HR Today Nr. 4/2018: Recruiting

Recruiting und Personalmarketing 2018: Die 6 wichtigsten Trends

Welche Themen und Phänomene werden die Personalgewinnung in nächster Zeit prägen? HR-Blogger Henner Knabenreich erläutert sechs Trends, die derzeit ungebremst auf Recruiting und Personalmarketing zurollen.

Trend 1: Facebook und Google

Bereits im Februar 2017 launchte Facebook sein Jobbörsen-Feature «Jobs on Facebook». Mit einiger Verzögerung wurde es in den letzten Wochen in 40 weiteren Ländern ausgerollt und macht auch vor der Schweiz nicht halt. Ab sofort können Unternehmen auf Facebook Jobausschreibungen schalten und damit zusätzliche Reichweite erzielen. Was insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen interessante Optionen eröffnet. Sichtbar sind die Jobs auch für Nutzer, die nicht bei Facebook registriert sind, wobei eine Bewerbung allerdings nur im eingeloggten Zustand möglich ist.

Spannend wird auch der Markteintritt von «Google for Jobs». Googles eigene Jobbörse startete im Juni 2017 in den USA. Mit einiger Verzögerung wurde Google for Jobs seither im Februar in Lateinamerika und im März in Südafrika, Kenia und Nigeria ausgerollt. Doch auch vor Europa wird Google kaum Halt machen, hat sich die neue Jobsuchmaschine in der weltweit dominierenden Suchmaschine bisher doch bestens bewährt und wurde sie doch sukzessive um verschiedene Features erweitert.

So werden dem Nutzer etwa Jobs im unmittelbaren Umkreis seines Wohnorts vorgeschlagen – Anzeige des optimalen Arbeitswegs via Google Maps inklusive. Auch das Gehalt sowie Arbeitgeberbewertungen werden dem Nutzer angezeigt. – Wohlgemerkt, ohne dass er die Seite von Google verlassen, beziehungsweise die Jobbörse oder Website aufrufen muss, auf der die Stelle im Original ausgeschrieben und von der Google-Suchmaschine gefunden wurde. Erst wenn die Bewerbung ausgelöst werden soll, werden die Nutzer auf die jeweilige Zielseite weitergeleitet, um dort die Bewerbung beenden zu können. Zweifellos bequem für den Nutzer – eine Herausforderung allerdings für die Jobbörsen.

Für rekrutierende Unternehmen bedeutet das, umso mehr in ihre Suchmaschinenoptimierungsmassnahmen investieren zu müssen, damit die Stellenangebote auch Beachtung finden. Möglich ist das, indem man Stellenanzeigen auf Basis so genannter strukturierter Daten aufbaut. Während Unternehmen auf ihren Karriereseiten, aber auch Jobbörsenbetreiber und Anbieter von E-Recruiting-Software hier noch gründlich nachbessern müssen, sind bei Facebook die Jobanzeigen bereits nach diesem Schema gestaltet. Und damit auch auf Google for Jobs prominent sichtbar. Was eben insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen freuen dürfte, die nun relativ einfach von einer grösseren Reichweite und infolgedessen von mehr Bewerbern profitieren können.

Trend 2: Freelancer-Matching-Plattformen

Der Arbeitsmarkt entwickelt sich in vielen Bereichen. Weg von einem Arbeitgeber- hin zu einem Bewerbermarkt. Weg von der klassischen Festanstellung hin zum Freiberufler-Dasein. Tatsächlich hat sich die Zahl der Suche nach Freelancer-Jobs zwischen 2015 und 2017 fast verdoppelt.

Und so gibt es in logischer Konsequenz mittlerweile zahlreiche Anbieter, über deren App oder Website der passende Freiberufler mit wenigen Mausklicks gebucht und bezahlt werden kann. Dazu zählen auch Schweizer Firmen, wie «Coople» (ehemals Staff Finder) oder das Start-up «Gigme» (sehr passend für die so genannte Gig-Economy).

Auch die grossen Temporärpersonaldienstleister drängen auf diesen Markt: Mit «Twago» hat Randstad jüngst eine solche Matching-Plattform lanciert, während hinter der Plattform «Yoss» der Adecco-Konzern steht.

Die Freelancer-App «Moonlighting» gehört mittlerweile sogar zu den erfolgreichsten Apps bei iTunes. Diese App basiert übrigens auf der Blockchain-Technologie, die das Zeug hat, Transaktionen im Internet für immer zu verändern, womit auch das Recruiting davon betroffen sein wird. Es ist nur logisch, dass im Fall von Moonlighting auch die Bezahlung via Kryptowährung abgewickelt wird.

Letztendlich sind diese Apps ein simpler und – verglichen mit den heute wie selbstverständlich genutzten Messenger-, Banking-, Shopping- und sonstigen Apps – nur ein konsequenter Schritt, von dem viele Bewerbungsprozesse allerdings noch meilenweit entfernt sind. Meilen allerdings, die im immer enger werdenden Bewerbermarkt über Erfolg oder Misserfolg im Recruiting entscheiden können und damit im Extremfall auch für die Existenz eines Unternehmens überlebenswichtig sind, weshalb die Optimierung der Bewerbungsprozesse dringend angegangen werden müsste.

