Porträt

Sie arbeitet am 
aufregendsten Ort der Welt

Natalie Rüedi, einst Primarlehrerin, wurde von Freunden gewarnt, ins HR zu 
wechseln – sie würde dort hängenbleiben. Das hat sich zum Glück bewahrheitet: 
Heute ist sie Personalleiterin und Konzernleitungsmitglied der Emmi-Gruppe.

Sie steigt bereitwillig für ein Foto mit uns aufs Dach. Von der Dachterrasse des Emmi-Hauptsitzes hat man einen fantastischen Blick auf die Luzerner Hausberge und die Dächer der Stadt. Fast schon ist dies symbolisch für den steilen Aufstieg der Natalie Rüedi in der 
Emmi-Gruppe. Heute ist sie als Mitglied der Konzernleitung und HR-Verantwortliche oben angekommen. Doch auf die anderen herabschauen mag die 39-Jährige gar nicht. Sie will ihre Mitarbeitenden weiterentwickeln, das Beste aus ihnen herausholen. Emmi bietet ein umfangreiches Entwicklungsprogramm, aber Rüedi erwartet von den Mitarbeitenden auch ein gewisses Mass an Eigeninitiative für ihre Entwicklung, damit sie nicht auf der Stelle treten und im sowie mit dem Unternehmen wachsen können.

Reflexion ist an der Tagesordnung

Nicht auf der Stelle treten, sondern sich immer weiterentwickeln – Fortschritt statt Stillstand – ist auch einer von Rüedis persönlichen Grundsätzen. Dabei darf man keine Angst vor der eigenen Courage haben. «Habe ich auch nicht», sagt Rüedi, «aber grossen Respekt vor meiner Position. Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich einiges bewirken kann.» Immer wieder sei Reflexion an der Tagesordnung, Hinterfragen der eigenen Motive und Ziele und vor allem viel Gspüüri.

Im Zentrum von Rüedis Arbeit steht der Mensch, und sie möchte, dass auch die Führungskräfte im Unternehmen mehr auf den Menschen schauen und wissen, wie er funktioniert. Das neue Konzept der Führungskräfteentwicklung ist daher auch darauf ausgerichtet, Führungskräfte bezüglich der menschlichen Komponente stärker zu befähigen. Die entsprechende Ausbildung basiert auf neurologischen Modellen, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Psychologie (IAP) in Zürich erarbeitet wurden. Rüedi ist überzeugt: So wie ein Anlageführer seine Maschine und deren Prozesse genau kennen muss, müssen Vorgesetzte sich intensiv mit ihren Mitarbeitenden auseinandersetzen.

Als Rüedi im Jahr 2009 die HR-Leitung bei Emmi übernimmt, sagt sie HR Today im Interview, als eine ihrer wichtigsten Aufgaben sehe sie die strategische Ausrichtung und enge Zusammenarbeit mit der Konzernleitung. Seit Beginn dieses Jahres ist sie selbst Mitglied der Konzernleitung, was als logische Konsequenz ihres Engagements scheint. «Es ist eine Bestätigung meiner Arbeit», sagt Rüedi schlicht, «denn wenn es vorher nicht gut gelaufen wäre, wäre es ja sicher anders gekommen.» Sie wirkt in dieser Hinsicht wenig übersprudelnd vor Stolz, eher sachlich und etwas bescheiden. Sie nimmt sich selbst nicht so wichtig und bekräftigt denn auch: «Die Funktion ist mir bei dieser Beförderung wichtiger als meine Person.»

