Beruf und Familie

«Plötzlich sind alle immer daheim»

Microsoft Schweiz hat nicht nur den Home Office Day ins Leben gerufen, sondern lebt die Heimarbeit-Philosophie konsequent. Steht nicht gerade ein Kundentermin an, können die Mitarbeiter kommen und gehen, wann sie wollen. Für René Villiger, Leiter Personal, ist das ein grosser Produktivitätsfaktor.

Herr Villiger, arbeiten Sie von zu Hause aus?

René Villiger: Ja. So zweimal die Woche je einen halben Tag nutze ich diese Möglichkeit. Oder auch am Abend, wenn ich den Tag über viele Sitzungen hatte.

Welche Erfahrungen machen Sie damit?

Es macht sehr flexibel und ungebunden. Ich muss die Arbeit nicht unbedingt im Geschäft zu Ende bringen, sondern kann beispielsweise weiterarbeiten, nachdem ich mit der Familie Znacht gegessen und die Kinder ins Bett gebracht habe.

... klingt ja traumhaft ...

In puncto Flexibilität ist es das auch. Man kann nachmittags um drei Sport treiben, wenn das Wetter schön ist, oder was mit den Kindern unternehmen. Aber jeder Mitarbeiter muss sich eindeutig strukturieren und den Tag in Arbeits- und Nichtarbeitszeit einteilen.

Haben Sie Ihre Mitarbeiter darauf vorbereitet?

Ja. Wir schulen zum einen unsere Manager. Es ist sehr zentral, wie sie damit umgehen, wie sie führen und was sie gewähren. Aber auch den Mitarbeitenden bieten wir Trainings zum Thema Work-Life-Balance und Selbstmanagement. Oft realisieren die Mitarbeitenden erst mit den Trainings, welche Flexibilität sie tatsächlich haben. Zum Teil schränken sie sich selbst ein, weil sie das 
Arbeiten anders gelernt haben, und müssen quasi über ihren eigenen Schatten springen.

Sind davon alle begeistert?

Nein. Es gibt immer auch Menschen, die gern an einen Arbeitsplatz kommen und 
Flexibilität gar nicht so lustig finden. Das haben wir im Vorfeld analysiert, um zu wissen, wie wir die Arbeitsplätze gestalten.

Ist Anwesenheit gar kein Thema mehr?

Bei Kundenterminen oder Meetings schon. Aber abgesehen davon führen wir nur noch über Ziele. Jeder kann kommen und gehen, wann er will, und es ist nicht verdächtig oder auffällig, wenn jemand um zehn kommt und um drei geht. Sprüche wie: «Na, einen halben Tag frei genommen?», wenn jemand um 17 Uhr Feierabend macht, hört man bei uns nicht.

Was ist mit der Gefahr, dass einzelne Mitarbeiter nicht mehr genügend arbeiten?

Bei einer stringenten Führung über die Ziele wird es über kurz oder lang schwierig, das aufrechtzuerhalten. Natürlich: Es gibt immer die zehn Prozent, die extrem viel arbeiten, und die zehn Prozent, die sich so organisiert haben, dass sie es eher locker haben. Aber es geht dabei wirklich nicht darum, die Leute auszupressen, sondern sie auf einem sinnvollen Leistungsniveau zu haben. Auch über das Jahr gesehen: Wir müssen lerne, damit umzugehen, dass nicht immer alle in gleichem Masse ausgelastet sind. Es gibt immer Zeiten mit hoher Belastung, aber es muss auch mal solche geben, in denen es entspannter läuft und der Mitarbeiter nicht sofort wieder bis zur Belastungsgrenze mit neuen Projekten eingedeckt wird.

Wie funktioniert Ihr Modell konkret?

Alle Mitarbeitenden werden klassifiziert bezüglich der Notwendigkeit, einen festen oder mobilen Arbeitsplatz zu haben. Es gibt also beispielsweise Mitarbeiter, die zu 100 Prozent fix an ihrem Platz sein müssen, weil sie gewisse nicht digitale Dokumente brauchen, beispielsweise in der Rechtsabteilung. Demgegenüber gibt es dann solche, die wirklich komplett mobil arbeiten können.

Wie gehen Sie damit um, wenn eine Führungskraft aus einer von Anwesenheit geprägten Unternehmenskultur zu Ihnen kommt?

