Eine im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) durchgeführte Studie(1) hat gezeigt, dass in der Deutschschweiz 31 Prozent der Frauen und 11 Prozent der Männer mindestens einmal in ihrem bisherigen Erwerbsleben sexuell belästigt wurden. Sexuelle Belästigung stellt daher für viele Beteiligte im Personalwesen eine grosse Herausforderung dar, und es lohnt sich, nach praxistauglichen Lösungen für dieses Problem zu suchen.
Vielfältige negative Auswirkungen
Sexuelle Belästigung hat negative Auswirkungen auf das Arbeitsklima und erhöht bei den Betroffenen den Wunsch, zu kündigen. Zu diesen beruflichen Konsequenzen kommen häufig Beeinträchtigungen des Privatlebens und Belastungen der Gesundheit: Betroffene können Scham- und Schuldgefühle entwickeln, aber auch Depressionen, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und weitere psychische Probleme sind oft beobachtete Folgen.
Verschlechtert sich das Arbeitsklima als Folge von sexueller Belästigung, kann dies auch bei Mitarbeitenden zu Spannungen und Konflikten, Motivationsverlusten oder psychischen und physischen Gesundheitsproblemen führen.
Unternehmen sehen sich als Folge konfrontiert mit Produktivitäts- und Qualitätseinbussen, Absentismus und Personalfluktuation bei direkt und indirekt Betroffenen. Dies führt zu hohen Kosten – sowohl wirtschaftlich als auch menschlich. Diese könnten durch eine gezielte Prävention, wie sie das Gesetz vorschreibt, verhindert werden.
In der Schweiz verpflichtet das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG(2)) Arbeitgebende zu Massnahmen, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verhindern. Bis heute sind derartige Präventionsmassnahmen primär in Grossunternehmen und der öffentlichen Verwaltung systematisch etabliert. Es gibt eine Reihe von Vorurteilen, welche die Passivität vieler Unternehmen gegenüber
diesem doch häufigen und folgenreichen Phänomen erklären können.
Bis heute ist die Vorstellung verbreitet, dass Verhaltensweisen und Scherze mit sexuellem Bezug nicht so schlimm sind, ja dass sie sogar einem guten Arbeitsklima förderlich seien. Betroffenen Personen wird häufig unterstellt, sie seien selber an der sexuellen Belästigung schuld. «Sie haben es provoziert», «sie mögen das» oder «das ist ein Komplott» sind oft gehörte Aussagen in solchen Fällen. Derartige Vorurteile führen zu einer Unterschätzung der Häufigkeit von sexueller Belästigung, aber auch der Folgen, die sie für die Betroffenen und das Unternehmen insgesamt haben können.
Zu dieser Verharmlosung sexueller Belästigung am Arbeitsplatz kommt eine Vielzahl von unzutreffenden Vorstellungen,
was die Betroffenheit von Frauen und Männern angeht. Sehr häufig werden Frauen ausschliesslich als Opfer und Männer ausschliesslich als Verursachende angesehen. Diese vereinfachende Opfer-Täter-Sicht führt dazu, dass das Phänomen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nur einseitig wahrgenommen wird. Dies wiederum bedeutet, dass eine adäquate, zielgerichtete Prävention nicht möglich ist.
Wer belästigt wen, wie und warum?
Verharmlosungen von und Vorurteile gegenüber sexueller Belästigung am Arbeitsplatz machen es nötig, das Phänomen zu überdenken. Ein besseres Verständnis des Auftretens von potenziell belästigenden Verhaltensweisen und der Entstehung von sexueller Belästigung und ihren Folgen ist nötig. Um zu einem solch umfassenden Verständnis zu kommen, muss sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz näher untersucht werden.
Vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SNF finanziert, will das Forschungsprojekt «Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Wer belästigt wen, wie und warum?» 1) zu einem umfassenden Verständnis des Phänomens in der Schweiz beitragen, 2) einen sachlicheren und konstruktiveren Umgang mit dem Thema fördern und 3) die Grundlagen schaffen, damit gezielte Massnahmen zur Prävention ergriffen werden können und damit ein belästigungsfreies Arbeitsklima für Frauen und Männer gesichert werden kann. Das Projekt ist an der Universität Lausanne angesiedelt und steht unter der Leitung von Professorin Franciska Krings. Es ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms 60 «Gleichstellung der Geschlechter» (www.nfp60.ch), welches zum Ziel hat, die Ursachen für das Fortbestehen von Ungleichheiten im Verhältnis der
Geschlechter zu untersuchen.
