotenzial nur dann entfalten, wenn sie auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss nehmen können. Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit und die Arbeitsbedingungen organisiert, sollte daher eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein. 

Eine dritte Auswirkung auf die Arbeitswelt ist die Veränderung der Gesellschaftsstruktur durch das Aufkommen neuer Lebensmodelle und -formen im Rahmen einer zunehmenden Individualisierung. Die Zahl der Eheschliessungen geht seit Anfang der neunziger Jahre in Deutschland zurück. 2006 kamen auf 374 000 neue Ehen 191 000 Scheidungen. Alleinerziehende machen derzeit 18 Prozent aller Familien aus. In acht Prozent aller Familien leben die Partner ohne Trauschein. Bei etwa der Hälfte aller Paare mit Kindern gehen beide Partner arbeiten. Die Arbeitswelt hat all diese Entwicklungen noch nicht genügend berücksichtigt. Es fehlen neue Arbeitsmodelle, die die Erwerbsarbeit neben die anderen Arbeitsformen wie generationenübergreifende Arbeit, Haus- und Familienarbeit stellen und als Teil des Lebens integrieren. Das verlangt mehr als nur flexible Arbeitszeiten. Es gilt eine bessere Balance der verschiedenen Lebensbereiche zu finden: eine Life Domain Balance.

Hinzu kommen Trends, die aus einer Neuorientierung der Gesellschaft resultieren. Zu nennen sind hier unter anderem Phänomene wie Social Media (immer und überall «online sein»), die LOHAS-Bewegung, die einen gesunden und umweltverträglichen Lebensstil propagiert, sowie die steigende Energieverknappung und Umweltbelastung, die sich in Begriffen wie Green Buildings und Green IT zeigt. Diese globalen Trends werden zukünftig die Arbeitswelt und die Lebensqualität jedes Einzelnen prägen.

Vier Fünftel aller Ideen entstehen durch ungeplante Kommunikation 

Jedes Unternehmen lebt von Ideen und ihrer erfolgreichen Umsetzung. Ideen sind die wichtigste Ressource für die Zukunft. Denn Kreativität und Innovationskraft sind entscheidende Erfolgsfaktoren im globalen Wettbewerb. Und zwei Drittel der Wertschöpfung in Westeuropa wird heute an Büroarbeitsplätzen erwirtschaftet. 

Die heute noch mehrheitlich geltenden Organisationsformen im Büro stammen jedoch aus der Industriegesellschaft. Unternehmen waren damals wie Pyramiden hierarchisch strukturiert. Positionsgebundene Machtbefugnisse und Statussymbole kennzeichneten sie. Territorialität – «mein Büro» – war ein wichtiger Aspekt innerbetrieblicher Macht. Ältere Bürogebäude aus der Zeit der Industrialisierung sind daher gekennzeichnet durch eine architektonische Gestaltung, die die Wichtigkeit und Bedeutung der darin arbeitenden Menschen unterstreichen sollte. Grosse Räume und imposantes Mobiliar spielten dabei eine grosse Rolle. Bei der Planung neuerer Bürogebäude fanden dann vor allem technische Aspekte und zunehmend die aufkommende Informations- und Kommunikationstechnologie Berücksichtigung.

Heute ist der arbeitende Mensch deutlich in den Fokus der Planung gerückt. Primäres Ziel der Bürogestaltung ist jetzt die Ausrichtung der Tätigkeiten auf Innovation und Produktivität. 

Heute hängt das Überleben eines Unternehmens im westlichen Europa vom Wissen der Mitarbeiter ab. Die Arbeitsprozesse sind geprägt durch einen effizienten Informations- und Wissenstransfer. Kommunikation und Kreativität sollen gefördert werden. Das verfügbare und in den Köpfen der Beschäftigten verankerte Wissen über Technologien, Produkte, Prozesse und Strukturen gewinnt an Bedeutung. Nur dieses Wissen ermöglicht letztlich die Optimierung von Prozessen und damit die beschleunigte Entwicklung von Qualitätsprodukten. Deshalb muss zuallererst beachtet werden, dass der Weg zum Erfolg die Einbindung aller Beteiligten in den Gestaltungsprozess ist. Denn das eigentliche Vermögen eines Unternehmens sind nicht die Maschinen und Computer, sondern die Menschen, ihr Wissen, ihr Können, ihre Kreativität und ihre Begeisterungsfähigkeit. 

