Strategische Positionen

Social Computing: weltweit Wissen teilen und zusammen arbeiten

Heute haben sich Gesellschaften und Unternehmungen vielen Herausforderungen zu stellen wie dem ständigen und schnellen Wandel oder der demografischen Entwicklung zu stellen. Stephan Kunz, Manager People Development&Integration bei IBM,  ist sich aber sicher: Alle – die Unternehmen und ihr HRM, die Mitarbeiter und die geeigneten IT-Werkzeuge – können beitragen, den Wandel zu managen und einen Lernprozess zu initiieren.

Das Personalmanagement steht Herausforderungen wie zunehmender Globalisierung, der demografischen Entwicklung oder wachsenden HRM-Aufgaben bei sinkenden Budgets gegenüber. Wie können Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) das Human Resource Management unterstützen?

Stephan Kunz: Das HRM kann mit Hilfe entsprechender IT-Werkzeuge beispielsweise signifikante Daten zur innerbetrieblichen Demografie zur Verfügung stellen. Soweit ich weiss, wird das noch nicht an vielen Orten gemacht. Bei der Demografie geht es primär um die Zusammensetzung der Belegschaft und nicht nur um Überalterung. Bei IBM setzen wir IT-Werkzeuge ein, um die Alters-, die Skills- und Expertise-Pyramide auswerten und hinsichtlich künftiger Engpässe analysieren zu können. Oder wir machen Untersuchungen darüber, welche Fertigkeiten und Fähigkeiten aufgrund der Globalisierung und des Outsourcings von Tätigkeiten in kostengünstigere Länder verloren gehen. Weil wir ermitteln können, wo das Know-how im Unternehmen gefährdet ist, können wir frühzeitig Gegenkurs geben, Leute umschulen und sie deswegen auf zukünftige Berufsbilder ausrichten. Wir als HRM stellen die IT-Tools zur Verfügung, damit uns die Geschäftsbereiche ihre Informationen weiterleiten und wir sie auswerten können. HRM-Daten sind ein Schlüssel für zukunftsgerichtete Betriebe, und um diese Kennzahlen und Daten zu generieren und auszuwerten, brauche ich natürlich gute Tools und im HRM ein profundes Beratungs-Know-how.

Gibt es weitere Schlüsselanwendungen für Unternehmungen, die sich für modernste IKT im HRM-Einsatz interessieren?

Ein anderer wichtiger Aspekt hinsichtlich der Demografie ist die Frage, wie Mitarbeitende weltweit so vernetzt werden können, dass die Arbeit an Skills und Expertise im Sinne einer lernenden Organisation gelebt wird. Mit geeigneten IT-Werkzeugen entstehen virtuelle Teams, die Expertise im gleichen Themenbereich, aber unterschiedliche Skills haben, so dass der Austausch und die Zusammenarbeit neue Erkenntnisse und eine gemeinsame Weiterentwicklung bringen. Ohne dass man die Leute geografisch an einem Ort zusammenziehen muss, lässt sich so eine gezielte Wissensvermittlung leisten. Bei IBM verwenden wir dafür eine Reihe von Collaboration- und Social-Computing-Tools, etwa unsere Wissensdatenbank Bluepedia – quasi unser Firmenwiki –, wo ich Erklärungen zu Begriffen nachschlagen kann. Oder unser Tool Beehive (eine Art «internes Facebook»), das mir erlaubt, mich weltweit zu vernetzen, und zwar meistens nach Interessensgruppen sortiert. Wichtig ist, dass die IT-Abteilung und das HRM einer Firma eng zusammenarbeiten, um schliesslich den Mitarbeitenden einen optimalen Zugang zu Informationen liefern zu können. Ich sehe diesen Schritt in vielen grossen Unternehmungen schon fast vollzogen.

Die Mehrheit der Schweizer Firmen sind allerdings keine Grossunternehmen …

Neben der Beachtung der Firmengrösse ist wichtig, wie man unternehmerisch und geografisch aufgestellt ist und dementsprechend IT-Werkzeuge auswählt oder anpasst. Diese Fragen sollte man sich schon beantworten, bevor man bestimmte IKT einsetzt, nur weil sie «cool» sind. Was aber auch für die meisten KMU interessant und wichtig ist, sind Tools, mit denen man den Mitarbeitern ermöglicht, sich selber zu managen. Darunter verstehe ich, dass Mitarbeiter einen Zugriff aufs Intranet haben, wo der Betrieb die persönlichen Informationen zur Verfügung stellt und sie vom Mitarbeiter selbst mutiert werden können.

Vom Web 2.0 geht es ja weiter zum Web 3.0, über das bereits diskutiert wird. Ein Thema dabei werden sicher interaktive 3D-Umgebungen sein, so genannte virtuelle Online-Welten à la Second Life. Letztes Jahr gab es eine Studie von IBM mit dem Titel «Leadership in a distributed world: Lessons from online gaming». Was kann das Management, speziell das HRM, denn aus Online-Spielen lernen?