Trend 3: Active Sourcing

Apropos Bewerbungsprozesse: Bei vielen Vakanzen reicht es bekanntlich längst nicht mehr aus, einfach nur eine Stelle zu schalten und auf Bewerber zu warten. Abgesehen davon, dass es natürlich sehr stark davon abhängt, mit welchen Inhalten eine Stellenanzeige einen Interessenten zur Bewerbung motiviert, ist das Zeitalter von «Post & Pray» dank einer stark angespannten Arbeitsmarktsituation längst vorbei.

Die richtig guten Talente sind längst im Job und gar nicht aktiv auf der Suche. Da viele Mitarbeiter jedoch keine grosse Bindung zu ihrem Arbeitgeber haben, gibt es einen hohen Prozentsatz, der sehr wohl wechselwillig ist. Ideale Voraussetzungen also, um solche Kandidaten für sich zu gewinnen. Deshalb wird die Bedeutung von Active Sourcing immer grösser.

Active Sourcing steht für das Suchen, Finden und Begeistern von Talenten und potenziellen Kandidaten. Jeder dieser einzelnen Prozessschritte benötigt spezifisches Know-how. Professionalität gegenüber Kandidaten und Kunden steht beim Active Sourcing im Mittelpunkt. Das Problem dabei: Immer mehr Dienstleister wie auch Recruiter (die ja eigentlich qua Spezialisierung Sourcer sein sollten) springen auf diesen Zug auf. Und leider auch viele Unqualifizierte.

Einen Kandidaten mittels Boolescher Suchketten oder Xing-Talentmanager zu identifizieren, ist mit einiger Übung kein Kunststück. Die richtige Kandidatenansprache hingegen schon. Denn da ist viel Empathie gefragt. Daran sowie an der oben erwähnten Professionalität mangelt es allerdings nicht selten.

Und so erfolgt die Ansprache in vielen Fällen eher mit der Giesskanne, statt individuell auf die jeweiligen potenziellen Kandidaten einzugehen. Nicht selten sind auch die der Suche zugrunde liegenden Stellenprofile nicht mit der Realität am Arbeitsmarkt kompatibel. So können die Bemühungen um einen SAP-Spezialisten noch so gross sein: Ein solcher dürfte wohl nie eine auf ein Jahr befristete Stelle annehmen.

Beim Sourcing wird oft missverstanden, dass dieses Instrument nicht der unmittelbaren Stellenbesetzung dient, sondern es zunächst einmal um den Aufbau eines Talentpools und um Beziehungspflege geht. Dieses unqualifizierte Vorgehen führt dazu, dass viel Erde verbrannt wird und sich die richtig guten Talente mehr und mehr vor solchen Anfragen abschotten. Teilweise ziehen sie sich sogar bereits aus entsprechenden Netzwerken zurück.

So kommen Studien zum Schluss, dass knapp die Hälfte der umschwärmtesten Talente durch Active Sourcing genervt sind. Zum einen, weil die Anfragen nicht zu den Fähigkeiten passen oder weil sie zu standardisiert und ohne Bezug zum Profil formuliert werden.

Abgesehen davon kann der alleinige Einsatz von Active Sourcing keine Berge versetzen. Entscheidend ist der Mix an einzelnen Massnahmen. Möglicherweise bringt ja die EU-Datenschutzgrundverordnung etwas Ruhe in das Ganze.

Trend 4: Datenschutzgrundverordnung

Eigentlich ist es ja schon verwunderlich, wie wenig Staub die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in der Recruiting-Welt bisher aufgewirbelt hat, die nach zwei Jahren Vorlaufzeit am 25. Mai nun endgültig in Kraft tritt. Die DSGVO ist quasi die europäische Rechtsgrundlage für den Datenschutz. Auch für alle Schweizer Firmen, die mit Mitarbeitern (beziehungsweise Kunden) im EU-Raum in Austausch stehen, sind die neuen Vorschriften rechtlich bindend.

Doch in Umfragen gaben lediglich 40 Prozent aller Schweizer Befragten an, Massnahmen ergriffen zu haben, um die EU-Gesetzgebung einhalten zu können. Was die DSGVO so brisant macht, sind vor allem die abschreckenden Strafen: Je nach Verstoss können Bussgelder von bis zu 20 Millionen Euro oder zwei bis vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes als Strafe fällig werden.

Das Thema hat auch eine Bedeutung fürs Recruiting, denn gemäss Artikel 2 gilt die Rechtsnorm «für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen». Die Verarbeitung von Bewerberdaten gehört bekanntlich zum Daily Business eines Recruiters.

Was insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, die bisher ihre Recruiting-Prozesse per Outlook, Excel und auf Papier managten, eine echte Herausforderung darstellt, kann für andere eine Chance sein. So bietet die DSGVO doch eine Steilvorlage, endlich eine vernünftige E-Recruiting-Software einzuführen (oder sich von veralteter HR-Software zu trennen).