Büroarbeit bedeutet nicht nur das Produzieren am Schreibtisch. Es umfasst vielmehr eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeitssituationen, zu denen zum Beispiel auch das Recherchieren von Sachverhalten, Konzentrationsarbeit zum ungestörten Denken, aber auch Kommunikation gehören, um die gefundenen Ideen mit anderen zu teilen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln. 

Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu Kommunikation und Kreativität zeigen unter anderem, dass vier Fünftel aller Ideen durch ungeplante Kommunikation entstehen. Bewusstes Ausruhen ist genauso ein Bestandteil des Arbeitens wie lebenslanges Lernen. Ob sie nun dazu dienen, Energie zu tanken, etwas Anregendes zu tun oder absolute Ruhe zu suchen – Arbeitsunterbrechungen sind als Ausgleich von Beanspruchungsphasen für Leistung und Gesundheit von zentraler Bedeutung (Ulich, Wülser, 2009).

Die Ergebnisse einer 2011 verfassten Master-Arbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz zeigen, «(…) dass ein verbesserter Raumkomfort, Erholungsmöglichkeiten im Aussenbereich und Aktivitätsangebote wünschenswert wären. Weiter zeigte sich, dass es einer (…) Kultur, welche mit Akzeptanz für Erholungsphasen während der Arbeit geprägt ist, bedarf» (Etelvina-Clara Fernández: «Affordanzen für Erholungsphasen»).

Warum ein Büro in Zukunft kein Büro mehr ist

Die Gestaltung der unterschiedlichen geistigen Arbeits- und Erholungsprozesse benötigt unterschiedliche räumliche Gegebenheiten. Die Architektur der Arbeit und die Architektur des Bauens und Gestaltens müssen daher beim Schaffen einer Arbeitslandschaft Hand in Hand gehen. Die Planung moderner Arbeitswelten ist keine rein organisatorische oder eine rein architektonische Aufgabe. Es ist die Schnittstelle dieser Disziplinen, die es zu besetzen gilt. Im letzten Jahrzehnt lag der Impuls für die Erneuerung unserer Bürolandschaften in sich ständig verändernden Prozessen, einer zunehmenden Internationalisierung und dem allgemeinen gesellschaftlichen Wandel. Diese Entwicklungenverlangen völlig neue Arbeitsmethoden. Darüber, dass die Abbildung verschiedener Tätigkeiten und Arbeitsprozesse verschiedene Räumlichkeiten verlangt, herrscht mittlerweile Konsens.

Entsprechend sind die Anforderungen an die Gestaltung des Umfelds gestiegen. Impulse dafür gab das von Harrison Owen in den achtziger Jahren entwickelte Open-Space-Konzept, eine Moderationsform für grosse Gruppen, die der Strukturierung von Konferenzen dient. Owen hatte erkannt, dass bei konventionellen Konferenzen und Anlässen die grössten Lernfortschritte in den Kaffeepausen und anderen freien Zeiten gemacht wurden. In diesen Momenten der Entspannung erreichte die Veranstaltung oft den höchsten Energie-Level mit den meisten Interaktionen. Owens Methode stellte die Selbstorganisation als effizientes Ordnungsprinzip unter Beweis.

Multi Space: Mischung aus offenen Flächen und Einzelräumen

Übertragen auf die «Raumgestaltung» bedeutet dies, dass ein Arbeitsumfeld geschaffen wird, das flexiblen Arbeitsweisen und unterschiedlichen Arbeitsprozessen entgegenkommt und die Selbstorganisation sowie die Verantwortungsübernahme der Mitarbeiter fördert. «Open Space» oder besser «Multi Space» ist eine Mischung aus offenen Flächen und Einzelräumen mit unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten. 

