Arbeit und Recht

Nestbeschmutzer oder Helden: Neues Gesetz soll Whistleblower schützen

Mitarbeiter, die interne Mängel oder unethisches Verhalten aufdecken und melden, riskieren Sanktionen. Durch eine 
Gesetzesänderung sollen Whistleblower künftig in ihren Rechten gestärkt werden. Die Vernehmlassung wurde Ende 
März 2009 abgeschlossen. Eine kritische Einschätzung der Effektivität.

Korruption in Wirtschaft und Verwaltung ist nur schwer erkennbar. Gemäss einer Studie des Nationalfonds (Queloz/Borghi/Cesoni, Processus de Corruption en Suisse, 1999) werden 97 bis 99 Prozent der Korruptionsfälle gar nie aufgedeckt. Obwohl solche Fälle in der Regel einen grossen wirtschaftlichen Schaden anrichten, gibt es kaum Möglichkeiten, sie zu verhindern. Oft kommen sie nur durch Zufall ans Licht. Oder aber durch mutige Personen, die als Zeugen solcher Praktiken die zuständigen Stellen informieren. Das Vorgehen 
dieser couragierten Personen nennt man Whistleblowing.

Dieser Begriff beschäftigt zurzeit auch den Bundesrat: Aufgrund einer Motion von Nationalrat Gysin aus dem Jahr 2003 hat er einen Gesetzesentwurf* erarbeitet, um Whistleblower besser vor Repressalien, beispielsweise vor ungerechtfertigter Entlassung oder anderen Arten der Diskriminierung, zu schützen. Der Entwurf stiess jedoch bei den Teilnehmern der Vernehmlassung auf wenig Begeisterung. Gehen die neuen Bestimmungen den einen zu wenig weit, sind sie für die 
andern gar gänzlich überflüssig.

Auch eine missbräuchliche 
Kündigung bleibt immer gültig

Whistleblower handeln grundsätzlich selbstlos, beweisen Zivilcourage und nehmen dafür grosse persönliche Risiken in Kauf. Doch ihr Verhalten wird oft als illoyal oder verräterisch angesehen. Sie werden als Nestbeschmutzer und Denunzianten abgestempelt. Eine Entlassung ist oft die Folge.

Vor solchen Folgen sollen Whistleblower zukünftig per Gesetz geschützt werden. Ob dies durch die geplante Teilrevision des Obligationenrechts jedoch in genügender Weise gewährleistet ist, scheint fraglich. Das Obligationenrecht knüpft im Entwurf die Voraussetzungen für eine Anzeige von Missständen an die Treuepflicht des Arbeitnehmers (Art. 321a OR). Diese verpflichtet den Arbeitnehmer, die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren. Daraus ergibt sich auch die Pflicht zur Verschwiegenheit über Dinge, an denen der Arbeitgeber ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat. Auch Straftaten oder unethisches Verhalten fallen darunter, sofern nicht ein höheres Interesse geltend gemacht werden kann. Kann ein solches geltend gemacht werden, so soll der Gang an die Öffentlichkeit dennoch erst erfolgen, wenn der Arbeitnehmer alle internen Möglichkeiten erfolglos ausgeschöpft hat.

Gemäss Gesetzesentwurf ist eine Kündigung im Anschluss an eine rechtmässig erfolgte Meldung explizit missbräuchlich. Aber eine missbräuchliche Kündigung bleibt dennoch immer gültig. Und auch wer vor Gericht siegt, kann nur mit einer finanziellen Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen rechnen. Aufmerksame Arbeitnehmer werden sich also auch nach Inkrafttreten der neuen Artikel kaum in genügender Weise vor den Konsequenzen von Whistleblowing geschützt fühlen. Denn Whistleblowing spricht sich herum. Ob man nun brisante Dokumente vor dem Aktenvernichter bewahrt, polizeiliche Unterlagen über Personen des öffentlichen Interesses der Presse zuspielt oder andere potenzielle Unregelmässigkeiten aufdeckt: Je grösser der Skandal, desto grösser ist auch das berufliche, private und gesellschaftliche Risiko. Welcher Arbeitgeber will einen solchen Mitarbeiter in Zukunft einstellen, wenn er auch vordergründig den Mut der Person lobt und das Tun des ehemaligen Arbeitgebers verurteilt?

Unternehmen sollten grundsätzlich ein integres Verhalten der Mitarbeiter fördern und ein grosses Interesse daran haben, dass allfällige Missstände intern adressiert und selber behoben werden können, bevor diese – wenn überhaupt – an die Öffentlichkeit gelangen. Nur so kann ein allfälliger Reputationsschaden im Vorfeld abgewendet werden. Den Mitarbeitern ist das Gefühl zu vermitteln, dass sie angehört und ernst genommen werden und im Falle einer Mitteilung keine negativen Konsequenzen zu befürchten haben. Die Schaffung einer unabhängigen Stelle, wie sie zum Beispiel der Kanton Zürich in Form eines Ombudsmannes kennt, erscheint eine gute Lösung. Dieser ist unabhängig und kann entsprechende Hinweise in jedem Fall weiterverfolgen. Eine weitere Möglichkeit bildet das Einrichten einer Telefonnummer oder eines elektronischen Briefkastens; es muss jedoch sichergestellt werden, dass keine Mitteilung auf den Anrufer oder Absender zurückverfolgt werden kann.

Gang an die Öffentlichkeit ist die
 Ultima Ratio

Gleichzeitig sollte auch in Reglementen oder Richtlinien das Whistleblowing geregelt werden. In der Privatwirtschaft wird dies in der Regel in einem so genannten Verhaltenskodex (Code of Conduct) geregelt, und es wird ein Compliance-Beauftragter oder Integrity Officer ernannt, der sich um die Einhaltung dieses Kodex kümmert. Ein entsprechender Kommunikationskanal soll dafür sorgen, dass Abweichungen von den Verhaltensregeln der zuständigen Stelle gemeldet und intern untersucht werden können. Dafür trägt wie bereits im Vorfeld erwähnt vor allem ein kritikfähiges Klima bei.

In einem Klima der Angst oder wenn keine Anonymität gewährleistet werden kann, wird kaum ein Mitarbeiter Unregelmässigkeiten an eine interne Stelle tragen. Whistleblower handeln in der Regel im öffentlichen Interesse, so z.B. bei Nichteinhalten von Umweltschutzbestimmungen. Interne Hinweise zu ignorieren, kann für das Unternehmen weitgehende finanzielle und immaterielle Schäden zur Folge haben. Es lohnt sich deshalb, das interne Whistleblowing zu fördern. Der Entwurf für die neuen Bestimmungen im Obligationenrecht sieht vor, dass der Whistleblower zuerst die internen Möglichkeiten ausschöpft. Der Gang an die Öffentlichkeit soll somit die Ultima Ratio darstellen. Es bleibt abzuwarten, ob eine Teilrevision des Obligationenrechts den gewünschten Erfolg bringen wird. Ein Inkrafttreten der neuen Artikel ist jedoch frühestens im Laufe des Jahres 2011 zu erwarten.

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Esther Geisser arbeitet als 
Personalbeauftragte bei der Finanzdirektion Zürich und ist Mitglied der 
Geschäftsleitung des Personalamts des Kantons Zürich. Ausserdem ist sie Dozentin und Examinatorin für Arbeitsrecht und weitere Rechtsgebiete.

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