Seien Sie ehrlich zu sich selbst:

Sind Sie in der HR-Falle?

HR-Professionals, die Nebenwirkungen von schlechter Führung kompensieren, sitzen in der HR-Falle. Machen Sie den Selbsttest.

Ausgelaugte HR-Businesspartnerinnen und -partner sind ein relativ sicheres Indiz für die HR-Falle. Manchmal betrifft das Phänomen nur einzelne Personen, oft jedoch die gesamte HR-Abteilung. Es herrscht explizit oder implizit die Überzeugung vor, HR sei für die Kultur zuständig. In genau diese Kerbe schlagen auch die Führungskräfte: «Um dieses ­Gschpüürschmi-Fühlschmi soll sich HR kümmern!» 

Eine Selbstdiagnose lässt sich einfach machen. Alles, was es dafür braucht, ist viel Ehrlichkeit mit sich selbst und der Situation. Wer die obige Aussage gelten lässt, ist noch nicht bereit, die HR-Falle zu überwinden. Solche Menschen sagen oft Dinge wie:

«Eigentlich ist die Führungskraft ja gut, ihre Stärken liegen halt anderswo.»

«Die Führungskraft meint es nicht so.»

«Es ist nunmal mein Los als HR-Professional.»

«Gerade weil unsere Führungskräfte das nicht können, ist unsere HR-Arbeit so wichtig.»

Der erste Schritt aus der HR-Falle ist schonungslose Ehrlichkeit mit sich selbst. Nehmen Sie sich etwas Zeit, die Fragen in der Box auf Seite 55 einzeln zu beantworten. Stellen Sie sich dazu jeweils eine typische Arbeitssituation vor, mit Mitarbeitenden und der Führungskraft im Bereich, den Sie betreuen. Eigentlich reicht diese Frage schon aus:

Wer viel leistet und wenig erreicht, sitzt in der HR-Falle 


Auch in Mitarbeitendenbefragungen lässt sich die HR-Falle leicht entdecken. Zeigt das HR-Team ein Abnutzungsmuster mit hohem Engagement, hoher Arbeitsbelastung und tiefer Zufriedenheit? Gerade im HR, wo Menschen arbeiten, die gerne helfen und unterstützen, fällt das Abnutzungsmuster auf fruchtbaren Boden. In ausgeprägten Fällen schlagen auch die Burnout-Indikatoren an, da sich HR in einem Kampf befindet, der sich nicht gewinnen lässt. Sisyphus lässt grüssen. Höchste Zeit, die HR-Falle zu entschärfen.

Der Weg aus der HR-Falle


Die HR-Falle verhält sich wie Treibsand: Je mehr man sich anstrengt, umso tiefer sinkt man ein. Mehr Anstrengung führt nicht aus der Falle, sondern höchstens ins Burnout. Um Fallen zu entkommen, benötigt man einen Plan. 

Der Schritt Nummer 1 lautet deshalb: Schonen Sie Ihre Kräfte! Verbrauchen Sie nur so viel Energie wie unbedingt nötig. Sie verlängern sonst bloss Ihr Leiden. Nutzen Sie die Energie besser für Ihren Plan, um der Falle zu entkommen. 

Dieser Plan hat drei Zutaten:

  • Innehalten: Den Autopiloten ausschalten und das Steuer übernehmen.
  • Erkenntnis: Sie entsteht, wenn man das System der HR-Falle durchschaut.
  • Handeln: Drüber reden reicht nicht. Der Falle zu entkommen, heisst handeln!

1. Den Autopiloten ausschalten


Viktor Frankl sagt sinngemäss: Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit. Automatisches Kompensieren ist einer der wichtigsten Mechanismen, die in die HR-Falle führen. Der Impuls, etwas zu kompensieren, soll Sie ab sofort daran erinnern, eine kurze Reflexionspause einzulegen. Überlegen Sie sich: «Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte, wenn ich jetzt nicht reagiere?». Falls die Antwort aushaltbar ist, tun Sie das: nichts!