Arbeitsplätze werden auf offener Fläche geplant und dazu Räume für Kleinbesprechungen und Alleinarbeit angeboten. Offene, multifunktionale Bereiche schaffen Transparenz und ermöglichen eine gute Aufenthaltsqualität. Auf Kommunikationsflächen kann spontaner Gedankenaustausch stattfinden. Ruhezonen erlauben Pausen, Erholung und individuelle Kontemplation. Klare Spielregeln zwischen den Nutzern im Open Space und professionelle Akustiklösungen gewährleisten ein kreatives, produktives und die Gesundheit erhaltendes Arbeiten (Abbildung 2).

Künftig werden nicht mehr Schreibtisch und Stuhl relevante Kriterien für die Definition des Arbeitsplatzes sein, sondern die Erfüllung der situativen Raumbedürfnisse des Menschen. Hiermit ist ein Prozess des Umdenkens verbunden. Es geht nicht mehr darum, einen Arbeitsplatz zu besitzen. Vielmehr birgt dieses neue Konzept die Chance, aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Arbeitsplätzen den jeweils zur eigenen aktuellen Tätigkeit passenden auszuwählen. Dies bedeutet auch, einen persönlichen Perspektivwechsel zu vollziehen, vom eigenen Büro, dem eigenen Arbeitsplatz hin zu unserem Raum zum Arbeiten, zu verschiedenen Arbeitsplätzen in unserer Arbeitslandschaft. 

Neues Führungsverhalten in neuen Arbeitsräumen

Es ist also Zeit, herkömmliche Einrichtungs- und Verhaltensmuster zu hinterfragen und zu verändern. Die Konzeption einer Arbeitslandschaft ergibt sich aus den jeweils individuellen Zielsetzungen eines Unternehmens. In jedem Fall ist es unerlässlich, die Mitarbeiter aktiv in die Planung mit einzubinden, damit die neue Arbeitsumgebung später auch gelebt wird. Dies lässt sich nur erreichen, wenn bei den Betroffenen Verständnis für die Notwendigkeit der Veränderung geschaffen wird und Transparenz in Bezug darauf hergestellt wird, warum sich etwas verändern soll, was sich konkret verändert und wie es den Einzelnen persönlich betrifft. Die Mitarbeiter müssen auf eine Reise der Veränderung mitgenommen werden. Gelingt dies nicht, werden die besten Prozesse und die beste Architektur nicht zu dem gewünschten Erfolg führen. Im Unterschied zu den letzten beiden Jahrzehnten müssen die Beteiligten, Unternehmensführung und Mitarbeiter, die Arbeitsorganisatoren und Architekten von Anfang an zusammenarbeiten. Informationsstrategien müssen erarbeitet, Workshops mit den Führungskräften und Mitarbeitern durchgeführt und ausgewertet werden. Und selbstverständlich müssen all diese Erkenntnisse in die Konzeption mit einfliessen. 

Diese Entwicklung erfordert auch ein verändertes Führungsverhalten. Es bedarf Führungskräfte, denen eine gemeinschaftliche Zielerreichung wichtiger ist als persönlicher Führungsanspruch und amtsgebundene Privilegien. Es bedarf einer Gesellschaft, die den Erhalt der Lebensqualität als Wert definiert und die Arbeit als Quelle der Gesundheit organisiert. Und es bedarf des Bewusstseins in der Organisation und bei jedem Einzelnen, dass nur Veränderung und Wandel Fortschritt bringen.

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Dieter Boch ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung GmbH, iafob deutschland. Zudem leitet er das flexible.office.netzwerk, in dem sich Unternehmen mit der sich ständig verändernden Arbeitswelt auseinandersetzen.

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