Unter Beobachtung der Öffentlichkeit

Rüedi ist mit Leib und Seele HR-Frau. Geplant war das so nicht. Als ausgebildete Primarlehrerin ist sie zunächst acht Jahre im Schuldienst tätig. Nach vier Jahren ist sie bereits Schulhausleiterin, absolviert berufsbegleitend eine Weiterbildung in Betriebswirtschaft. Im Schuldienst sieht die junge Frau nicht mehr viele Entwicklungsmöglichkeiten, daher beschliesst sie, sich neu zu orientieren. Was künftige Aufgaben angeht, ist sie offen, auch Marketing hätte sie interessiert, sagt sie. Dann will es der Zufall, dass sie als Personalfachfrau im HR bei Emmi landet. Freunde warnen sie: Wenn du ins HR gehst, wirst du dort hängenbleiben. «Und sie behielten Recht», schmunzelt Rüedi. Nach und nach 
absolviert sie die nötigen Weiterbildungen. Im Fokus steht zunächst die Personalentwicklung, die sie bei Emmi aufbaut. 2010 schliesst sie den EMBA in General Management an der Hochschule Luzern ab. 

Mit ihrer Beförderung in die Konzernleitung habe sich ihre tägliche Arbeit nicht wesentlich verändert, erzählt sie, doch es würden hohe Erwartungen an sie gestellt, auch von aussen. Die Öffentlichkeit sei sehr aufmerksam, was sicher auch damit zu tun habe, dass Emmi eine bekannte Schweizer Marke sei, die viele Menschen kennen. «Es ist bei den Leuten angekommen, dass der Bereich Personal einen hohen Stellenwert in der Emmi-Gruppe geniesst.»

Neben den hohen Erwartungen von aussen kämpft die engagierte HR-Leiterin manchmal auch mit den Erwartungen, die sie selbst an sich stellt. Da sei sie sehr streng, und das sei manchmal gar nicht so förderlich, lacht sie. Manchmal sei es eben besser, «einen Fünfer gerade sein zu lassen». «Ein bisschen mehr Lockerheit tut manchmal ganz gut.» Sie habe in den letzten Jahren gelernt, Dinge auch mal mit einer gewissen Gelassenheit anzugehen. «Es sind nicht die grossen Dinge, sondern eher die Summe der kleinen Dinge, die mich an die Grenze bringen. Da muss ich mich auch fragen: Wie viel kann ich verarbeiten? Was ist gut für mich? Wo muss ich einen Strich machen?» Wenn ein Strich nötig ist, ist Rüedi konsequent und geht schon mal unvorbereitet in eine Sitzung. «Es ist doch besser», sagt sie, «ich gehe mit meiner ganzen Aufmerksamkeit und mit vollem Geist etwas 
weniger gestresst in die Sitzung.»

Rüedi versucht, Situationen immer auch aus mehreren Perspektiven zu sehen. «Das hilft, die verschiedenen Anspruchsgruppen abzuholen und einzubinden.» Dazu trägt auch bei, dass sie Menschen einfach mag. «Eine wichtige Voraussetzung für meinen Job.» Doch Menschen, die sich selbst ständig in den Vordergrund stellen oder stets eine Extrawurst wollen, bringen die sonst besonnene HR-Leiterin schon mal auf die Palme.

Auch Leuten, die meinen, alles, was neu ist, müsse per se schlecht sein, begegnet sie mit Argwohn. «Eine kritische Haltung Veränderungen gegenüber ist ja schön und gut, aber manches muss eben mal korrigiert werden.» Da kommt es vor, dass Rüedi, sonst eher gesprächs- und kompromissbereit, sagen muss: «So isches, ich diskutiere nicht mehr.» Sie hält fest, dass es nicht einfach die langjährigen oder älteren Mitarbeitenden sind, die Neues blockieren. «Es ist eine Charaktereigenschaft, und die bringen auch jüngere Leute mit.» Umso wichtiger sei es, schon bei der Rekrutierung zu schauen, dass die passenden Mitarbeitenden an Bord kommen: offen, eigenständig und bereit für den Fortschritt.

In ihrem Büro dominiert ein Bild, eine Gemeinschaftsarbeit von Rüedi und ihrem HR-Team. «Gemeinsam etwas Tolles schaffen – das gibt viel Energie. Dies gilt symbolisch, aber auch für den Arbeitsalltag. Die Gemeinschaft zu pflegen, ist zudem Führungsarbeit.» Ihre Assistentin sagt, Rüedi gebe ihr sehr grossen Freiraum und würde ihre Arbeit und sie als Person extrem wertschätzen. Rüedi könne auch gut zuhören und sei immer offen auch für neue Wege. Ein Feedback, das Rüedi immer wieder bekommt, ist: Sie ist eine Schnelldenkerin. Klar, Vorausdenken gehört für sie zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben.

