Talent Management Systeme

Nutzen und Grenzen 
von Personalinformatik

Talent Management ist im HRM ein strategischer Schlüsselbereich für den Einsatz von Informationstechnologie. Was ist bei der Auswahl und der Einführung solcher Systeme zu beachten? Wo liegen ihre Stärken und Schwächen? HR Today sprach mit Caroline Schmid von den 
Basler Versicherungen, Olivier Kähr von 
Swisscom und Claudia Schweyher von StepsStone Solutions.

Welche Systeme haben Sie heute im Bereich Talent Management im Einsatz?

Caroline Schmid: Die Bâloise ist derzeit an der Einführung eines umfassenden Talent-Management-Systems, mit welchem Themen wie Online-Rekrutierung, Talent-Pool sowie interne Entwicklungs- und Laufbahnplanung abgedeckt werden sollen. Ein wesentlicher Punkt bei der 
Auswahl des Systems war die Benutzerfreundlichkeit: Sowohl Kandidaten, interne Mitarbeitende, Linienvorgesetzte als auch HR-Verantwortliche müssen mit dem System arbeiten können. Im Weiteren war uns wichtig, dass das System eine modular ausbaubare Komplettlösung bietet. Begonnen haben wir mit den beiden Schwerpunkten Online-Rekrutierung und Talent-Pool. Es muss aber möglich sein, dass 
später weitere Module integriert werden können.

Olivier Kähr: Bei Swisscom sind heute bereits verschiedene Systeme im Einsatz, die im Laufe der nächsten Jahre auf Konzernebene harmonisiert werden sollen. Der Aufbau eines Talent-Pools steht dabei momentan im Vordergrund. Die Einführung des Shared Services war der Auslöser, das Geschäftsmodell von HR neu zu überdenken. Es war klar, dass wir die Personalinformatik automatisieren und auf Konzernebene harmonisieren würden. Mit dem eingeführten E-Recruiting-Modul hatten wir die Möglichkeit, das Talent Management zu unterstützen. Aktuell haben wir mehrere Tools in der Entwicklung und stehen davor, einzelne unternehmensweit einzuführen. Weil so viele Teilprozesse 
betroffen sind und Daten heute noch in verschiedenen Systemen gesammelt und verarbeitet werden, ist das Thema der Basisdaten zentral.

Claudia Schweyher: Dieses schrittweise Aufschalten einzelner Module ist typisch und aus unserer Sicht auch empfehlenswert. Die einzelnen Module einer Talent-Management-Suite haben ganz unterschiedliche Aufgaben und Funktionen. Das fängt bei der Kostenersparnis an und geht über stärkere Mitarbeiterbindung durch internes Talent Management bis zu Auswirkungen auf das Employer Branding im E-Recruiting oder externem Talent Management. Auch wenn alle diese Auswirkungen gewünscht sind, schluckt die Einführung einer Komplettlösung auf einen Schlag viele Ressourcen. Deshalb raten wir unseren Kunden, dort anzufangen, wo der Schuh am meisten drückt. Oft müssen erst einmal alle Stammdaten gesammelt werden, die vielfach gar nicht in der benötigten Form vorhanden sind. Mit Self-Service-Angeboten können Mitarbeiter fehlende Daten selber erfassen, so dass die Arbeit dort anfällt, wo sie auch gemacht werden kann, nämlich in der Linie und nicht komplett in der HR-Abteilung.

Geschieht es oft, dass Unternehmen gezielt nur einzelne Module auswählen, etwa als Folge der Unternehmensgrösse?

Schweyher: Jedes Unternehmen hat andere Anforderungen, viele starten mit einer Auswahl von Modulen. Aber alle haben die Perspektive, das System jederzeit schnell und einfach um weitere Module ergänzen zu können.

Welche Unterstützung erwarten Sie von der Informationstechnologie?

Schmid: Es geht uns vor allem darum, im Talent Management mehr Transparenz zu schaffen. Mit der Einführung des Systems wird es möglich, sowohl Schlüsselpositionen als auch Talente zu identifizieren. Aus unternehmerischer Sicht ist die aktive systematische Auseinandersetzung der 
Linienvorgesetzten mit diesem Thema zentral und ein wichtiger Meilenstein. Der Inhalt und nicht das Tool sollte dabei im Vordergrund stehen.

Schweyher: Die Erwartungen sind sehr unterschiedlich und reichen von kürzeren Einstellungszeiten über höhere Mitarbeiterbindung bis zu beispielsweise verbesserten Zielvereinbarungsprozessen. Mitarbeiter werden so entsprechend ihrer Qualifikation und ihrer Perspektive optimal eingesetzt, entwickelt und letztendlich 
gebunden. Im Rekrutierungsprozess wird durch das kürzere «Time to Interview» das Risiko kleiner, geeignete Kandidaten an andere Arbeitgeber zu verlieren.

Erwartet das Management von dem System in erster Linie Kostensenkungen, oder sollen eher verborgene Potenziale besser genutzt und die Qualität gesteigert werden?

