Prävention statt Eskalation: Stressregulierer sind gefragt wie nie
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Stress als eine der grössten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts identifiziert. Er belastet Menschen und Unternehmen gleichermassen. So genannte Stressregulierungs-Trainer avancieren deshalb zu gefragten Spezialisten. In Deutschland wird ab 2010 für diese speziellen Trainer eine neue Ausbildung angeboten, die es in der Schweiz schon länger gibt.

(Foto: zVg)
Stress betrifft laut einer Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für berufsbedingte Risiken fast jeden vierten Berufstätigen, und etwa 50 bis 60 Prozent aller Fehltage in Unternehmen sind auf Stress zurückzuführen. Damit stellt Stress nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Unternehmen ein immenses Problem dar. Denn wenn Mitarbeitende ausfallen, geht nicht nur Arbeitszeit, sondern auch Geld verloren.
Gestresste Mitarbeiter machen nachweislich mehr Fehler. Bei anhaltendem Druck kommt es ausserdem nicht selten zu körperlichen Folgen wie Migräne, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Muskelbeschwerden – was wiederum zu Fehltagen führt, die den Arbeitgeber teuer zu stehen kommen. In Deutschland belaufen sich die stressbedingten Ausfallkosten auf etwa 80 Milliarden Euro pro Jahr. In der Schweiz liegen sie bei etwa 5 Milliarden Euro jährlich. Generell gehen Experten von etwa drei Prozent des Bruttosozialprodukts aus – ein Grund, warum das Thema «Psychosoziale Gesundheit und Kompetenz» als mögliche Determinante des nächsten Kondratieff-Zyklus diskutiert wird.
In grossen Unternehmen lohnt sich ein eigener Stress-Experte
Personalmanager stellen sich also vermehrt die Frage, wie Stress im Unternehmen verhindert oder gemindert werden kann. Dabei zahlt sich Stressprävention schnell und nachhaltig aus: Michael Kastner, Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke, beziffert die Rentabilität: «Eine Investition von 1 Euro in eine moderne Gesundheitsförderung zahlt sich nach drei Jahren mit mindestens 1,8 Euro aus.»
Ein britisches Beispiel: 2005 erhielt die London Underground den UnumProvident Healthy Workplaces Award, den Unternehmensgesundheitsschutz-Präventionspreis, der Britischen Regierung. Alle 13 000 Mitarbeiter der London Underground hatten seit 2003 ein Stressregulierungsprogramm durchlaufen. Die Organisation wurde angepasst, die Vorgesetzen auf Früherkennung und stressreduzierende Arbeitstechniken geschult und alle Mitarbeiter über die Gefahren von Stress und Burnout aufgeklärt. Das Ergebnis war verblüffend. Die Kosten, die durch Fehlzeiten der Arbeitnehmer entstanden waren, reduzierten sich um 455 000 britische Pfund, was sogar einen Return on Investment von 1:8 entsprach. Ausserdem verbesserte sich die Unternehmenskultur deutlich.
Stressregulierungstrainings für Fach- und Führungskräfte sind eine Massnahme, die Verantwortlichen für das Thema «Stress» zu sensibilisieren. In grossen Unternehmen kann es darüber hinaus sinnvoll sein, Personalverantwortliche oder Betriebsräte selbst zum Stressregulierungstrainer auszubilden, damit sie intern ihr Wissen weitergeben. So können sie auf der einen Seite die Gesundheit der Mitarbeiter verbessern und auf der anderen Seite das Unternehmen kostenmässig entlasten. Auf dem Schweizer Markt bietet diese Ausbildung zum Beispiel das «Schweizerische Zentrum für Stressforschung» an. Über zwölf Monate verteilt lernen die Teilnehmer hier, welche Warnsignale wichtig sind und wie sie gestressten Menschen helfen können, sich von dem ständigen Druck zu befreien.
Stress kennt keine Grenzen – weder gesellschaftliche noch nationale
Die Nachfrage spricht für das Angebot: Mittlerweile haben 300 Personen diese diplomierte Zusatzausbildung erfolgreich absolviert. In Deutschland kommt ab Februar 2010 ebenfalls eine entsprechende Ausbildung auf den Markt – allerdings liegt bei diesem Angebot der Fokus noch stärker auf der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung und ist dem globalen Wettbewerbsmarkt angepasst. An 22 Modultagen lernen die Teilnehmer einiges über die medizinischen Grundlagen, Lehr- und Lernmethodik, Handlungsempfehlungen für Beruf und Privatleben, Ernährung und Bewegung. Am Ende steht die Prüfung zum «Zertifizierten Stressregulierungstrainer». Das Ziel ist es, die Teilnehmer zu befähigen, andere Menschen zu einer besseren Stressregulierung anzuleiten. Fragestellungen wie «Woran erkenne ich einen gestressten Mitarbeiter?», «Welche Änderungen im Arbeitsumfeld sind nötig?» und «Wie kann der Einzelne seinen Stress besser regulieren?» stehen im Mittelpunkt.
Dass das Thema auch international die Unternehmen bewegt, zeigt das bekundete Interesse aus anderen Ländern: So wird der erste deutsche Anbieter zusammen mit einem Kooperationspartner die Ausbildung auch in der Türkei ab Herbst nächsten Jahres anbieten. Stress kennt leider keine Grenzen – weder gesellschaftliche noch nationale.