2. Die HR-Falle durchschauen


Wichtig für ist, das System zu durchschauen: Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung müssen deckungsgleich sein. Dies fordert das Kongruenzprinzip aus der Organisationslehre. Wenn Sie in der HR-Falle sitzen, übernehmen Sie die Verantwortung für die Kultur. Aber haben Sie auch die Kompetenzen dafür? Todd Whitaker schreibt: «Die Kultur jedes Unternehmens ist definiert durch das schlimmste Verhalten, das die Führung bereit ist zu akzeptieren.» Für Ed Schein sind Führung und Kultur zwei Seiten derselben Medaille: «Die Kultur wird geformt durch Führungshandlungen. Denn Kultur ist das, was passiert, nicht das, was man definiert und gerne hätte.» Organisationen mit HR-Falle haben folgende Kultur: «HR kompensiert die Nebenwirkungen der Führung.»


An Nebenwirkungen gibt es zwei Hauptgruppen: 

  • Alle Formen und Ausprägungen von sich nicht gehört und nicht verstanden fühlen, mit entsprechendem Verlust von Vertrauen und Motivation.
  • Das Nichtansprechen von schwierigem Verhalten. Diesen Preis zahlen alle anderen im Team. Und das HR.

Viele Führungskräfte handeln so, dass sie diese Nebenwirkungen als «Kulturaufgaben» ans HR delegieren. Doch wie wir oben gesehen haben, müssen Aufgaben dort sein, wo die Kompetenzen liegen. Also dort, wo die disziplinarische Verantwortung ist.

Praktisch keine Nebenwirkungen hat dagegen wirksame Führung. Natürlich gibt es auch dort Konflikte (sonst wären die Führungskräfte in der Harmoniefalle, aber das ist ein anderes Thema). Konflikte entstehen notwendigerweise, weil Ziele, Prioritäten, Vorstellungen oder Werte nicht zusammenpassen, und müssen gelöst werden. Das ist die harte Realität. 

3. Handeln: Aufgaben klären!


Für welche Aufgaben der Kulturentwicklung kann und soll also HR die Verantwortung übernehmen? Der Schlüssel, um aus der HR-Falle zu kommen, ist die Klärung dieser Frage. Wer dabei an Stellenbeschriebe und Aufgabenlisten denkt, ist auf dem Weg in die nächste Falle (der Rationalisierungsfalle). Denn vermutlich sind die Aufgaben schon lange irgendwo festgeschrieben, die Führungskräfte halten sich einfach nicht daran. Nicht absichtlich und nicht böswillig. Sie blenden die schwierigen Aspekte einfach aus. Schlimmer noch: Nach einiger Zeit gewöhnen sich alle daran, sodass der Status quo zum Gewohnheitsrecht wird. Erfahrungsgemäss lässt sich dies zwar mit einigen Führungskräften reflektieren. Wirkliche Veränderung entsteht jedoch erst, wenn HR nicht bloss reflektiert, sondern auch handelt. Das braucht Mut. Denn man gibt der Führung nicht das, was sie will – sondern man tut das, was es braucht, um der HR-Falle zu entkommen.  

Folgende Haltung führt direkt in die HR-Falle: «Ich übernehme die Verantwortung für die Kultur, für die gute Zusammenarbeit. Deshalb stabilisiere ich, kompensiere ich, fühle ich mich verantwortlich.» Die Folge davon: HR übernimmt Führungsaufgaben.

Folgende Haltung führt aus der HR-Falle: «Die Führungskraft ist verantwortlich für die Kultur. Ich bin dafür verantwortlich, die Führung wirksamer zu machen.» Die Folge: Führungsaufgaben werden dorthin zurückdelegiert, wo sie hingehören: zur Führung.

