HR-Debatte

Mitarbeitende nach Quoten beurteilen

Mit der Normalverteilung werden Mitarbeitende nach Quoten in «gut» und «schlecht» eingeteilt. Werden statistische Methoden jedoch dem Alltag gerecht? Während Peter Offtermatt, Alstom, ­Statistiken vertraut, warnt die Universitätsprofessorin Antoinette Weibel vor Zahlengläubigkeit.

Peter Offtermatt

Die Mitarbeitendenbeurteilung ist ein wichtiger jährlicher Prozess, mit dem Alstom die Mit­arbeitenden auf nationaler und internationaler Ebene erfasst und fördert. Die richtigen Mitarbeitenden sollen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Deshalb werden die Mitarbeitendenbeurteilungen von der lokalen bis zur ­Konzernebene durchgeführt. Ein Ziel dabei ist der Aufbau von Talentpools. Die Mitarbeitendenbeurteilung verschafft Alstom bessere und fundiertere Kenntnisse über das Unternehmen und die Menschen, die im Konzern arbeiten.

Führungskräfte und Mitarbeitende werden auf allen Ebenen in einen strukturierten Diskussionsprozess einbezogen, wobei die aktive Beteiligung im Sinne der entwicklungsgeprägten Feedbackkultur im Vordergrund steht. Die Informationen helfen Alstom zu bestimmen, welche Bereiche gezielter gefördert werden sollen, Nachfolger für ausscheidende Mitarbeitende zu finden, aber auch zu wissen, was bei Neueinstellungen zu beachten ist. Im Kern bedeutet dies, Risiken professionell zu managen und die Leistungskultur weiterzuentwickeln.

Als Bewertungsskala bei der Mitarbeitendenbeurteilung kommt bei Alstom die «Normalverteilung» zum Zug. Bei dieser Skala wird die Gesamtheit der Mitarbeitenden folgender­massen eingeteilt: 5 Prozent erfüllen die Erwartungen nicht, 10 Prozent erfüllen einige, aber nicht alle Erwartungen, 65 Prozent haben die Erwartungen erfüllt, 15 Prozent haben einige Erwartungen übertroffen und andere erfüllt, 5 Prozent haben alle Erwartungen übertroffen. Trotz dieser Skala ist immer noch ein «Hang zur Mitte» und zum «Alles ist gut» zu erkennen. Daher ermutigen wir die Führungskräfte, individueller zu differenzieren, um allen Mitarbeitenden gerecht zu werden. Das bedeutet beispielsweise, den Überperformern die gebührende Anerkennung zukommen zu lassen. Wo Verbesserungspotenzial besteht, gilt es, dieses anzusprechen und den Mitarbeitenden konstruktiv-kritisches Feedback wie auch die nötige Hilfestellung zur Entwicklung zu geben.

Dabei erwarten wir jedoch kein sklavisches Klammern an die Normalverteilung. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass beim freien Spiel der Kräfte die Kurve schnell nach rechts verschoben ist, und alle Mitarbeitenden eher 100 Prozent und mehr erfüllen. Daraus resultierend werden unbequeme Themen und der Verbesserungsbedarf zu leicht in den Hintergrund gerückt, was letztlich keinem hilft, insbesondere nicht den Mitarbeitenden, denen Verbesserungsnotwendigkeiten und somit Entwicklungsmöglichkeiten nicht klar aufgezeigt werden. Mit der Visualisierung der Normalverteilung erreichen wir eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den Bereichen. Ohne diese Basis legt jede Führungskraft etwas andere Massstäbe an. Mit der Verteilungsvorgabe und den bereichsübergreifenden «Skalierungsmeetings» stellen wir sicher, dass bei etwas bequemeren Führungskräften nicht alle Mit­arbeitenden die Erwartungen übererfüllen, während beim bekannten «scharfen Hund» alle Mitarbeitende als Underperformer qualifiziert werden, sondern in jedem Bereich differenziert nach Unter- und Überperformern unterschieden wird.