Online-Spiele oder Simulationen sind für IBM geeignete Methoden, die in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften und der Belegschaft genutzt werden. Etwa so, wie früher Rollenspiele eingesetzt wurden. Bestimmte Standardsituationen – etwa ein Beförderungsgespräch zwischen Manager und Mitarbeiter – werden heute mit solchen «Serious Games» geprobt. Sie ermöglichen ein risikofreies Üben von Situationen, nicht unbedingt mit einer real, lokal anwesenden Gruppe wie im Rollenspiel, sondern virtuell im Netz, mit Kollegen überall auf der Welt. Das ist nicht nur Chatten – man bewegt sich in einem 3D-Raum, zusammen mit Avataren, kann mit ihnen sprechen und mit vorbereiteten Szenarien interagieren, wie sie auch im Alltag im «real life» vorkommen. Das ist, als ob man in einem geschützten Raum Ideen erproben möchte. Mit solchen Methoden kommen wir bei IBM deshalb immer wieder auf kreative und innovative Problemlösungen, quasi ein «virtuelles Brainstorming». Und: Solcherart Kommunikation und Zusammenarbeit in einem globalen Massstab verbessert, gleichzeitig auch die interkulturelle und soziale Kompetenz.

Serious Games sind aber nur ein Teil der Web-Weiterentwicklung …

Die Evolution des Web hat auch zunehmend mit «Künstlicher Intelligenz» (KI) zu tun, im Internet ein neues Konzept, dassvor allem vom World Wide Web Consortium (W3C) initiiert wurde. Im Web 3.0 sollen nach dessen Vorstellung Namen, Begriffe, Methoden automatisch verlinkt werden. Bei der Weiterentwicklung zum Web 4.0 geht es dann darum, durch KI-Verfahren automatisch Daten und unternehmerisches Wissen sinnvoll zu sammeln, so wie wir es schon heute häufig, aber nicht automatisiert durchführen. Das Web 4.0 wird enorme Möglichkeiten für das HRM mit sich bringen, um beispielsweise im Bereich Weiterbildung ausgewählte Informationen individuell verfügbar zu machen, damit der Anwender sich im Selbststudium à jour bringen kann. Etwa ab 2020 soll der Endanwender das Web 4.0 nutzen können, meint das Consortium.

IT soll auch benachteiligten Anwendern grosse Hilfe und Nutzen bringen – Stichwort Accessibility, der Zugang für alle. Sehen auch Sie das als ein wichtiges HRM-Thema?

Es gibt bereits eine Menge eingesetzter IT-Tools, die physisch beeinträchtigte Mitarbeiter unterstützen. Sie lesen beispielsweise Texte vor oder steuern den Rechner durch Sprache. Die IT ist in dem Anwendungsbereich stark in der Pflicht. In den USA wird das Thema Accessibility intensiv vorangetrieben, jetzt auch zunehmend in Europa. Es hängt natürlich sehr davon ab, wie stark ein Unternehmen, wie wir bei der IBM, die Thematik als Teil ihrer sozialen unternehmerischen Verantwortung begreift. Bei uns werden alle IT-Werkzeuge für beeinträchtigte Personen auf ihre Zugänglichkeit entwickelt und überprüft.

Die Arbeitswelt ist permanent in starkem Wandel begriffen. Sollte das HRM angesichts dessen da vorausgehen und die Transformation ins Unternehmen tragen, etwa auch über  innovative IKT-Anwendungen?

In der HCM-Studie 2008 von IBM gaben die vielen Hundert befragten internationalen HR-Manager zu Protokoll, was eine ihrer grössten Herausforderungen sei und was ich für IBM voll unterschreiben kann: Sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden die Adaptionsfähigkeit aufbauen, um mit den raschen Veränderungen klarzukommen. Speziell mit der Förderung des Bewusstseins über den permanenten Wandel, aber auch mit geeigneten Tools gelingt es, sich gut für die Zukunft zu rüsten. Mit IT-Werkzeugen für Wissensmanagement oder Social Computing wird es möglich, zumindest einen Teil dieser Herausforderungen selbst und mit anderen zusammen zu managen. Ich bin überzeugt, dass es heute, gerade in der westlichen Welt, immer mehr darum geht, Wissen zu teilen und nicht nur in Konkurrenz, sondern in internen und externen Kooperationen tätig zu sein.

Der Gesprächspartner

Stephan Kunz wirkte nach dem Abschluss des Studiums an der Schweizerischen 
Hotelfachschule (SHL) in verschiedenen Branchen in den Bereichen Informatik, Personalwesen und Marketing, seit 1995 bei IBM vor allem im Bereich Vertrieb, 
Projektmanagement sowie interne und externe Aus- und Weiterbildung. Seit 1998 führte er Mitarbeitende im Bereich Aus- und Weiterbildung und ist heute 
verantwortlich für die interne Personalentwicklung in Osteuropa, Middle East, Österreich und der Schweiz.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Tom Sperlich ist freier Journalist.

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