Schmid: Ein System darf nicht zum Selbstzweck eingeführt werden. Durch das interne Talent Management liefern wir einen Beitrag zu einem erfolgreichen Retention Management. Der Nutzen lässt sich aber nicht immer quantifizieren. Beispielsweise erhoffen wir uns durch den neuen Auftritt eine Reduktion der Online-Kosten für Agenturen und für Mandats- und Vermittlungsgebühren. Neben den Einsparungen reduziert sich die Bearbeitungszeit, da der Bewerber rasch eine Antwort von uns erhält. Der Bewerber ist ausserdem ein potenzieller Kunde, der von der Qualität der Bewerbungsprozesse schnell Rückschlüsse auf die Qualität unserer Produkte ziehen könnte.

Spielt Employer Branding eine Rolle beim Entscheid für ein Talent-Management-System?

Kähr: Swisscom hat den Anspruch, Employer of Choice zu sein. Dazu gehört auch die Kommunikation mit Bewerbern über die Homepage. Diese Kommunikationsanwendungen sind in dem E-Recruiting-Modul, das wir verwenden, schon teilweise enthalten. Wir werden das noch vereinfachen oder verbessern, damit es unseren Ansprüchen genügt.

Schmid: Ein Talent-Management-System ist ein wesentlicher Bestandteil des Employer Branding. Mit einem E-Recruiting-Auftritt präsentieren wir uns als 
zeitgemässes, modernes Unternehmen. Einschränkend gilt es festzuhalten, dass 
dieses Medium aber nicht für alle Berufsgruppen gleichermassen geeignet ist.

Sind Web-2.0-Technologien ein Thema?

Schmid: Nein. Von einem Engagement in Blogs oder anderen Interaktionsplattformen wie Second Life sehen wir zurzeit ab, da wir unsere Ressourcen für die Einführung des Talent-Management-Systems einsetzen. In der Rekrutierung nutzen wir je nach Anforderungsprofil der Stelle als ergänzendes Instrument eine Netzwerkplattform, wie beispielsweise XING.

Schweyher: Um beim Thema Recruiting zu bleiben: Die Zielgruppen sind sehr unterschiedlich. Insbesondere junge Menschen im Technologiesektor sind Webaffiner und erwarten moderne, kreative Karriereplattformen. Dieser Trend wird in der Zukunft noch sehr viel stärker werden.

Welche weiteren Voraussetzungen müssen noch für eine erfolgreiche Einführung gegeben sein?

Kähr: Für die Linie ist der Zeit- und Kostengewinn der wichtigste Aspekt. Für uns heisst das, dass wir die Vorteile deutlich machen müssen. Am besten ist es natürlich, wenn der Nutzen in Franken ausgedrückt werden kann. Neben der unbedingt nötigen Unterstützung des Managements könnte es auch helfen, wenn Umsetzungsziele in die individuellen Zielvereinba
rungen integriert werden. Beispielsweise durch Ziele der Form «innerhalb von Zeitraum X müssen zwei Personen aus deinem Team intern einen anderen Job gefunden haben».

Schmid: Wir erleben das ähnlich. Das Thema Talent Management stosst grundsätzlich auf grosse Akzeptanz. Eine Herausforderung kann aber der individuelle Zeitaufwand sein, um sich mit dem neuen Tool auseinanderzusetzen. Unser Credo ist deshalb, eine proaktive und mit der Unternehmensleitung abgestimmte Kommunikation zu betreiben, damit die zukünftigen Nutzer ausreichend informiert und im Prozess eingebunden sind. Jedes System steht und fällt mit seiner Anwendung. Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis dafür, wie das Unternehmen mit den Informationen und Daten anwenderfreundlich umgeht.

Kähr: Das spricht auch für unsere Erfahrung: Es bringt nichts, ein «Spielzeug» 
einzuführen. Man fange mit einer «Light 
Version» an, die funktioniert, einfach zu 
bedienen ist und gute Akzeptanz hat, dann machen die Anwender mit. Auf solchen Minimallösungen wird dann aufgebaut und Schritt für Schritt werden weitere Module eingeführt. Es ist ganz wichtig, von Anfang an die zukünftige Entwicklung gedanklich mitzuverfolgen und auf die «heissen Kartoffeln» zu achten.

Was können Sie als Anbieter tun, um die Akzeptanz bei Ihren Kunden zu erhöhen?

Schweyher: Aussagen wie «Ich kenne meine Talente schon, warum muss ich die jetzt irgendwo eintragen?» hören wir oft. Deshalb unterstützen wir unsere Kunden bei der Einführung einer Talent-Management-Lösung auch im Change Management und in der internen Kommunikation des Projektes. Frühzeitige Informationen an die betroffenen Mitarbeiter, ausführ
liche Schulung und ein umfangreicher Support sind aus unserer Erfahrung sehr hilfreich für die Akzeptanz des Projektes.

Wie reagieren die Talente auf ein Talent-Management-System?

