Kommunikation

Partizipation heisst nicht «Jekami»

Wie viel Partizipation muss, wie viel darf sein? Einsame Entscheide der Manager funktionieren immer weniger. Doch es bringt auch nichts, wenn alle bei allem mitreden. Gut gemeinte Versuche enden oft in Alibi-Übungen. Ein Plädoyer für mehr Aufrichtigkeit und Pragmatismus in der Mitwirkung.

Wörtlich bedeutet Partizipation Teilhaben. Aber Teilhaben woran? Matthias Mölleney, HR-Experte und Leiter des Center for Human Resources Management & Leadership der HWZ, ist da strikt. «Von echter Partizipation kann man nur reden, wenn die Mitarbeitenden an Entscheidungen beteiligt sind, die unternehmerische Auswirkungen haben.» Und das funktioniert am ehesten, wie in Deutschland, im Rahmen einer institutionalisierten Mitbestimmung. «Wirkliche Partizipation findet daher streng genommen in der Schweiz fast nicht statt», so sein Fazit.

Einsamer Kapitän oder unternehmensweites Geplapper?

Jenseits dieser Definition gibt es aber ein breites Spektrum von Möglichkeiten, die Mitarbeitenden einzubeziehen. Das beginnt bei einer guten, nachvollziehbaren Kommunikation von Entscheiden. Eine nächste Stufe ist das gezielte Einholen von Mitarbeitermeinungen und -interessen, die in den Entscheidungsprozess einfliessen. Zuletzt erst steht die aktive Beteiligung an einer Entscheidung – und die muss nicht zwangsläufig strategische Ausmasse haben.

Dass solche Formen der Mitwirkung immer wichtiger werden, weiss auch Kai Matthiesen, Partner bei der internationalen Organisationsberatung Metaplan. «Das heroische Bild des Managers als einsamer Kapitän auf der Brücke ist weder zeitgemäss noch erfolgversprechend.» Genauso wenig funktioniert es aber, wenn alle überall mitreden. «So entsteht nur unternehmensweites Geplapper, das zu nichts führt», meint Matthiesen. Denn Hierarchien sind ja gerade dazu da, Kommunikation und Komplexität zu reduzieren.

Handfeste Gründe für Mitwirkung

Wozu braucht es dann überhaupt Mitwirkung? Häufig werden als Vorteile vor allem Soft Factors wie eine höhere Zufriedenheit der Mitarbeitenden genannt. Es gibt aber auch sehr handfeste Gründe, die Mitarbeitenden einzubeziehen. Die Qualität von Entscheidungen steigt, wenn das dafür relevante Wissen möglichst vollständig vorliegt – und dieses liegt eben nicht nur beim Chef.

Gerade bei Veränderungsprozessen kommt hinzu, dass die Umsetzung ohne die Unterstützung der Betroffenen meist gar nicht möglich ist. Doch egal ob Strategiewechsel, Umstrukturierungen, Innovationen: Bei solchen Prozessen gibt es immer – vermeintliche oder tatsächliche – Verlierer und Gewinner. Deren berechtigte Anliegen gilt es zu verhandeln.

Des Mitmachens müde

In der Praxis aber findet sich viel zu häufig Pseudo-Partizipation statt echter Mitwirkung. Es gilt der Schlachtruf «Jekami – jeder kann mitmachen!» «Die Manager hören immer wieder, sie müssten die Leute einbeziehen», beobachtet Mölleney, «und dann kommt noch ein Berater daher und verkauft ihnen eine Umfrage. Mit echter Partizipation hat das nichts zu tun.»

So wird oft nur Datenmüll produziert, der in keiner Weise in die Entscheide einfliesst. Denn häufig steht der Entschluss schon im Vorfeld fest. Oder man stellt erst nach der Befragung fest, dass man die falschen Fragen gestellt hat. Oder die falschen Leute gefragt. Dies ist nicht nur unsinnig, sondern sogar kontraproduktiv. Denn nach mehrfacher Teilnahme an solchen Alibi-Übungen wird auch der geduldigste Mitarbeitende des Mitmachens müde.

Die Lösung liegt in der Begrenzung. Statt «Jekami» gilt also «Wekabei? – wer kann beitragen?». Die Aufgabe der Führung besteht dann darin, zu entscheiden, wer mit wem über was zu reden hat. Und das funktioniert so:

  • Erstens: Entscheiden, ob überhaupt eine Mitwirkung sinnvoll ist. Viele Entscheide kann ein Manager durchaus alleine fällen. Bei einigen ist er aber auf die Mithilfe anderer angewiesen (siehe Kasten).
  • Zweitens: Identifizieren, welche Mitarbeitenden zum Thema beitragen können. Weil sie relevantes Wissen oder eine besondere Perspektive dazu haben. Weil sie in die Umsetzung involviert oder besonders davon betroffen sind.
  • Drittens: Einen durchdachten und geführten Prozess aufsetzen, in dem die Beteiligten ihre Meinungen, Ideen oder Interessen zum Thema gezielt einbringen können. Und die so gewonnenen Einsichten ernsthaft in die Entscheidung einbeziehen.
  • Und zu guter Letzt: Die gefällten Entscheide nachvollziehbar kommunizieren und offenlegen, wie die Argumente der Mitarbeitenden eingeflossen sind – selbst wenn am Ende anders entschieden wurde.

