Stellensuchende Geflüchtete einzustellen lohnt sich
Geflüchtete Menschen gelten oft als Randgruppe auf dem Arbeitsmarkt – dabei schlummert in ihnen ein kaum beachtetes Rekrutierungspotenzial. Nicht nur angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels lohnt es sich, diese Zielgruppe näher in den Blick zu nehmen. «HR Today» führt zum Thema auch ein Webinar durch.

Geflüchtete können nicht nur den Fachkräftemangel dämpfen, sondern auch Teams und Kultur bereichern.
(Foto: iStock / Vladimir Vladimirov)
Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern wird – den konjunkturellen Schwankungen zum Trotz – schrittweise spürbarer werden. Die Schweizer Wirtschaft ist daher zunehmend darauf angewiesen, vorhandene Potenziale zu nutzen. Umso wichtiger ist es, auch bisher wenig beachtete Stellensuchende in den Blick zu nehmen: ältere Arbeitnehmende, Wiedereinsteigerinnen sowie eine weitere Gruppe, die noch zu wenig Aufmerksamkeit erhält: Geflüchtete Menschen in der Schweiz.
Webinar «Rekrutierung von Geflüchteten»
«HR Today» führt am 7. Oktober 2025, 11 Uhr, ein Webinar zum Artikelthema durch. Fragen können vorab an Chefredaktor Daniel Thüler gesendet werden: dt@hrtoday.ch
Weitere Informationen und Anmeldung hier.
Inländisches Potenzial nutzen
Gleichzeitig wird gesellschaftlich und politisch intensiv über Zuwanderung diskutiert. In diesem Spannungsfeld ist der Fokus im Bereich Arbeit verstärkt auf die hier lebenden Menschen mit Aufenthaltsrecht zu richten, statt auf die Rekrutierung im Ausland.
Zu den Inländern gehören jedoch nicht nur stellensuchende Schweizerinnen und Schweizer, sondern auch zugewanderte Menschen, die dauerhaft oder mittelfristig in der Schweiz bleiben. Besonders oft unter dem Radar bleiben die Geflüchteten. Und das, obwohl sie nicht nur aus menschlicher, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht ein beachtenswertes Rekrutierungspotenzial darstellen.
Wer sind «die Geflüchteten»?
Allerdings: «Die Geflüchtete» oder «den Geflüchteten» gibt es nicht. Es handelt sich um eine äusserst heterogene Gruppe – Menschen aus verschiedenen Ländern (Afghanistan, Türkei und Ukraine liegen zurzeit an der Spitze) mit unterschiedlichen Bildungs- und Berufshintergründen und mit unterschiedlichen Aufenthaltstatus.
Geflüchtete (Flüchtlinge oder vorläufig Aufgenommene) verbleiben zumeist längerfristig in der Schweiz, weil sie auf dauerhaften Schutz angewiesen sind. Auch für Schutzbedürftige aus der Ukraine besteht zum jetzigen Zeitpunkt eine Perspektive von zumindest ein bis zwei Jahre. Der Bundesrat entscheidet dann im Lichte der Situation in der Ukraine über den Verbleib und den Schutzstatus. Lernende können aber in jedem Fall ihre Lehre in der Schweiz abschliessen (siehe Kasten). Daher sollen sich all diese Personen neue Perspektiven schaffen – durch Arbeit, Ausbildung, gesellschaftliche Teilhabe. Schätzungen zeigen, dass insgesamt rund 50'000 Personen aus dem Asylbereich zusätzlich arbeiten könnten. Etliche von ihnen sind gut qualifiziert, jedoch häufig ohne adäquate Beschäftigung.
Aufenthaltsstatus und Arbeitsmarktzugang
- Ausweis S – Schutzbedürftige: Erwerbstätige Personen mit Ausweis S aus der Ukraine können gemäss den bisherigen Entscheiden des Bundesrats (Stand Ende Juli 2025) bis 2027 bleiben (Schutzstatus bis März 2026 plus zwölf Monate bei Erwerbstätigkeit). Sie benötigen zurzeit noch eine kantonale Bewilligung zur Erwerbstätigkeit. Ab 2025 wird diese Bewilligungspflicht – analog zu B und F – durch die unkomplizierte Meldung via EasyGov ersetzt.
- Ausweis B – anerkannte Flüchtlinge: Personen mit Ausweis B haben vollen Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt. Arbeitgeber melden ihre Beschäftigung unkompliziert online via EasyGov – zusätzliche Bewilligungen sind seit 2019 nicht mehr nötig.
- Ausweis F – vorläufig aufgenommene Personen/Flüchtlinge: Auch mit Ausweis F besteht der gleiche Zugang wie bei Ausweis B: freie Erwerbsaufgabe, einfache Meldung über EasyGov.
Menschen mit Resilienz – und mit Potenzial
Geflüchtete eine Chance zu geben, macht daher Sinn. Sie müssen oft unter schwierigen Bedingungen neu anfangen. Mit diesem Neuanfang leisten sie einen Kraftakt und zeigen Resilienz, Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft. Mit anderen Worten: Wer es schafft, in die Schweiz zu fliehen und sich in einem völlig neuen Umfeld zurechtzufinden, bringt Fähigkeiten mit, die in jedem Unternehmen gefragt sind.