Schmid: Die Reaktionen waren durchweg positiv. Die Mitarbeitenden wissen es zu schätzen, dass die Talentidentifikation und -entwicklung transparent und nachvollziehbar angegangen wird. Damit verbunden spüren wir eine erhöhte Erwartungshaltung. Bei vielen Mitarbeitenden stellt sich die Frage: «Gehöre ich auch zu den Talenten oder nicht?» Zudem lassen sich die Kriterien zur Talentidentifikation nur schwer objektivieren.

Schweyher: Die Transparenz handhaben Unternehmen ganz unterschiedlich: Manche legen völlig offen, welche Mitarbeiter als Talente angesehen werden, andere halten das komplett unter Verschluss. Im Bereich Nachfolgeplanung ist es die Regel, dass erst wenn eine Nachfolgefrage akut wird, auf die entsprechenden Mitarbeiter zugegangen wird. Bei anderen Themen wie Weiterbildung und Zielvereinbarung ist das anders. Die meisten 
Unternehmen spielen mit offenen Karten. Die Talente sehen, dass ihr Engagement und ihre Fähigkeiten erkannt und gefördert werden sollen.

Befürchtungen von Seiten des Managements, dass Mitarbeiter etwa bei der Angabe ihrer Fähigkeiten «hochstapeln», haben sich als unbegründet erwiesen.

Können Systemanbieter bei der Festlegung der qualitativen Kriterien für das Talent Management helfen?

Schweyher: Mit den Tools erreicht man Transparenz und Vergleichbarkeit, sie lösen aber nicht das Problem, dass verschiedene Prozesse hinterlegt sein müssen. Diese Auswahl muss vom Menschen gemacht werden. Unsere eigenen Berater helfen bei der Aufnahme der bestehenden Prozesse und prüfen, wie diese am besten umgesetzt werden können. Und falls noch keine Prozesse bestehen, beraten wir, wie diese Prozesse basierend auf unseren Erfahrungen und Best Practices aussehen könnten. Als Grundlage steht ein umfangreicher Kompetenzkatalog zur Verfügung, aus dem sich Unternehmen die individuellen Kriterien zusammenstellen können. Das erspart Arbeit, Zeit und Geld. Bestehende Erfahrungen können genutzt werden und trotzdem bleibt die Flexibilität, unternehmensspezifische Anforderungen in die Lösung mit aufzunehmen.

Kähr: IT ist wirklich nur ein Hilfsmittel, um Daten zu verdichten und die Basis für ein Interview oder Bewerbungsgespräch bereitzustellen. Hier ist sicher eine Grenze der IT-Systeme.

Welche anderen Grenzen gibt es noch?

Kähr: Der Datenschutz ist sicher ein Thema: Inwieweit sollen vertrauliche Daten überhaupt in einem System abgelegt werden?

Schmid: Wir haben festgestellt, dass der Datenbewirtschaftung Grenzen gesetzt sind. Ein guter Talentpool sollte auch aktuell gehalten werden. Wie stellen wir beispielsweise fest, ob jemand, der vor zwei Monaten sein Dossier hinterlegt hat, auch heute noch interessiert ist? Neben dem Ressourcenbedarf für IT entsteht hier möglicherweise ein weiterer Kapazitätsbedarf, welcher die entstehenden Datenbestände pflegt.

Worauf achten Unternehmen bei der Auswahl eines Anbieters?

Schweyher: Für viele Unternehmen spielen die Erfahrung des Anbieters und die internationale Verfügbarkeit eine ganz wichtige Rolle. Namhafte Referenzkunden, die Fragen nach der Sicherheit der sensiblen Daten und der Investitionssicherheit und nicht zuletzt die Zukunftsfähigkeit und Stabilität des Systems sind ebenso wichtige Entscheidungskriterien.

Welche Entwicklungen haben Sie in den letzten Jahren beobachtet?

Schweyher: Immer mehr Unternehmen erkennen die Bedeutung von Talent Management für eine gezielte Bindung und Förderung von Mitarbeitern. Talent-Management-Systeme werden immer breiteren Mitarbeiterschichten zugänglich gemacht. Auch Kunden, die ein System 
ursprünglich nur für ihre Kader eingeführt haben, rollen das jetzt immer weiter auch auf tiefere Ebenen aus. Web-2.0-Funktionalitäten fliessen in der grafischen Aufbereitung und Darstellung von Daten in Form von Dashboards ein und werden sich auch weiter durchsetzen. In unserem Recruiting-Modul bieten wir auch Schnittstellen zu Handys und zu Facebook an. Durch die demografische Entwicklung werden wir bald noch eine wesentlich 
stärkere Fokussierung auf das Talent Management erleben.

Die Gesprächsteilnehmer

Caroline Schmid ist Leiterin Hochschulmarketing Schweiz bei den Basler Versicherungen. Olivier Kähr ist Head of Human Resources Tools&Service Excellence bei Swisscom (Schweiz) AG.
Claudia Schweyher ist Senior Sales 
Executive bei StepStone Solutions, einem führenden Anbieter für Talent-Management-Lösungen.

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Tom Sperlich ist freier Journalist.

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