Gleichberechtigung

Talente im Gesundheitswesen: Frauen verkaufen sich schlecht

Ein Blick ins Pflegewesen zeigt, dass sich Frauen selbst in ihren traditionellen Domänen nur sehr schwer durchsetzen. Woran liegt das? Und was braucht es, damit mehr Frauen die eigene Karriere als selbstverständlich erachten? Dies nämlich ist zwingend nötig – ganz besonders im Gesundheitswesen.

Wo hauptsächlich Frauen arbeiten, werden sie selbstverständlich von Chefinnen geführt – oder nicht? Leider nein. Am Beispiel des Gesundheitswesens zeigt sich: Auch in traditionellen Frauenberufen setzen sich in den Führungspositionen hauptsächlich Männer durch. Dabei ist der medizinische Bereich nicht als Frauendomäne zu betrachten – es gibt zwar ein paar wenige Oberärztinnen, die leitende Ärztin ist an Schweizer Spitälern aber die Ausnahme. Diese Verteilung kann allerdings kaum erstaunen, waren doch auch die weiblichen Medizinstudenten in der Vergangenheit massiv untervertreten.

Mangelndes berufliches 
Selbstverständnis

Dagegen erstaunt, dass die Verhältnisse im Pflegebereich kaum anders aussehen, handelt es sich bei dessen Tätigkeiten doch um traditionelle Frauenberufe. Zwei Drittel der Beschäftigten im Pflegebereich sind weiblich. «Man sollte annehmen, dass hier auch die Frauen die Führungspositionen besetzen», erklärt Jacqueline Martin, Leiterin Leadership-Entwicklung der Abteilung Klinische Pflegewissenschaft am Universitätsspital Basel. «Unsere eigenen Erhebungen haben aber gezeigt, dass in den Kaderpositionen proportional mehr Männer vertreten sind.»

Woran liegt das? An den Frauen selbst? «Es hapert tatsächlich oft am beruflichen Selbstverständnis der Frauen», bestätigt Mechthild Willi, Pflegedienstleiterin am Paraplegikerzentrum in Nottwil. So sei die hochprozentig arbeitende Mutter im Pflegedienst in vielen Gebieten nach wie vor die Ausnahme. Selbst minimale Pensen von 20 Prozent seien oft mit dem eigenen Verständnis von Mutterschaft – und auch demjenigen des familiären Umfelds – nicht vereinbar. Willi weiss aber aus eigener Erfahrung, dass – sofern die nötige Flexibilität und Toleranz von beiden Seiten vorhanden ist – eine Berufstätigkeit im Spital auch mit Familienpflichten durchaus vereinbar ist.

«Es fehlt oft an der Fantasie und am Mut, unkonventionelle Wege zu beschreiten», konstatiert denn auch Martin. An der Lust, neue Wege zu gehen, fehlt es offenbar beiden Seiten. Insbesondere die Ausbildungs- und Arbeitsstrukturen sind vielerorts noch allzu starr. «Spezialisierungen und Fachkarrieren setzten immer schon und setzen oft auch heute noch eine hundertprozentige Berufstätigkeit voraus», erklärt Martin, «und diese wird tendenziell eher von den Männern geleistet.» Fehlen Teilzeitjobs, sind Frauen nicht nur von der Berufstätigkeit an sich, sondern auch von den Karriereleitern abgeschnitten.

Dickere Haut zulegen?

Die Frage, ob Frauen in einem solchen Umfeld der besonderen Förderung oder Unterstützung bedürfen, um überhaupt in Führungspositionen zu gelangen, wird von verschiedenen Seiten klar bejaht. Befördert – zum Beispiel in die Stationsleitung – würden oft praxiserfahrene Personen. «Die Frauen müssen sich dann an der neuen Position in einem Feld behaupten, in dem nicht mehr diejenigen Kompetenzen verlangt sind, die ihrer Sozialisation entsprechen und die ihnen im Beruf bis anhin nützlich waren», beobachtet Martin. Ein Phänomen, das bei aufstiegswilligen Frauen generell zu beobachten ist, kommt auch im Pflegebereich erschwerend hinzu: «Viele Pflegefachfrauen bewerben sich erst auf eine Stelle, wenn sie wirklich alle in der Ausschreibung genannten Anforderungen – oder sogar noch mehr – erfüllen.» Bei Männern sei es dagegen häufig umgekehrt: Sie bewerben sich einfach mal – oft auf gut Glück. Die Problematik dabei sei, beobachtet Martin, «dass sie sich im anschliessenden Assessment dennoch besser verkaufen als ihre – fachlich nicht weniger qualifizierten – Kolleginnen».

Was braucht es? Mehr Selbstvertrauen? Eine grössere Portion Unverfrorenheit? Andrea Ullmann, Co-Geschäftsführerin der Beratungsfirma Diasan und Coach, macht diese Beobachtung: «In der neuen Position müssen unter Umständen Entscheide umgesetzt werden, die nicht nur teamfreundlich sind. Die Leiterinnen finden sich plötzlich zwischen ihren ehemaligen Kolleginnen und ihren Vorgesetzten eingeklemmt – und können schwer damit umgehen.» Männer zeigten hier tatsächlich oft die dickere Haut und mehr Selbstvertrauen, beobachtet Ullmann.

Gerade dies bedeute aber nicht immer zwingend bessere Qualifikation für den Job, entgegnet Willi: «Man sollte die Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen. Einfühlsamere Entscheide sind manchmal nachhaltiger als schnelle, pragmatische.» Ihrer Beobachtung zufolge sind Männer tendenziell pragmatischer und leiden weniger an Misserfolgen, während Frauen zu lange an ihren Zielen hängen und dann öfter gekränkt oder sogar krank aus dem Dienst ausscheiden. Was vielleicht auch am berüchtigten Gefühl des «It’s lonely at the top» liegen könnte, denn unglücklicherweise gelingt es den Frauen offenbar nicht einmal in einem Bereich, in dem sie zahlenmässig überlegen sind, sich untereinander über die Organisations- oder auch nur schon über die Abteilungsgrenzen hinweg zu vernetzen. «Bei ihren vielen täglichen Aufgaben kommt das eigene Netzwerk immer ganz am Schluss», weiss Ullmann.

Immerhin: Es besteht Grund zur Hoffnung. Der seit Jahren akute Mangel an Arbeits- und vor allem Führungskräften im Gesundheitswesen habe zu neuen Ansätzen in der Weiterbildung geführt, und einige Organisationen hätten eigene Leadership- oder Talent-Management-Programme eingeführt. «Es gibt Bereichsleitungen, die gezielt Frauen fördern», beobachtet Martin. Dahinter stehe aber immer ein bewusster Entscheid der Geschäftsleitung. Anders gesagt: Diese muss wollen, dass Frauen in leitende Stellungen aufsteigen.

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