Sommerserie 2018

«Ruhen, nichts tun, relaxen – das klingt fast unverschämt»

«Richtiger» Urlaub ist für Coach Silke Weinig eine Zeit, die sich klar vom typischen Alltag unterscheidet. Zeit, in der man von seinen Arbeitspflichten entbunden ist und Kraft schöpfen kann. Ihre Geheimtipps.

Frau Weinig, kann man «richtigen» Urlaub überhaupt verallgemeinern? Ist Erholung nicht sehr individuell?

Silke Weinig: Beim Erholen gibt es kein Gut oder Schlecht. Die Faustregel ist: Was macht Sie zufrieden? Am Strand dösen, einen Gipfel besteigen, Museen besuchen oder Party machen? 

Warum ist richtiger Urlaub wichtig für unsere Ausgeglichenheit?

Ständiger Stress macht krank. Ein geschwächtes Immunsystem, Magen-Darm-Probleme, Herzkrankheiten, reduzierte Libido, Stoffwechselstörungen oder Depressionen können die Folgen sein. Für viele Menschen ist Entspannen jedoch harte Arbeit. Zu hoch ist die Anspannung tagsüber. Selbst in unserer Freizeit herrscht die Diktatur der effizienten Zeitnutzung. Ruhen, nichts tun, relaxen – das klingt fast unverschämt! Dabei brauchen Körper und Geist Phasen der Ruhe und Entspannung.

Wie viel Zeit im Jahr brauche ich für Erholung?

Untersuchungen¹, die den Erholungseffekt von Wochenenden und Kurztrips analysiert haben, kamen zum Ergebnis, dass zwei freie Tage genauso erholsam sein können wir zwei Ferienwochen – es kommt darauf an, wie wir die Zeit verbringen. Der Erholungseffekt hält dabei maximal drei Wochen. Je mehr Stress einen nach den Ferien erwartet, desto schneller ist der Erholungseffekt weg. So gesehen wäre es sinnvoll, mehrmals im Jahr kürzere Ferien zu machen.

Welche positiven Folgen hat richtiger Urlaub und richtige Erholung auf unsere Leistungsbereitschaft?

Durch Urlaub und Erholungsphasen können wir Stress und Erschöpfung gegenwirken. Ruhephasen wirken ausgleichend auf den Hormonhaushalt und regulieren Stresssymptome und Bluthochdruck. Wir sind gut gelaunt, weil sich die Konzentration des Glückshormons Serotonin im Blut erhöht. Erholung wirkt sich zudem positiv auf unsere Konzentration, und die kognitiven Fähigkeiten aus – insbesondere auf unsere Kreativität und unser Gedächtnis.

Also auch interessant für den Arbeitgeber?

Unbedingt! Wenn wir müde und erschöpft sind, dann bedeutet das Stress, was Körper und Geist schadet. Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Burnout können die Folge sein. Arbeitgeber sollten darauf achten, dass ihre Leute gesund bleiben. Sie sollten also ihre Ferien nehmen, keine Überstunden anhäufen, nicht in der Freizeit kontaktiert werden und nicht ständig erreichbar sein müssen. Vorgesetzte sollten auch darauf achten, die Arbeitsbelastung in den ersten Tagen nach den Ferien so gering wie möglich zu halten. Jahrelang keinen Urlaub zu nehmen, hat nichts mit Fleiss oder Arbeitseifer zu tun. In einer niederländisch-deutschen Studiewurde nachgewiesen, dass Menschen, die das tun, ein erhöhtes Risiko haben zu erkranken. Für mehrere Wochen, gar Monate, auszufallen, trifft eine Firma mehr als 20 oder 25 Ferientage pro Jahr.

Wie verbringen Sie Ihren Urlaub?

Ich bin am liebsten in der Natur und habs da am liebsten einfach: mit einem Rucksack, der die wichtigsten Habseligkeiten enthält, wandern oder pilgern. Insbesondere letzteres mag ich sehr, weil sich beim Pilgern Natur- und Kulturerleben, wie auch Spiritualität und Begegnungen mit anderen wunderbar kombinieren lassen.

Und wie oft im Jahr gehen Sie in den Urlaub?

Ich mache mehrmals übers Jahr hinweg kurze mehrtägige Ferientrips. Ich mag die Abwechslung sehr.

Wie erholen Sie sich ausserhalb Ihres Urlaubs?

Ich habe für mich vor ein paar Jahren beschlossen, dass Ruhe kein Abfallprodukt von «Nichts-zu-tun-Haben» ist, sondern eine wichtige Voraussetzung für Kreativität und frische Handlungsenergie. Ich achte deswegen jeden Tag auf kurze Ruhemomente, in denen ich gar nichts mache.

Was ist Ihr persönlicher Geheimtipp für eine gut Work-Life-Balance?

«Wenn du mächtig viel zu tun hast, dann gönne dir erst einmal eine Pause.» Das klingt ziemlich paradox, funktioniert aber. Es geht ja nicht darum, mehr Zeit zu haben, sondern mehr Energie und Kraft

Ihre Geheimtipps zu Urlaub, Erholung und Work-Life-Balance?

Auf Knopfdruck zu entspannen ist sicherlich gar nicht so einfach, wenn man ständig betriebsam ist. Diese Fähigkeit kann man sich aber in sehr kurzer Zeit aneignen. Aktivitäten wie Wandern, Bogenschiessen oder Golf, aber auch Techniken wie Meditation, Yoga, Qui-Gong leisten Erstaunliches, wenn es darum geht, Körper und Geist zu beruhigen. Sehr wirkungsvoll ist übrigens auch ein Nickerchen nach dem Mittagessen.

Was die Ferien betrifft, ist es wichtig, den Start in den Urlaub und die Rückkehr an den Arbeitsplatz sorgfältig zu planen. So kann man zum Beispiel die berühmte «Leisure Sickness», also Krankheit bei Entspannung, verhindern. Machen sie schon zwei, drei Tage bevor Sie in den Urlaub fahren frei. Seien Sie so oft wie möglich offline – beruflich und privat. Achten Sie auf eine gute Übergabe, die Sie bereits zwei Wochen vor dem Ferienstart beginnen und starten Sie am besten an einem Mittwoch wieder. Da hat man eine kurze Woche vor sich und die Gefahr, sofort mit Arbeit überladen zu werden ist geringer.

Zur Person

Silke Weinig ist Coach, Trainerin und Bloggerin für Selbstmanagement und Potentialentfaltung. Ihr Ziel ist es, wirksame Instrumente und kreative Impulse zu geben, mit denen jede und jeder seinen Alltag nach den eigenen Bedürfnissen gestalten kann. 

Quellen:

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Redaktorin, HR Today. mv@hrtoday.ch

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