Arbeit und Recht

Und sie ward nie mehr gesehen – 
fristloses Verlassen der Arbeitsstelle

Bleibt ein Angestellter seinem Arbeitsplatz unentschuldigt fern, kann die Arbeitgeberin nicht von einer 
fristlosen Vertragsauflösung ausgehen. Hier erfahren Sie, was in einem solchen Fall zu tun ist.

Fristloses Verlassen der Arbeitsstelle im Sinne von Art. 337d OR setzt voraus, dass der Arbeitnehmer trotz laufenden Arbeitsverhältnisses die weitere Erbringung seiner Arbeitsleistung bewusst, absichtlich und endgültig verweigert. 

Der Arbeitgeber ist dabei häufig vor ein Informationsproblem gestellt: Teilt der Mitarbeiter nicht ausdrücklich mit, dass er die Stelle endgültig und dauerhaft verlässt, muss der Arbeitgeber davon ausgehen, er sei unverschuldet wegen Krankheit oder Unfall der Arbeit ferngeblieben.

Verlässt der Arbeitnehmer die Arbeitsstelle und begründet dies mit einer Krankheit, kann der Arbeitgeber nicht einfach die Kündigung aussprechen. Auch dann nicht, wenn Zweifel daran bestehen, ob der Arbeitnehmer tatsächlich krank ist, und auch dann nicht, wenn dieser seine Behauptung nicht mit einem Arztzeugnis belegt. Vielmehr hat der Arbeitgeber den Mitarbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit anzuhalten oder muss von ihm ein Arztzeugnis verlangen, es sei denn, aufgrund der gesamten Umstände erscheine dies von vornherein als sinnlos (etwa wenn der Mitarbeiter verreist, eine andere Tätigkeit aufnimmt oder sich schon vermehrt als renitent gezeigt hat).

Reicht der Arbeitnehmer ein Arztzeugnis ein, ist nach Treu und Glauben grundsätzlich nicht davon auszugehen, er wolle die Arbeitsstelle fristlos verlassen. Hegt der Arbeitgeber Zweifel an der Richtigkeit des Arztzeugnisses, kann er verlangen, dass dessen Richtigkeit von einem Vertrauensarzt überprüft wird.

Falsches Arztzeugnis beweist noch keine Absicht des Arbeitnehmers

Selbst wenn mittels vertrauensärztlicher Untersuchung der Nachweis gelingt, dass der Arbeitnehmer entgegen den Angaben im Arztzeugnis tatsächlich seiner Arbeit ganz oder teilweise hätte nachkommen können, so müsste der Arbeitgeber zusätzlich den Nachweis erbringen, dass sich der Arbeitnehmer dessen bewusst war. Nur wenn der Arbeitnehmer bewusst ein unzutreffendes Arztzeugnis als Vorwand benutzt hätte, stellt sich die Frage, ob das Verhalten allenfalls als fristloses Verlassen der Arbeitsstelle zu qualifizieren wäre. Soweit dieser Nachweis nicht gelingt, kann der Arbeitgeber das Fernbleiben von der Arbeit nicht als Verlassen der Arbeitsstelle qualifizieren. Glaubt der Arbeitnehmer, sein eingereichtes Arztzeugnis treffe zu, so läge ein allfälliger Fehler beim Hausarzt. Selbst wenn sich das Zeugnis des Hausarztes als objektiv falsch erwiese, wäre damit der Nachweis, dass dies dem Arbeitnehmer bewusst oder gar von ihm beabsichtigt war, nicht erbracht.

Für die eine Arbeitsstelle 
arbeitsunfähig, für die andere nicht

Zudem ist Folgendes zu beachten: Wenn ein Arzt einem Patienten zuhanden des Arbeitgebers eine volle Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, bezieht sich dies auf die vom Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstelle zu verrichtende Tätigkeit. Geht der Arbeitnehmer mehreren Beschäftigungen nach, ist sehr wohl denkbar, dass er für die an der einen Arbeitsstelle zu verrichtenden Tätigkeiten 100 Prozent arbeitsunfähig ist, während seine Tätigkeit an der anderen Arbeitsstelle nicht in gleichem Masse beeinträchtigt wird. Zwar kann bisweilen aus dem Verhalten des Arbeitnehmers auf sein Wissen geschlossen werden, dass er arbeitsfähig ist (zum Beispiel wenn jemand wegen Knieschmerzen arbeitsunfähig geschrieben ist und trotzdem ein Dach repariert). Dies setzt aber voraus, dass sich die Fähigkeit, die an der Arbeitsstelle zu verrichtende Arbeit auszuführen, aus der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit ableiten lässt. (Bundesgericht vom 12. Mai 2009, in JAR 2010, S. 301)

Fazit – und was beim fristlosen 
Verlassen der Arbeitsstelle zu tun ist

Dieser Entscheid des Bundesgerichts verdeutlicht, dass eine unentschuldigte Absenz ohne vorgängige Verwarnung und Arbeitsaufforderung nicht als fristlose Vertragsauflösung durch den Arbeitnehmer betrachtet werden kann. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich erst bei einer trotz Verwarnung andauernden Verweigerung der Arbeitsleistung von einem bewussten, absichtlichen und endgültigen Vertragsbruch ausgehen. Der Arbeitgeber hat aber das Recht, ein ärztliches Attest durch eine vertrauensärztliche Untersuchung überprüfen zu lassen, und der Arbeitnehmer hat eine solche Kontrollmassnahme zu befolgen. Es liegt jedoch beim Arbeitgeber zu beweisen, dass sich der Arbeitnehmer seiner Arbeitsfähigkeit bewusst war, wenn die vertrauensärztlichen Feststellungen entgegen dem hausärztlichen Attest eine Arbeitsfähigkeit ergeben. Zudem betrifft eine attestierte Arbeitsunfähigkeit die beim Arbeitgeber zu leistende Arbeit und schliesst nicht zwangsläufig andere Erwerbstätigkeiten aus.

Verlässt der Arbeitnehmer die Stelle aber tatsächlich ohne wichtigen Grund fristlos, kann der Arbeitgeber eine Rechtsverletzungsbusse in Höhe von einem Viertel des Monatslohnes sowie Ersatz weiteren Schadens verlangen (OR 337d Abs. 1). Das Unternehmen kann  den Viertel mit dem Lohn verrechnen. Fällt diese Möglichkeit weg, muss es innerhalb von 30 Tagen seit dem unberechtigten Verlassen der Stelle durch Klage oder Betreibung seine Ansprüche gegen den Arbeitnehmer geltend machen. Die Geltendmachung eines weiteren Schadens wäre einzuklagen, zu beziffern und zu beweisen.

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Text: Gregor Ruh

Gregor Ruh ist Inhaber des Büros für Arbeitsrecht in Thun und berät Arbeitgeber und Personalverantwortliche in allen arbeitsrechtlichen Fragen.

www.arbeitsrecht.ch

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