Damit eröffnet sich die Gelegenheit, den Recruiting-Prozess komplett neu aufzustellen und endlich auch für die notwendige Transparenz zu sorgen, die in vielen Unternehmen de facto nicht gegeben ist und deshalb eine negative Candidate Experience fördert. Damit bietet die Einführung der DSGVO auch in Budget-Verhandlungen ein unschlagbares Argument für Investitionen in die HR-IT, die als Nebeneffekt zu effizienterem und schnellerem Recruiting führt. Man nutze das Momentum!

Weitere Checklisten

Trend 5: Künstliche Intelligenz

Auch 2018 wird natürlich von Digitalisierung und Automatisierung geprägt: Recruiting-Chatbots und Sprachassistenten wie Alexa, die mehr als nur Regel- oder Entscheidungsbaum-basiert arbeiten und einen echten Mehrwert bieten, oder auch Matching-Systeme werden an Fahrt und Qualität gewinnen und das Recruiting komfortabler gestalten.

So kann ein Chatbot beispielsweise zu einer positiven Candidate Experience beitragen, indem er Nutzer direkt auf Stellen aufmerksam macht, Fragen beantwortet und durch den Bewerbungsprozess führt. Ebenso wären via Chatbot (oder Amazons Alexa) Terminvereinbarung und Abstimmung technisch machbar.

Das Tolle daran: Während Recruiter irgendwann mal Feierabend oder Wochenende haben, sind die «Bot-Kollegen» rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr im Einsatz. Allerdings sind die bisher verfügbaren Systeme noch nicht vollumfänglich marktfähig. Es ist eben auch bei den Bots noch kein Meister vom Himmel gefallen.

Auch die Vorauswahl von Kandidaten ist dank Anwendungen, die auf Machine Learning basieren, einfacher. Recruiter bekommen per automatisierte Auswertung von Kandidatenprofilen aus vielen verschiedenen Kanälen die für die jeweilige Stelle oder zuvor definierten Kulturkriterien passenden Bewerber angezeigt. Ob eine Bewerbervorauswahl durch maschinelle Intelligenz sogar sprachbasiert möglich ist, wird zwar vom Anbieter versprochen, mutet aber heute noch stark wie Science-Fiction an.

Ohne Frage jedoch bietet die Auswertung von Kennzahlen (die in der Regel in jeder Organisation vorhanden sind) durch clevere Algorithmen wertvolle Hinweise auf schlummernde Potenziale im Unternehmen oder den Erfolg einzelner Recruiting-Kanäle. Das Ganze nennt sich dann HR- oder besser «People»-Analytics und wird in Zukunft immer wichtiger werden.

Trend 6: Neues Recruiter-Mindset

Klar: Künstliche Intelligenz ersetzt kein Bauchgefühl und schon gar kein offenes Recruiter-Mindset. Das wiederum ist dringend erforderlich, um dem sich verschärfenden Wettbewerb um Fachkräfte und dem Einsatz neuer Technologien Rechnung zu tragen. Hier indes lauert wohl die grösste Herausforderung: HR muss dringend raus aus der Komfortzone, raus aus den (Abteilungs-)Silos und mitten rein ins Geschehen.

Der offene abteilungsübergreifende Austausch ist ein erster Anfang. Einzelne Prozessschritte zu verstehen und zu evaluieren gehört ebenfalls dazu. Nur wer weiss, wie erfolgreich oder auch erfolglos einzelne Massnahmen sind, hat die Möglichkeit gegenzusteuern.

Das Know-how fliegt einem natürlich nicht zu. Eigenes Engagement und der Wille, sich mit neuen Dingen auseinanderzusetzen, sind Grundvoraussetzung. Auch das Lesen von Blogs und Fachmagazinen oder Büchern sowie das Experimentieren mit neuen Plattformen und Methoden gehören heute zum unverzichtbaren Skillset eines Recruiters. Neugierde und der Drang, sich mit neuen Dingen und Methoden auseinanderzusetzen, haben schon immer neue Türen geöffnet. Oftmals ist Fachkräftemangel nämlich nichts anderes als Ideenmangel. Wer nie etwas probiert, wird auch nie erfahren, ob etwas funktioniert.

Natürlich wird man nicht von heute auf morgen vom Verwalter zum Gestalter. Was die sogenannte «innere Haltung» (oder neudeutsch eben das «Mindset») ausmacht, ist über Jahre gewachsen, wurde in der Kindheit geprägt und ist in unserem Hirn verankert.

Die gute Nachricht: Auch im Alter lässt sich daran arbeiten. Ohne Begeisterung geht es aber nicht. Sie müssen es wollen, dafür brennen, und vielleicht mit anderen Ihre Fragen, Ihre Ideen teilen. Anbieten tun sich hier Veranstaltungen wie HR-Barcamps oder aber auch Offline-Meet-ups. Hier treffen Sie Gleichgesinnte mit der richtigen Einstellung und ähnlichen Problemstellungen. So springt der Funke schnell über.

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Henner Knabenreich ist Geschäftsführer der Knabenreich Consult GmbH und HR-Blogger sowie Referent und Buchautor. In seinem Blog personalmarketing2null schreibt er über Personalmarketing, Employer Branding sowie Recruiting.

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