HR Today Nr. 11&12/2022: Interview - Blick von Aussen auf das HR

«Digitalisierung ist ein weiteres Tool und keine Glaubensrichtung»

Im HR geht alles einen Tick langsamer als im restlichen Unternehmen, lautet ein Vorwurf. Doch wie wird HR von aussen wahrgenommen? Ein Berater, ein Sales-Profi und ein HRler im Gespräch.

Ralf Räber, wie fortschrittlich ist Ihre HR-Kundschaft?

Ralf Räber: Das Spektrum ist breit (lacht). Es reicht von «Gottseidank haben wir soeben das Papier entdeckt» bis hin zu «wir sind voll digitalisiert». Häufig kommt der Wunsch nach der Digitalisierung übrigens auch von den Mitarbeitenden, beispielsweise aus der Produktion. Wie schnell die Digitalisierung im HR voranschreitet, hängt oft davon ab, wo HR im Organigramm angesiedelt ist. In Unternehmen, in denen HR der Finanzabteilung unterstellt ist, passiert kaum etwas. Sobald es in der Geschäftsleitung Einsitz hat, geht die Digitalisierung schneller voran.

Wie steht es um die Digitalisierung im HR?

Alexander Senn: Man muss zwischen nach innen optimierten HR-Prozessen und nach aussen gerichteten HR-Initiativen wie einer Workforce-Transformation unterscheiden. Natürlich gibt es Möglichkeiten, HR effizienter zu gestalten. HR sollte das auch tun. Viel wichtiger ist jedoch, dass sich HR um den Einfluss der Digitalisierung auf das Geschäft kümmert, da sich dadurch auch die Jobs verändern. Darauf muss es reagieren und sicherstellen, dass Mitarbeitende sich neue Fähigkeiten aneignen, um arbeitsmarktfähig zu bleiben.

Ralf Räber

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Ralf Räber ist Senior Consultant digitales HR bei Abacus.

Alexander Senn

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Alexander Senn ist Head of People and Organization bei Siemens.

Baschi Sale

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Baschi Sale ist Linkedin- und Social-Selling-Experte.

Was kann HR vom Sales lernen?

Senn: HR und Sales sind nicht vergleichbar. Im Verkauf ist es relativ einfach, einen direkten Zusammenhang zwischen Investition und Ergebnis herzustellen: Ich investiere in eine Verkaufsmassnahme, was so viele Leads generiert oder den Umsatz um so viele Prozente erhöht. Dieser direkte Zusammenhang lässt sich im HR nicht immer herstellen. Insbesondere bei kulturellen Angelegenheiten. HR kann aber durchaus einen Business Case erstellen, sich überlegen, worin es investiert, welchen Einfluss das auf das Geschäft hat und wie es den Erfolg messen will. Das ist aus meiner Sicht das, was HR von Sales lernen kann.

Sind Sales-, Marketing- und Controlling-Abteilungen dem HR digital voraus?

Räber: Das entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Marketing ist aber sicher näher an den Kernprozessen des Unternehmens dran. Es ­richtet sich an den Wünschen der Kundinnen und Kunden aus und würde von diesen nie verlangen, ein sinnlos langes Formular auszufüllen, wie das viele HR-Abteilungen von den Mitarbeitenden beim Eintritt verlangen. Bei Predictive Analytics ist Controlling dem HR voraus. Es gibt jedoch schon einige Unternehmen, in denen Controlling und HR eng zusammenarbeiten.

Senn: Wir müssen als HR bei Data Analytics vorangehen, denn wir besitzen tatsächlich eine Daten-Goldgrube, aus der sich Muster erkennen lassen. Beispielsweise, was ein Team erfolgreich macht. So können wir Führungskräfte in die richtige Richtung steuern. Mit KPIs kann HR zudem der Geschäftsleitung Erfolge aufzeigen, gewinnt damit an Glaubwürdigkeit und kommt so aus der Kulturecke heraus. Besitzt HR diese Kompetenzen nicht selbst, muss es Mitarbeitende ins Unternehmen holen, die diese Fähigkeiten haben.

Baschi Sale: Das Problem ist, dass HR-Daten oft auf Insellösungen im gesamten Unternehmen verteilt sind und dadurch mehrfach ähnliche Daten eingegeben werden. Beliebt sind immer noch Excel-Files, die Mitarbeitende nicht untereinander teilen. Deshalb braucht es eine Art Social Officer, der die internen Daten beschafft, diese zentral bündelt und Insellösungen ablöst.

Räber: In der Lohnbuchhaltung ist die Datenqualität hoch, da diese Daten sehr genau erfasst werden müssen. Daher lohnt es sich, dort anzusetzen. Zeitaufwendig ist hingegen, wenn ­HR-Prozesse mit vielen verschiedenen externen IT-Lösungen aufgebaut wurden. Dann müssen viele Daten bereinigt werden.

Braucht es nebst Data Scientists mehr Sales Profis, Marketeers und Controller im HR?

Sale: Ja, beispielsweise einen Sales Trainer. Dadurch könnte HR lernen, wie man effizient verhandelt und zu einem erfolgreichen Abschluss kommt, wenn sie die richtigen Fragen stellen und richtig vorgehen. Räber: Dass HR schlechte Verkäuferinnen und Verkäufer sind, würde ich nicht bestätigen. In der Praxis erlebe ich das anders.