 

Antoinette Weibel

Yahoo hat sie gerade eingeführt, Microsoft schafft sie ab und ob die neue HR-Chefin der UBS dem «Du musst schlecht von gut trennen» weiterhin die Stange hält, ist unklar. Begründet werden Mitarbeiterbeurteilungen nach Normalverteilung, dem sogenannten «Forced Ranking», meist damit, dass Vorgesetzte eine Tendenz zur Nachsicht und zur Mitte haben und somit eher gute als schlechte Noten verteilen. Forced Rankings sollen das ausbügeln: Man wird dazu verdonnert, auch schlechte Bewertungen zu vergeben.

Die Liste der Gründe, die gegen Forced Rankings sprechen, ist allerdings weitaus länger und wiegt schwerer. Erstens lassen sich Beurteilungsfehler auch dadurch beheben, dass man Manager für diese sogenannten Entscheidungsanomalien sensibi­lisiert. Gleichzeitig verschlimmern sie die Folgen des Halo- und Ähnlichkeiteffektes: Wir tendieren dazu, erste Beobachtungen zu stark zu gewichten und schätzen Mitarbeiter, die uns ähnlich sind, als bessere Leistungserbringer ein. Somit dürfte klar sein, wer eher in der 10%-Überfliegerkategorie landet und dass eine solche Einschätzung zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann.

Zweitens basieren Forced Rankings auf einer statistischen Fehlannahme. Forced Rankings folgen der Normalverteilung, einer symmetrischen Glockenverteilung. Diese Normalverteilung gilt vor allem für zufällig gezogene Merkmale, die voneinander unabhängig sind. In einem gut geführten Unternehmen haben wir es hoffentlich nicht mit zufällig gezogenen Merkmalen zu tun. Professionelle Personalselektion und gute Führung bedeuten, dass positive Leistungsträger in überproportional hohem Ausmass vorhanden sein sollten. Zudem führt die meist durchaus gewollte Zusammenarbeit in der Abteilung dazu, dass die Leistung eines Mitarbeiters selten unabhängig ist von der Leistung seiner Kollegen.

Drittens stiften Forced Rankings viel Unruhe, weil sie soziale Vergleichsprozesse anstossen. Wer bekommt das grössere «Rüebli»? Wieso? Und ist das gerecht? Nicht selten verändern sich das Kündigungsverhalten und die Einstellungen jener Mitarbeiter, die es knapp nicht in die Bestenkategorie geschafft haben. Eine Studie des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Todd Zenger zeigt, dass die Fluktuation in dieser Kategorie der Zweitbesten besonders gross ist. Das ist ärgerlich, weil man diese zukünftigen Talente unbedingt halten sollte. Besonders wütend und verletzt reagieren Mitarbeiter, die in der Verliererkategorie landen.

Studien zeigen, dass diese Mitarbeiter ein Ventil für ihren Frust suchen und häufig aktiv gegen die Interessen des Unternehmens arbeiten. Schliesslich fördern Forced Rankings Neid – eine stark negative Emotion, welche die Zusammenarbeit im Team torpediert und langfristig die Teamatmosphäre vergiftet. Warum also halten einige Unternehmen an diesem Instrument fest? Meine Vermutung: Forced Rankings sind oberflächlich betrachtet ein kostengünstiges Instrument, um Führungsschwächen zu kompensieren. Nachhaltiger und langfristig kostengünstiger wäre allerdings ein Leistungsmanagement, das auf Stärkenförderung und Coaching aller Mitarbeitenden setzt.

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Peter Offtermatt ist Vice President ­Human Resources bei Alstom Thermal ­Power und hat im Konzern seit 2007 ­europaweit ver­schiedene HR-Posi­tionen bekleidet.

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Prof. Dr. Antoinette forscht und lehrt an der Universität St. Gallen zu den Themen evidenzbasiertes und positives Personalmanagement. Sie ist zudem Direktorin am neu konstituierten Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten (FAA) an der HSG.

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