HR Today Nr. 9/2022: Sozialversicherungen

Risikoschutz-Lücken in der beruflichen Vorsorge

Internationale Konzerne stellen in der Schweiz auch ausländische Mitarbeitende mit erstmaligem Vorsorgeverhältnis ein. Ein Bundesgerichts-Entscheid zeigt, welche Stolpersteine dabei zu beachten sind.

Gemäss BGer 9C_385/2020, vom 2. März 2021

Das Bundesgericht beurteilte den Fall eines ausländischen Kadermitarbeiters. Dieser war ab 1. Juli 2015 als Vizepräsident in der schweizerischen Unternehmung eines internationalen Konzerns tätig und unterstand erstmals der schweizerischen beruflichen Vorsorge.

13 Tage nach seinem Stellenantritt verstarb der Versicherte und hinterliess eine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder. Die Pensionskasse gewährte der Witwe und den beiden Waisen jährliche BVG-Minimalrenten von zusammen rund 12 000 Franken. Sie verweigerte die höheren, ausgehend vom versicherten Lohn berechneten reglementarischen Hinterlassenenleistungen. Die Vorsorgeeinrichtung begründete das damit, dass der Versicherte den Gesundheitsfragebogen weder ausgefüllt noch eingereicht und sie seine Aufnahme in die weitergehende Vorsorge für die überobligatorischen Leistungen auch nicht bestätigt habe.

Das Kantonsgericht Luzern wies die dagegen erhobene Klage der Witwe und der beiden Waisen ab. Das Bundesgericht betätigte diesen Entscheid.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundegericht hielt fest, dass sich das Vorsorgeverhältnis in der weitergehenden Vorsorge nach dem Vorsorgevertrag richtet, der durch die übereinstimmenden Willensäusserungen der Parteien zustande kommt. Dabei sind die Parteien an den durch die Statuten und Reglemente vorgegebenen Vertragsinhalt gebunden. Die Vorsorgeeinrichtungen sind im Rahmen der Gesetze und der verfassungsmässigen Schranken (wie Gleichbehandlungsgebot, Willkürverbot, Grundsatz der Verhältnismässigkeit) in ihrer Leistungsgestaltung in der weitergehenden Vorsorge frei. Weist das Vorsorgereglement eine Bestimmung auf, wonach bis zur schriftlichen Bestätigung der Aufnahme der versicherten Person ab Eintritt nur der gesetzliche Mindestanspruch besteht, ist die Vorsorgeeinrichtung vor der schriftlichen Bestätigung des Vorsorgevertrags nicht gebunden.

Dem stehen auch die Bestimmungen des OR nicht entgegen, die den Beginn und das Ende des Vorsorgeschutzes und die Gesundheitsvorbehalte regeln (Art. 331a und 331c OR). Die Vorsorgeeinrichtung darf den Abschluss des (überobligatorischen) Vorsorgevertrags verweigern.

Das Bundesgericht erachtete die Tatsache, dass der Versicherte gemäss Reglement 30 Tage Zeit zum Ausfüllen und Einreichen des Gesundheitsfragebogens hatte, als unerheblich, auch wenn er bereits am 13. Tag verstarb. Irrelevant war auch, dass die Vorsorgeeinrichtung bei Einreichen des ausgefüllten Gesundheitsfragebogens wohl keinen Gesundheitsvorbehalt angebracht hätte. Offen liess es die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn der nicht rechtzeitige Vertragsschluss auf eine Nachlässigkeit der Vorsorgeeinrichtung zurückzuführen wäre.

Gutverdienende besonders betroffen

Diese Problematik stellt sich namentlich bei Pensionskassen, die in ihrem Reglement einen Gesundheitsvorbehalt für die über das BVG-Minimum hinausgehenden reglementarischen Risikoleistungen vorsehen und den Vorsorgevertrag von Auskünften über den Gesundheitszustand abhängig machen. Der Entscheid ist insbesondere für gutverdienende Versicherte relevant, die aus dem Ausland eine Erstanstellung in der Schweiz finden und keine Freizügigkeitsleistung einbringen. Sie riskieren Lücken im Vorsorgeschutz für die Risiken Tod und Invalidität. Werden Freizügigkeitsleistungen in die Pensionskasse eingebracht, besteht diesbezüglich ein Besitzstand. Diese werden im Risikofall gemäss einem neueren Bundesgerichtsentscheid wie BVG-Guthaben behandelt und bei der Berechnung der BVG-Hinterlassenenleistungen mitberücksichtigt, was die Problematik etwas abmildert (BGE 144 V 376, E. 4.1 f.).

Neu eintretende Mitarbeitende sind darauf hinzuweisen, den Gesundheitsfragebogen möglichst rasch auszufüllen und ihrer Vorsorgeeinrichtung einzureichen; andernfalls riskieren sie einen ungenügenden Schutz bei Tod und Invalidität. Bis zur Bestätigung der Aufnahme in die weitergehende Vorsorge können oft aber etliche Monate verstreichen. Rechtsunsicherheit besteht auch für die Zeit, in der das Formular eingereicht wurde, die Pensionskasse die Aufnahme des Versicherten aber noch nicht bestätigt hat.

Es empfiehlt sich deshalb, mit der Pensionskasse das Gespräch zu dieser Problematik zu suchen und verbindlich nachzufragen, wie sie solche Lücken im Risikoschutz handhabt. Gegebenenfalls ist der Versicherungsschutz anderweitig zu regeln. Beispielsweise über den Arbeitgebenden, mittels vorübergehender Fortführung einer ausländischen Versicherungslösung im Konzern oder unter Hinweis an den Mitarbeitenden auf das entsprechende Risiko und seine private Vorsorge. 

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Yolanda Müller, Rechtsanwältin, CAS Berufliche Vorsorge (IRP-HSG), Basel, dufour-advokatur.ch

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