Viele Geflüchtete bringen zudem Berufserfahrungen, Ausbildungen oder Talente mit. Diese sind zu Beginn oft «unsichtbar» und zeigen sich erst, wenn sie die Sprache in der Praxis perfektionieren und sich im Beruf beweisen können. Wie andere Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger (siehe z. B. Studie Schweizer Arbeitsmarkt 2024, von Rundstedt) haben sie es nicht einfach, im Schweizer Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Sie stossen an gläserne Wände und Decken und erfahren oft wenig Vertrauen in ihre Kompetenzen, die sie abseits der hiesigen Standards erworben haben.
Meist benötigen Geflüchtete etwas Glück, um auf offene Menschen in einem Unternehmen zu treffen, die an sie glauben und sie unterstützen. Zwar braucht es zu Beginn etwas Zeit und eine Anlauf- und Einarbeitungsphase, bis sie ihr volles Potenzial erreichen. Aber diese Investition lohnt sich. Wie zum Beispiel im Falle von Ahmad M., der 2016 als 30-Jähriger aus Syrien in die Schweiz geflohen ist. In seiner Heimat hatte er eine kleine Reparaturwerkstatt für Elektronik. In der Schweiz schrieb er viele Bewerbungen – ohne Erfolg. Doch der Werkstattleiter eines Apparatebauers gab ihm über ein Integrationsprogramm eine Chance. Heute ist er dort ein zuverlässiger Techniker. Eine weitere Erfolgsgeschichte ist die von Daria S., die in ihrer Heimat Ukraine als Buchhalterin gearbeitet hat. Nach intensiven Sprachkursen und einer einjährigen Vorlehre arbeitet sie heute in der Finanzabteilung eines KMU – ihr Arbeitgeber hat auf sie gesetzt und schätzt heute ihre Exaktheit und Motivation.
Integrationsförderung: Direkte Ansprechpersonen und bedarfsorientierte Unterstützung
In den letzten fünf Jahren wurde mit Unterstützung des Bundes die Integrationsförderung in den Kantonen deutlich ausgebaut – mit der sogenannten «Integrationsagenda Schweiz». Für alle anerkannte Flüchtlinge, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige gibt es heute eine rasche und intensive Sprachförderung, eine Potenzialabklärung und individuelle Integrationspläne, verschiedene branchenspezifische Fachkurse, Vorlehren und Berufsvorbereitungsmassnahmen sowie ein Jobcoaching für die Vermittlung und Begleitung in den Arbeitsmarkt.
Für Unternehmen sind das interessante Voraussetzungen: Die Jobcoaches stehen den stellensuchenden Geflüchteten persönlich zur Seite und sind auch direkte Ansprechpartner für HR-Businesspartner, Werkstattleitende oder Pflegestationschefinnen. Sie unterstützen beim Einarbeitungsprozess, helfen bei sprachlichen oder kulturellen Herausforderungen und können auch administrative Aufgaben abnehmen. Die Einstiegshürden für Arbeitgebende sind daher oft tiefer als gedacht. Die Arbeitgebenden werden begleitet, aber sie müssen auch bereit sein, eine Extrameile zu gehen.
Diese Anfangsinvestition lohnt sich. Zahlreiche Unternehmen in der Schweiz – von Grossbetrieben bis KMU – berichten in vielen Fällen von Erfolgen mit geflüchteten Mitarbeitenden. Was es dazu braucht, ist Offenheit, der Wille zur Entwicklung und Lernbereitschaft – auf beiden Seiten.
Geflüchtete sind häufig besonders motiviert, sich zu integrieren und beruflich weiterzukommen. Wenn sie eine Chance bekommen und im Unternehmen willkommen geheissen werden, dann zeigen sie oft hohe Firmentreue. Es entstehen langfristige Bindungen und Entwicklungspotenziale. Und ihre interkulturellen Kompetenzen bereichern Teams – nicht nur in international orientierten Betrieben.
Der nächste Schritt
Viele Unternehmen haben bereits Erfahrungen mit geflüchteten Mitarbeitenden und wollen diese ausbauen. Andere kennen dies noch weniger. Wer das Potenzial dieser Zielgruppe nutzen will, sollte schrittweise vorgehen:
- Wenden Sie sich an regionale Stellen wie kantonale Integrationsfachstellen oder RAV. Sie finden die kantonalen Kontaktstellen hier.
- Schreiben Sie diesen Kontaktpersonen unkompliziert eine Mail mit ihrem Anliegen und lassen Sie sich zu Jobcoaching, Förderprogramme oder Praktikumsmodellen beraten.
- Starten Sie mit einem Schnuppereinsatz, Praktikum oder eine Vorlehre. Lernen Sie Geflüchtete als Mitarbeitende kennen – nicht als Sonderfall, sondern als Chance.
Denn in einer Zeit, in der qualifizierte Mitarbeitende knapp sind, braucht es neue Wege im Recruiting. Wer Geflüchtete beschäftigt, gibt nicht nur diesen eine Chance, sondern leistet eine Investition in die Zukunft des Unternehmens und der ganzen Gesellschaft.
Weitere Informationen des Bundes: Ein Job in der Schweiz – Arbeiten lohnt sich. Für alle. oder integration-info