Wir würden wahrscheinlich niemanden einstellen, der diese Einstellung stark vertritt. Natürlich gibt es Branchen oder Jobs, die sich nicht für mobiles Arbeiten eignen. Aber wir sind darauf angewiesen, dass jede neue Führungskraft damit umgehen kann und auch Freude hat. Sie sind die Schlüsselpersonen: Auf der einen Seite sind sie selbst betroffen und müssen sich organisieren. Auf der anderen Seite sollen sie aber auch Role Model sein und ihren Leuten Hilfe bieten können und das Team organisieren.

Gibt es feste Wochentage für Team-Meetings?

Bei neuen Sachen gibt es immer die Tendenz zur Übertreibung: Plötzlich sind alle immer daheim und jeder fragt sich, ob er überhaupt noch ein Team hat. Diese Erfahrung haben wir auch gemacht. Deshalb wird es künftig die «Rules of Engagement» geben – ein Regelwerk, das sich die Teams gemäss vorgegebener Richtlinien selbst geben können.

Sie sagten, dass es nicht für jedes Unternehmen das richtige ist. Glauben Sie also nicht, dass dieses Konzept in 20 Jahren so gelebt wird wie bei Ihnen?

Bei den informationsverarbeitenden Branchen und Jobs wird die Zahl der flexibel arbeitenden Menschen rasant zunehmen. Dort werden noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Beim Home Office geht es ja nicht bloss um den Ort der Arbeit. Das ist ein Produktivitätsthema. Studien haben ergeben, dass man die Produktivität durch flexibles Arbeiten um bis zu 30 Prozent steigern kann. Sie kennen das: Der Kollege kommt vorbei und fragt, ob man mal zwei Minuten hat, und dann diskutiert man etwas, woran man gerade nicht gearbeitet hat. Danach braucht man im Schnitt acht Minuten, um sich wieder in das reinzudenken, was man vorher getan hat. Fallen diese Unterbrechungen weg, ist das ein riesiger Produktivitätsgewinn. Auch unser Konzept, nicht alles an einem Schreibtisch zu machen, geht in diese Richtung. Wir haben Räume und Nischen geschaffen, zum Telefonieren, für Sitzungen oder als Ruhezonen. So wird die Arbeit nach ihrer Natur strukturiert und nicht nach einem Ort.

Es gibt ja heute schon sehr viele Wissensarbeiter, bei denen es theoretisch möglich wäre, von fern zu arbeiten. Die meisten sitzen dennoch brav in ihren Büros. Was ist das Problem?

Das fragen wir uns auch (lacht). Ich glaube, das liegt in den meisten Unternehmen an der Führungskultur, die nach wie vor stark von Kontrolle geprägt ist – nach dem Motto: Nur wer präsent ist, arbeitet auch. Da werden Aktivitäten gemessen statt Ziele. Dabei kann jemand an seinem Arbeitsplatz sehr engagiert aussehen, ohne viel zu tun. Davon müssen sich die Führungskräfte lösen, und diese Hürde ist grösser, als man denkt. Denn es braucht ein neues Denken und kulturelle Veränderungen hin zu einer Vertrauenskultur.

Wieso haben Sie den Home Office Day ins Leben gerufen?

Wir wollten, dass auch unsere Kunden und Partner von unseren Erfahrungen profitieren können. Gute Technologie verkaufen heute viele. Unser Mehrwert ist es, auch aufzuzeigen, wie sie eingesetzt werden kann. Zudem wollen wir einen Beitrag leisten, um das Thema in der Schweiz voranzubringen: So banal das Thema klingen mag, wir sind überzeugt, dass es den ganzen Wirtschaftsstandort voranbringen kann und zentral ist für den internationalen Wettbewerb.

Ein Tag ist doch höchstens ein Tropfen auf den heissen Stein ...

Im Moment schon. Es lässt sich vielleicht mit dem Thema Gesundheitsmanagement vergleichen: Wenn die Führungskräfte ihre Mitarbeiter ermutigen, die Treppe statt den Lift zu nehmen, bringt das erst mal nicht viel. Aber das Thema kommt auf die Agenda, und das ist hier hoffentlich ähnlich.

Welche Rolle spielt das HRM in diesem Prozess?

Eine ganz wichtige. Ich wage sogar zu behaupten, dass das HR noch nie eine so grosse Chance hatte, eine Rolle zu spielen, die einen so riesigen Impact aufs Unternehmen hat. Ich rate allen HR-Kollegen, bei diesem Thema Begeisterung zu wecken. Aber: Es ist nicht nur ein HR-Thema. Es ist ein Produktivitätsthema, das jeden CEO und jede GL interessieren sollte.

Wie reagieren Ihre HR-Kollegen aus anderen Firmen?

