HR Today Nr. 9/2018: Neue Arbeitswelten

New Work: Der Faktor Mensch bleibt zentral

Das Tempo des Wandels von der alten zur neuen Arbeitswelt überfordert manche Firmen. Worauf es ankommt, um diesen erfolgreich zu meistern, erläutern drei New-Work-Unternehmensberater.

Fakt ist: Der Wandel von der alten zur neuen Arbeitswelt passiert nicht sehr schnell. Das beunruhigt Ruggero Crameri nicht. Mit seiner Firma Crativ begleitet er seit vielen Jahren Unternehmen auf dem Weg zur grenzenlosen Zusammenarbeit und weiss daher: «In den letzten 150 Jahren haben wir gesellschaftliche Systeme entwickelt, die sich nicht einfach von heute auf morgen ändern werden.»

Die jüngere Generation treffe aber auf einen sich rasant wandelnden Markt und wisse daher eher mit Veränderungen umzugehen. Die Gleichung «Alt gleich veränderungsresistent»,« Jung gleich veränderungswillig» könne aber nicht so einfach gemacht werden. Es gehe darum, «die neue Generation ins Unternehmen einzubinden, um die neue Denkweise der Jungen mit der 
Erfahrung der älteren Garde zu verbinden und Synergien zu nutzen.» Dabei müsse nicht alles verändert werden.

Teile vom Alten weiterleben zu lassen, ist auch für Patrick Scheurer, Organisationsentwickler und Partner der Firma Xpreneurs, zentral, wenn ein Wandel erfolgreich von statten gehen soll. «Veränderungen sind nie eine eingleisige Angelegenheit. Auch das Alte hat sein Gutes, das unbedingt in die neue Welt mitgenommen werden sollte.»

Für Coach Ralf Metz, Mitinhaber des Beratungsunternehmens Me&Me, geht der Unternehmenswandel oft von einzelnen Menschen in Machtpositionen aus, die sich selbst in einer Veränderung befinden. «Die persönliche Entwicklung wird häufig durch den steigenden Druck auf die Systeme ausgelöst, in denen sie sich bewegen.» Dies eröffne jedoch auch den Raum für organisationale Veränderungen, ohne die Unternehmen an den Märkten dauerhaft nicht überlebensfähig seien.

Phasensprung statt Homöopathie

Agilität, Flexibilität und Individualität sind viel zitierte Worte, die mit den anstehenden Veränderungen zusammenhängen und mit denen Unternehmen aller Grössen sowie Branchen konfrontiert werden. Diese Schlagworte nicht nur zu benutzen, sondern im Arbeitsalltag zu leben, ist deutlich komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. So warnt Patrick Scheurer vor Ideologien im Zusammenhang mit dem organisationalen Wandel: «Diese führen höchstens zur Erstarrung und damit genau zum Gegenteil, davon, was eigentlich erreicht werden soll.»

Auch mit einzelnen «Agilitätsprogrammen», individuellen Arbeitszeitlösungen oder ähnlichen Massnahmen ist es nicht getan, sind sich Crameri, Scheurer und Metz einig. Beim aktuellen Wandel gehe es nicht nur um die Veränderung der Managementsysteme, sondern auch um den Umgang mit den Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels.

Bei allen Diskussionen um die neuen Arbeitsformen kommt mitunter das Gefühl auf, diese seien eine Lösung für alle Probleme der alten Arbeitswelt. «Neue Arbeitswelten ermöglichen Offenheit, Transparenz, Mobilität, Selbstorganisation, Innovation und vieles mehr», sagt Ruggero Crameri. «Es sind jedoch nicht die schicken Büros, die den Wandel ausmachen, sondern die kulturelle Begleitung und die Mitgestaltung aller, die diese Büros beleben werden.»

Neue Zusammenarbeitsformen müssen gemäss Patrick Scheurer mit der notwendigen Entschlossenheit eingeführt werden. «Das geht nicht in homöopathischen Dosen, es braucht einen Phasensprung.» Es handle sich um einen länger andauernden Transformationsprozess, bei dem die Rolle des Menschen ins Zentrum rücke, und nicht um ein neues Betriebssystem, das installiert werde.

Wann ein Unternehmen für den Wandel reif ist, merke es selbst, meinen die Experten unisono. Etwa dann, so Ruggero Crameri, «wenn einzelne Teams damit beginnen, sich von selbst neu zu organisieren.» Solche Vorreiter würden zuerst als Spinner bezeichnet und belächelt, bis sich 
zeige, dass sie mit ihren Ideen erfolgreich sind und sich ihre Abteilungen oder ihr Team im Gegensatz zu anderen plötzlich schneller weiterentwickelt.