Mit Spass geht alles besser

Die ersten 12 Jahre ihres Lebens verbrachte Natalie Rüedi in Luzern, in einem Quartier mit vielen Kindern. «Irgendetwas ging da immer», lacht sie, «auch wenn wir nicht so viel Programm und so viel Termindruck hatten wie Kinder heute. Wir hatten sehr viel Zeit, kreativ zu sein.» Ihre Hausaufgaben erledigte Rüedi meist schon in der Schule, da sie oft schneller war als die anderen. «Ich kam nach Hause, habe meine Tasche abgestellt und bin raus», erinnert sie sich. Später zog die Familie aufs Land. «Das war nach der Stadt ein wenig ein Kulturschock», sagt Rüedi. «Jeder kannte jeden und entsprechend viel wurde beobachtet und geredet. Zudem prägten zwei politische Parteien das Dorfgeschehen: Gemäss Gesinnung gab es auch zwei Beizen und zwei Musikgesellschaften. Das war gewöhnungsbedürftig.» 

Rüedi ist ein ausgeprägter Familienmensch und ist gerne sesshaft. In ihrem Job ist sie durchschnittlich zwei Tage die Woche unterwegs zu anderen Emmi-Standorten im In- und Ausland. «Da freut man sich immer wieder aufs Heimkommen», sagt Rüedi, die mittlerweile wieder in Luzern zu Hause ist. Dann sorgt sie auch regelmässig für Entspannungsmomente: «Es gibt Tage, die gehören einfach mir.» Wenn ihr der Kopf raucht und sie sich zurückziehen muss, dann sucht sie Ausgleich mit sich selbst, verabredet sich nicht, sondern macht einfach, worauf sie Lust hat: laufen, Musik hören, lesen. Je nach Stimmung. Das braucht sie zum Auftanken. Dann ist sie im Job auch wieder voll da.

«Wer sich mit seinem Job nicht identifizieren kann, sollte sich besser verabschieden», sagt Rüedi. Ihr Job ist zwar nicht alles für sie, aber es stecken 100 Prozent Natalie Rüedi in ihrer Arbeit. Die Grundwerte, die sie beruflich vertritt und einfordert, sind auch die Leitplanken für ihr persönliches Leben. Gerne zitiert sie Jack Welch, den ehemaligen CEO von General Electric, der gesagt hat: «Man muss aus seinem Unternehmen den aufregendsten Ort der Welt machen.» «Ich möchte einfach, dass unsere Mitarbeitenden bei Emmi Spass haben», ist Rüedis Devise. «Denn dann klappt auch alles andere einfacher.»

Natalie Rüedi unterrichtete acht Jahre an einer Luzerner Primarschule. Im Jahr 2000 trat sie als Personalfachfrau in die Emmi-Gruppe ein und baute den Fachbereich Personalentwicklung auf. Von 2006 bis 2008 war sie stellvertretende Personalleiterin und übernahm anschliessend die Gesamtverantwortung für den Personalbereich. Seit dem 1. Januar 2011 ist Rüedi Mitglied der Konzernleitung der Emmi-Gruppe, die derzeit 3701 Mitarbeiter beschäftigt.

20 Sekunden mit Natalie Rüedi

Ein Buch: «The Bridges of Madison County» von Robert James Waller
Ein Film: «Fried Green Tomatoes»
Ein Essen: Spaghetti Andrea (Tomaten-Rahm-Schinken-Peperoncini-Martini-Sauce)
Ein Ort: Luzern
Ein Lebensmotto: Momente geniessen
Ein Talisman: Vielleicht der kleine Engel am Schlüsselbund

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Weitere Artikel von Sabine Schritt