Durch verschiedene Studien will das Projekt die Aspekte von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz umfassend untersuchen und auch bisher vernachlässigte Perspektiven einbeziehen. So werden zum Beispiel Frauen und Männer sowohl als Betroffene als auch als Verursachende von sexueller Belästigung am
Arbeitsplatz verstanden.
Ein spezieller Fokus der Untersuchung liegt in der Untersuchung von unternehmensbezogenen Faktoren (zum Beispiel Arbeitsklima, Reglemente, wahrgenommene Fairness usw.), die bei der Entstehung und Verhinderung von sexueller Belästigung eine Rolle spielen können. Weiter werden die kulturellen Faktoren in den verschiedenen Sprachregionen der Schweiz besonders berücksichtigt. Das Projekt besteht aus vier Teilen:
- Bereits abgeschlossen ist eine Studie zu Risiko und Verbreitung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in der italienischen Schweiz, welche die vorliegenden Zahlen für die Deutschschweiz und die Romandie (Strub & Schär Moser, 2008) ergänzt.
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Gespräche mit Personen, die von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen sind.
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Anonyme Befragung von Verursachenden.
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Fallstudien in Unternehmen.
Wir hoffen, dass die Ergebnisse des Projekts eine solide und nützliche Basis für effektive und umfassende Präventionsarbeit in Unternehmen bieten.
Für eine bessere Prävention: Wir brauchen Sie!
Die Fallstudien in Unternehmen sind zentral für ein umfassendes Verständnis der sexuellen Belästigung in der Schweiz. Sie sollen es erlauben, den Umgang mit dem Phänomen sowohl in der Unternehmensstrategie und -politik als auch im konkreten Arbeitsalltag der Mitarbeitenden zu untersuchen (zum Beispiel Entstehung, Reaktionen, Folgen, Haltung gegenüber sexueller Belästigung usw.).
Um die Fallstudien realisieren zu können, suchen wir Unternehmen in der Deutschschweiz und der Romandie mit mindestens 50 Mitarbeitenden, welche bereit sind, uns Einblick in ihren Umgang mit dem Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beziehungsweise deren Verhinderung zu geben. Es ist nicht nötig, dass im Unternehmen Fälle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bekannt sind oder ein Handlungsbedarf vermutet wird. Die Analyse will sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz als ein allgemeines Thema der Zusammenarbeit behandeln. Diese Fallstudien beinhalten sowohl Gespräche mit Personalverantwortlichen und den Angestellten als auch einen Fragebogen für die Kaderpersonen.
Was ist Ihr Nutzen?
- Die Datenerhebung führt zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik «Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz» und leistet damit einen Beitrag zur Prävention, zu der Sie das Gleichstellungsgesetz (GlG) verpflichtet.
- Die fallbezogene Auswertung gibt Ihnen direkten Einblick in den Umgang mit dem Thema in Ihrem Unternehmen und zeigt dessen Stärken und Schwächen.
- Sie helfen mit, dass unser Forschungsprojekt realisiert wird und somit Grundlagen für effektivere und effizientere Präventionsbemühungen erarbeitet werden können. Davon profitieren längerfristig Sie und andere Unternehmen.
Gerne stehen wir Ihnen für nähere Informationen zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns unter arbeitsstudie@unil.ch.
Von obszönen Witzen bis zur Vergewaltigung
Unter den Begriff «Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz» fallen aus juristischer Sicht alle im Arbeitskontext stattfindenden Verhalten sexueller oder sexistischer Natur, die von einer Seite unerwünscht sind oder als die persönliche Integrität verletzend empfunden werden. Im konkreten Fall kann sexuelle Belästigung sehr unterschiedliche Formen annehmen, die von sexistischen Bemerkungen und obszönen
Witzen bis hin zu sexueller Nötigung und
(versuchter) Vergewaltigung reichen.