Umstrukturierung im BAKOM

Ein Beispiel, wie ein solcher Prozess aussehen kann, findet man beim Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) in Biel. Vor drei Jahren übernahm Philipp Metzger die Leitung der Abteilung Telekommunikation mit 60 Mitarbeitenden. Ihm war rasch bewusst, dass es dort gewisse Veränderungen brauchte. «Als Newcomer hätte ich diese aber niemals top-down anordnen können», sagt Metzger heute.

Also suchte er zunächst den Dialog im Führungsteam. Man legte gemeinsam fest, was sich ändern sollte: Verantwortlichkeiten, Strukturen, Schnittstellen, aber auch «weiche» Themen wie Führung. Anschliessend wurde ein Projektteam etabliert, zu dem neben dem Führungsteam zwei Mitarbeitende aus den Sektionen zählten. «Diese waren unsere Brücke zur Basis», berichtet Metzger.

In einer Serie von Workshops erarbeitete das Projektteam Lösungen zu den identifizierten Themen. Die Mitarbeitenden wurden dabei punktuell immer wieder einbezogen. So fanden Abteilungsmeetings statt, bei denen die Lösungsoptionen des Projektteams kritisch reflektiert wurden. Daneben gab es Workshops zu Einzelthemen, um spezifisches Wissen von der Basis abzuholen. «Wir haben die Meinung der Mitarbeitenden immer ernst genommen», erzählt Metzger. «Aber natürlich musste ich als Chef am Ende auch Dinge selbst entscheiden.»

Mit dem Ergebnis ist er durchweg zufrieden: «Die meisten Themen haben wir heute erfolgreich umgesetzt. Wir haben ein sehr stabiles Team, eine gute Zusammenarbeit. Und wir haben deutlich an Effizienz gewonnen.» Das bestätigen auch die Ergebnisse einer Mitarbeiterumfrage. Allerdings zog sich der Prozess von der Erarbeitung über die Umsetzung über fast 18 Monate hin. «Vielleicht war gerade diese lange Zeit wichtig, um ein gemeinsames Verständnis herzustellen und Vertrauen aufzubauen», so Metzgers Fazit.

Innovation bei Ringier

Auch einzelne Veranstaltungen können gute Gefässe sein, Mitarbeitende und Führungskräfte einzubeziehen. Ein Beispiel ist die Ringier Management Conference 2011 zum Thema Innovation. «Wie bringt man 100 Menschen aus aller Welt dazu, sich gemeinsam mit Innovation zu beschäftigen?», fragt Matthias Graf, Leiter Kommunikation bei Ringier. «Wir wussten, es wird nicht einfach.»

Schon im Vorfeld gab es daher eine spezielle Konferenz-Website, auf der sich unter anderem Artikel zur Innovation fanden. Zudem wurden in einer Umfrage die Teilnehmenden dazu angeregt, sich mit dem Konferenzthema auseinanderzusetzen und innovative Ideen für Ringier zu entwickeln. «Diese Vorbereitung war sicher mit entscheidend für den Erfolg der Konferenz», so Graf.

Am ersten Tag der Konferenz wurden in vier «Breakout Sessions» Beispiele erfolgreicher Innovation bei Ringier vorgestellt und diskutiert. Am zweiten Tag ging es dann richtig zur Sache: Moderierte Kleingruppen zu zwölf Personen bearbeiteten die Ideen, welche in der Umfrage gesammelt worden waren. Dabei wurden diese verfeinert und ausgesiebt, bis am Ende acht Ideen übrig waren. «Es war ein extrem kompakter Prozess, in dem hochkonzentriert gearbeitet wurde», erinnert sich Graf.

Die letzten acht Ideen wurden im Plenum vorgestellt. Und das so überzeugend, dass die Geschäftsleitung spontan je ein kleines Team mit der weiteren Ausarbeitung beauftragte. «Es ist noch zu früh, zu sagen, was konkret dabei herauskommt», sagt Matthias Graf. «Aber fest steht: Hier sind viele gute Ideen entstanden, die in den Alltag bei Ringier einfliessen werden.»

Auf lange Sicht effizienter

Diese Beispiele belegen: Mitwirkung kann gelingen, wenn sie pragmatisch und aufrichtig angegangen wird. Doch sie ist nicht umsonst zu haben; partizipative Prozesse brauchen Zeit und Ressourcen. Trotzdem sind sie auf lange Sicht oft effizienter. «Bei vielen Entscheidungen ist nicht die Frage, was es kostet, die Mitarbeitenden einzubeziehen», konstatiert Kai Matthiesen, «sondern vielmehr, was es kostet, dies nicht zu tun.»

Wann sollten Sie Ihre ­Mitarbeitenden einbeziehen?

  • Wenn Sie Wissen, Energie und Ideen Ihrer Mitarbeitenden nutzen wollen
Wenn es unterschiedliche Perspektiven und Interessen zu berücksichtigen gilt
  • 
Wenn eine Umsetzung ohne die Unterstützung Ihrer Mitarbeitenden nicht möglich ist

  • Wenn es bei der Ausgestaltung der Lösung einen relevanten Spielraum gibt
  • 
Wenn Sie bereit sind, sich ernsthaft auf diesen Prozess einzulassen und in ihn zu investieren

 

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Cordula Rieger ist Partnerin bei Enzaim und Beraterin für Organisationsentwicklung. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind Veränderungsmanagement, Organisationskultur und interne Kommunikation. 


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