Gemäss Ralf Metz ist oft der Leidensdruck ausschlaggebend, um Veränderungen anzustossen. Das sei eine grosse Chance für KMU, besonders für Inhabergeführte. «Häufig reicht bei ihnen eine Krise des CEO aus, um eine Veränderung zu ermöglichen.» Daneben steige bei vielen seiner Kunden der Druck von innen. «Immer mehr Menschen sind mit den bestehenden Systemen unzufrieden.»

Die Folgen seien eine Überalterung der Belegschaft, steigende Fluktuationen und eine sinkende Arbeitgeberattraktivität. «Zusammen mit dem sich beschleunigenden Technologiewandel entsteht ein guter Nährboden für Veränderung.» Nebst diesen Faktoren gibt es für Patrick Scheurer auch Unternehmen, «die schlicht keine Lust mehr haben, nach dem alten Modell weiterzuarbeiten.»

Pioniere vorlassen

Doch wie sollen Unternehmen, Mitarbeitende oder Führungskräfte am besten vorgehen, wenn sie realisieren, dass es nicht wie bisher weitergehen kann? Ruggero Crameri empfiehlt, kleine, sich selbst bildende Gruppen mit innovativen Mitarbeitenden als Pioniere vorzulassen. «Wenn sie neue Wege erkunden und daraus lernen, können Organisationen Hypothesen bilden und diese in Experimenten erhärten. Verlaufen sie erfolgreich, können sie multipliziert werden.» Im Weiteren müssten Personalabteilungen die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit hierarchische und selbstorganisierte Arbeit nebeneinander möglich seien.

Der beste Ansatzpunkt ist für Ralf Metz dort, «wo die Macht liegt.» Traditionellerweise sei dies beim CEO, bei der Geschäftsführerin oder beim Inhaber. Dabei starte er nicht mit der Umstellung auf eine neue Organisationsform, sondern mache das Potenzial einer anderen Denkweise durch Veränderungen bei der Entscheidungsfindung oder der Meetingkultur erlebbar. «Wer erlebt, wie wirkungsvoll es ist, sich und andere besser zu verstehen und seine eigenen Motive und Ziele besser zu kennen, dem wird schnell klar, was wichtig ist.» Auch für Ruggero Crameri ist Change Management Chefsache. Der Umgang mit Veränderungen sei jedoch «eine Angelegenheit, die in der Führung thematisiert werden muss und nicht durch externe Berater gelöst werden kann.»

Bei diesem Prozess komme der Führung eine andere Rolle zu. Sie sitze nicht mehr auf der Spitze der Hierarchiepyramide, sondern überall und mittendrin als Befähiger, Coach oder Servant Leader. «Ob er oder sie Leadlink heisst, Chef oder Gotti, ist irrelevant. Hauptsache, alle lernen voneinander», bringt es Ruggero Crameri auf den Punkt. Und Ralf Metz doppelt nach: «Bis dahin sollen Führungskräfte die Menschen vor allem dabei unterstützen, damit sie bestmöglich arbeiten können.»

Kein Selbstzweck

Wo auch immer Veränderung beginnt: «Entscheidend ist, dass man sich bewusst ist, dass der Wechsel von der alten in die neue Arbeitswelt nicht von heute auf morgen passiert», sagt Ralf Metz. «Alte Muster, Glaubenssätze und Verhaltensweisen sind nach wie vor vorhanden.» Diese Muster und Glaubenssätze lassen sich nicht auf Knopfdruck verändern. Deshalb liegt der Schlüssel zum Erfolg für Ralf Metz im individuellen Sinn und Zweck und der intrinsischen Motivation. -Patrick Scheurer ergänzt: «Mitarbeitende müssen erkennen, dass das Arbeitsumfeld ein wichtiges Lernfeld für die persönliche Entwicklung ist.»

Auch wenn sich viele Firmen für neue Arbeitsmethoden begeistern: Modelle wie Holocracy oder Soziokratie dienen keinem Selbstzweck. «Sie dürfen nicht leichtfertig oder halbherzig implementiert werden, sonst ist ein Scheitern vorprogrammiert», konstatiert Patrick Scheurer. Die Experten sind sich einig: Entscheidend für den Erfolg ist, sich zu überlegen, welches Modell zum Unternehmen passt, und dann Schritt für Schritt den eigenen Weg zu gehen. Egal wie dieser aussieht: Der Faktor Mensch bleibt zentral.

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Sandra Escher Clauss ist freie Journalistin.

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