Die meisten sind begeistert, wenn sie uns besuchen. Bei vielen wird noch deutlich anders gearbeitet, in Einzelbüros ohne jeden Austausch. Aber ich warne sie auch davor, mit der Tür ins Haus zu fallen. Es braucht den kulturellen Nährboden.

René Villiger

ist seit 2005 Leiter Personal bei Microsoft Schweiz. Vor seinem Einstieg bei Microsoft war er mehrere Jahre bei IBM Schweiz als Personalbereichsleiter sowie HR Operations Lead tätig. René 
Villiger hat die HWV Luzern (heute Fachhochschule) abgeschlossen und sich in den Bereichen HR-Management, Coaching 
und Führung an verschiedenen Instituten weitergebildet. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Checkliste für Vorgesetzte

Sie möchten mit Ihrem Team am Home Office Day teilnehmen. Folgende Punkte können helfen, sich und Ihr Team auf den Tag vorzubereiten:

  1. 
Klären Sie, wer an dem Tag von zu Hause aus arbeiten will und wer nicht.
  2. 
Gibt es Bedenken wegen der technischen Seite des Home Office? Klären Sie dies vorab und stellen Sie sicher, dass Ihr Team Zugriff auf die benötigten Kommunikationsmittel hat.
  3. 
Wenn Sie in Ihrem Team neue Formen der virtuellen Kommunikation ausprobieren möchten, machen Sie sich vorab vertraut, beispielsweise in einem Team-Meeting, bei dem auch gleich alle sehen können, wie es geht.
  4. 
Terminieren Sie für den Home Office Day ein virtuelles Meeting – eine gute Möglichkeit, sich an diese Form der Kommunikation zu gewöhnen. Tauschen Sie sich im Team aus über Ihre Erfahrungen während des Tages – wenn möglich über die Home Office Day Website, so dass auch andere Firmen an Ihren Erfahrungen teilhaben können.

Tipps für den ersten Home Office Day

Was Sie unbedingt beachten sollten, wenn Sie Ihren Mitarbeitern effizientes Arbeiten von zu Hause ermöglichen wollen:

  1. Ziele und Verhaltensregeln: Vereinbaren Sie mit Ihren Mitarbeitern Ziele für das Arbeiten von zu Hause und Regeln (beispielsweise Erreichbarkeit, kurze Feedbacks zum Arbeitsfortschritt, Zuständigkeiten bei Problemen).
  2. 
Hürden beseitigen: Beseitigen Sie alle Hürden (technologisch, organisatorisch) und sorgen Sie für Akzeptanz von Home Office.
  3. 
Sicherheit und Datenzugriff: Die Mitarbeitenden müssen einfach auf die benötigten Daten zugreifen können. Gleichzeitig darf die Sicherheit des Firmennetzwerkes nicht beeinträchtigt werden.
  4. 
Eigenverantwortung: Legen Sie das veraltete Modell der Führungskraft als «Kontrolleur» ab und agieren Sie mehr in der Rolle eines «Ermöglichers» (Enabler).
  5. 
Erreichbarkeit: Ihre Mitarbeiter müssen in dringenden Fällen während der Arbeitszeit im Home Office für Kunden und Kollegen erreichbar sein. Vor allem Telefon und E-Mail sind dafür unerlässlich, auch Instant Messaging ist als Tool sehr geeignet.
  6. 
Equipment und Tools: Ihre Mitarbeiter sollten über eine adäquate IT-Ausrüstung im Home Office verfügen. Wichtig ist auch, dass Sie Ihren Mitarbeitern zu Hause dieselben Tools und Programme zur Verfügung stellen, die sie auch im Büro für ihre Arbeit nutzen.
  7. 
Verifizieren Sie mit Ihrem internen Home-Office-Day-Ansprechpartner, dass Ihr Team den notwendigen Zugriff und Kommunikationsmittel hat und klar ist, wie Kommunikationskosten getragen werden.
  8. 
Kommunizieren Sie Ihre Beweggründe, warum Sie und Ihr Team am Home Office Day mitmachen.
  9. 
Stimmen Sie mit Ihrem Team die Erwartungen klar ab. Ist die Home Office-Day-Teilnahme
    • eine einmalige Sache,
    • 
ein Experiment, das auch in der Zukunft zur Anwendung kommen könnte?
  10. 
Besprechen Sie, ob Sie gemeinsame virtuelle Meetings abhalten möchten oder ob jeder etwas konzentriert erledigt, was sonst schwierig zu tun ist.

    Quelle: www.homeofficeday.ch

 

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