Senn: Die Diversität macht es. Wenn Menschen mit verschiedenen Perspektiven wie Sales, Marketing, Controlling und HR zusammenkommen, ist das ein befruchtender Diskurs, weil nicht alle in dieselbe Richtung laufen. Wie viele zusammengebastelte Datensysteme treffen Sie in der Praxis an? Räber: Relativ viele. Am häufigsten nicht aktuelle Excel-Dateien. Hinzu kommt, dass diese Daten nicht zentral genutzt und verarbeitet werden können. Senn: Häufig werden aber auch zu viele Daten erhoben. Um das zu vermeiden, sollte HR zunächst analysieren, welche HR-Prozesse im Unternehmen existieren, welche Daten benötigt werden und was damit gemacht wird. Das bedeutet oft, zunächst einen Schritt zurückzugehen, sich zu fragen, was bei der Arbeit wirklich hilft und erst dann zu digitalisieren, statt bestehende HR-Prozesse telquel digital abzubilden.

Räber: Viele Unternehmen realisieren gar nicht, welche Daten sie schon besitzen. Will ich beispielsweise die Fluktuationsrate als KPI berechnen, genügen mir die Ein- und Austrittsdaten. Diese müssen Unternehmen schon wegen der Sozialversicherung korrekt berechnen.

Geht HR zu unkritisch mit Daten um?

Senn: Die objektive Auslegung von Daten ist anspruchsvoll. Das kommt vor. Es gibt Daten, die HR hinterfragen sollte. Etwa die Mitarbeiterbeurteilung, da diese subjektiv durch Führungskräfte zustande kommt. Man kann sich auch fragen, was uns Beurteilungen von Mitarbeitenden wirklich bringen. Auch deshalb verabschiedeten wir diese vor zwei Jahren bei Siemens.

Räber: Vor einigen Jahren absolvierte ich einen CAS, mit dem ich beweisen wollte, dass man durch das Verdrehen von Zahlen ein beliebiges Resultat ausweisen kann – das erreichte ich mit Filtern. Am Ende zeigten die Zahlen das von mir gewünschte Resultat, dass in einem Unternehmen eine

Lohnungleichheit besteht, obschon das nicht stimmte. Senn: Du kannst beinahe jede Geschichte so drehen, wie du willst. Müssen HR Daten kritischer hinterfragen?

Räber: Ja. Dafür braucht es aber mehr Data Scientists im HR.

Senn: Wir haben in meinem Team einen Datenexperten, der den HR Business Partnern hilft, mit Daten besser umzugehen und sie kritisch zu betrachten. Wichtig ist, Annahmen zu über­prüfen und zu kontrollieren, ob sich etwas verändert hat, damit man nicht blindlings in die falsche Richtung läuft und einen Trend verpasst.

Welches digitale HR-Tool müsste noch ­erfunden werden?

Senn: Gäbe es ein Tool, dass Mitarbeitenden ermöglicht, ihr Potenzial zu entfalten und sie dort einzusetzen, wo sie glücklich sind und zum Unternehmenserfolg beitragen, wäre das perfekt. Ein digitaler Begleiter könnte ihnen hierzu verschiedene Karrieremöglichkeiten vorschlagen. Der Bedarf wäre sicher da. Ich kenne viele Menschen, die beruflich in einer Sackgasse gelandet sind und nicht glücklich sind.

Ihre Handlungsaufforderung ans HR?

Senn: HR sollte nicht am Spielfeldrand stehen und dem Geschäft zuschauen. Wir sollten uns auf das «Spielfeld» begeben und aktiv mitgestalten. Und mutiger sein, Neues auszuprobieren. Dabei sollten wir nicht immer wieder neue Ideen angehen, sondern vielmehr den Fokus auf die Implementierung setzen. Mir imponieren Unternehmen, die den Erfolg von HR Initiativen messen, auf eine kontinuierliche Verbesserung setzen und nicht immer auf jeden neuen Zug aufspringen. Die Gefahr, sich dabei zu verlieren, ist einfach zu gross.

Räber: Ich lege Unternehmen nahe, weniger verwalterisch zu sein, sondern dafür zu sorgen, dass die richtigen Menschen am richtigen Ort zur richtigen Zeit sind. Zu guter Letzt: Digitalisierung ist ein weiteres Tool und keine Glaubensrichtung.

Sale: Ich gebe beiden recht. Dennoch sollte HR seine Prozesse effizienter gestalten. Oft verlieren Unternehmen beispielsweise im Hiring-Prozess Kandidatinnen und Kandidaten, weil dieser viel zu lange dauert. HR müsste Bewerbende viel schneller zu einem Probetag einladen. Da zeigt sich schnell, ob jemand passt.

Senn: Es ist nicht immer die Schuld des HR, wenn ein HR-Prozess zu viel Zeit benötigt. Häufig liegt es auch an der Linie, die einen Termin unnötig hinauszögert. Interessanterweise haben viele Firmen während der Pandemie bewiesen, dass es auch unkomplizierter geht. Das zeigt, dass Menschen unter Druck plötzlich anders handeln. Könnten wir diese Erkenntnis im Alltag über­nehmen, wären wir alle viel erfolgreicher.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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