Wer diese Haltung kultiviert, macht Führungskräfte wirksamer – und entkommt gleichzeitig der HR-Falle. Was wirkt, ist die Haltung, die zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommt:

 

Kompensierende vs. entwickelnde Haltung

Kompensierende HaltungEntwickelnde Haltung
«Es wäre sehr wichtig, die Konflikte in deinem Team zu reflektieren.»«Dein Führungsstil führt zu folgenden Nebenwirkungen … Das limitiert deine Führungswirkung. Wärst du bereit zu reflektieren, wie du diese Nebenwirkungen reduzieren könntest?»
«Ich habe das Führungsprogramm aufgegleist, und es wäre hilfreich, du könntest …»«Die Leute spüren, dass du das Führungsprogramm nicht wirklich willst. Damit ist es herausgeworfenes Geld. Überlege dir, hinter welchen Aspekten du stehen kannst. Diese setze ich gerne mit dir um.»
(gegenüber MA:) «Ja, ich verstehe …»«Wenn es unter uns bleiben muss, wieso erzählst du es mir dann? So verlagern wir bloss das Leiden. Wo kannst du einen Schritt machen? Wie kann ich dich unterstützen?»
«Ich weiss, du hörst das nicht gerne, aber …»«Es ist Teil deiner Führungsverantwortung, auch schwierige Aspekte, die dir nahe gehen, zu reflektieren. Es ist meine Verantwortung, dich daran zu erinnern.»


 Fazit


«Ich bin verantwortlich für die Kultur.» Wer im HR so denkt, ist höchst gefährdet für die HR-Falle. Denn so kompensiert man die Nebenwirkungen der Führung. Nur wer weisungsbefugt ist, kann auch Verantwortung übernehmen. Denn Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung gehören untrennbar zusammen. Der Schlüssel, um gegen die HR-Falle gewappnet zu sein, ist die Haltung: «Die Führung ist verantwortlich für die Kultur. Ich bin dafür verantwortlich, die Führung wirksamer zu machen.»

Es ist nicht leicht, diese Haltung durchzusetzen, denn vielerorts sind sich Führungskräfte gewohnt, die Nebenwirkungen ihrer (suboptimalen) Führung ans HR zu delegieren. Aber es lohnt sich für alle Parteien: Die Führungskräfte werden wirksamer. HR entkommt dem lähmenden Treibsand der HR-Falle und kann sich um echte Führungs-, Kultur- und Organisationsentwicklung kümmern. Und die Organisation profitiert, weil nun viel Energie eingespart wird und zur Verfügung steht, um Mehrwert zu schaffen.   


 

Stecke ich in der HR-Falle?

Falls Sie sich unsicher sind oder es genauer wissen möchten, ob Sie in der HR-Falle stecken, finden Sie hier die detaillierteren Fragen inklusive Auswertung:

 SELTEN
ODER NIE
AB UND
ZU
HÄUFIG
1. Höre ich in Gesprächen: «Das bleibt aber unter uns!»?   
2. Fühle ich mich nach der Arbeit ausgelaugt?   
3. Habe ich das Gefühl, viel zu leisten und wenig zu erreichen?   
4. Sage ich mir: «Ich kann die Leute doch nicht im Stich lassen!»?   
5. Wird die Kultur- oder Führungsentwicklung an HR delegiert?   
6. Fühle ich mich wie Sisyphus?   
7. Kann ich die schwierigen Führungsthemen mit der Führungskraft reflektieren?   
8. Setzt die Führungskraft die Erkenntnisse aus der Reflexion um?   

Auswertung

Wenn die Kreuze bei den Fragen 1 bis 6 weiter rechts sind als jene bei den Fragen 7 und 8, dann sitzen Sie in der HR-Falle.

Die Fragen 1 bis 6 messen, wie oft Sie stabilisieren. Sisyphusarbeit gehört im Arbeitsalltag manchmal dazu. Zur HR-Falle wird es erst, wenn sich die Führungskraft nicht weiterentwickelt (Fragen 7 und 8). Dann wird aus dem Stabilisieren ein Kompensieren.

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Das Bild zeigt Stefan Heer, einen Mann mit kurzen Haaren mit Seitenscheitel, dunklen Augen und kurzem Vollbart. Er trägt Hemd und Jackett.

Stefan Heer ist Elektroingenieur und Psychologe. Mit seiner Firma Leadnow GmbH begleitet er Firmen in der Führungsentwicklung. Er sieht die Rolle von HR als erfolgskritischen Faktor für wirksame Führung. 

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