HR Today Nr. 12/2018: Low Performer

Von Wollen und Können

Wissenslücken, unfähiger Chef, Frust, Krankheit – Leistungsmängel können viele Ursachen haben. Umso wichtiger ist es, Mitarbeitende nicht vorschnell zu Low Performern zu deklassieren.

Neben dem Begriff «High Potential» oder «High Performer» hat sich im Laufe der Zeit auch die Bezeichnung «Low Performer» etabliert. Damit sind jene Mitarbeitenden gemeint, die auf Dauer die erwartete Leistung nicht erbringen.

Dr. Cornelia Knoch, Unternehmensberaterin und Expertin für Führung und Personalentwicklung in Zürich, mag dieses Etikett gar nicht und warnt davor, Mitarbeitende vorschnell zu Low Performern zu deklassieren. Es brauche ein feines Gespür, zu unterscheiden, ob Mitarbeitende Leistung nicht bringen, weil sie nicht können, oder weil sie nicht wollen. Oder ob sie wollen, aber aufgrund von Rahmenbedingungen und Führung ihr Potenzial nicht ausschöpfen können. «Manchmal sind einfach nicht am richtigen Platz.»

Wenn die Mitarbeitenden über die nötigen Fähigkeiten verfügen, Arbeitsmittel zur Hand haben und ausreichend motiviert sind, stehe einem angemessenen Leistungsniveau für gewöhnlich nichts im Wege.

Trugschluss Beurteilungsgespräch

In Sachen Leistungsbereitschaft und Leistungsvermögen komme es immer wieder zu Ungleichgewichten. «Zudem gibt es grosse Unterschiede zwischen den Mitarbeitenden.» In der Regel wird aber nicht systematisch nach Low Performern gesucht, meist wird erst diskutiert, wenn es Probleme gibt. Etwa bei auffälligen Fehlzeiten, schlechten Ergebnissen oder Streit. Dann sei das HR gefordert, genau hinzuschauen, wo die Problematik liegt, betont Knoch. «In der Regel sind immer zwei Seiten beteiligt: der Vorgesetzte und der Mitarbeitende.»

Eine Möglichkeit, vermeintliche Low Performer auszumachen und zu motivieren, bildet das jährliche Beurteilungsgespräch. «Dies greift aber zu kurz», meint Knoch, «und führt nur in den seltensten Fällen zu mehr Leistung.» Gerade in der Schweiz sei man lange davon ausgegangen, dass gute Beurteilungen die Loyalität zum Unternehmen erhöhen und die Leistungsbereitschaft steigern. «Ein Trugschluss», so Knoch.

Viele Unternehmen gehen neue Wege und richten sich verstärkt auf die persönlichen Kompetenzen von Mitarbeitenden aus, die die Unternehmenswerte spiegeln sollen. Etwa: Teamwork und Zusammenarbeit, Lernbereitschaft oder Veränderungswillen. «Dahinter steht die Idee, dass man mit der quantitativen Zielerreichung nicht weit gekommen ist und gerade in Bezug auf Leistungssteigerung und Arbeitsfähigkeit doch viel mehr Faktoren zu berücksichtigen sind.»

Um eine qualitative Performance messen zu können, muss man laut Knoch bei den Grundsatzfragen anfangen. Also bei den Werten, der Vision und der Mission, die eine Organisation im Inneren zusammenhalten, und dem daraus resultierenden Unternehmenszweck. «Manchmal liegt es gar nicht am Mitarbeitenden, sondern am fehlenden gemeinsamen Verständnis von Kultur und Zusammenarbeit.» Nur auf dieser Basis können Instrumente der Personalentwicklung jedoch effizient greifen.

Zu überprüfen sind auch Arbeitssituation, Arbeitsabläufe und Teamzusammensetzung. Denn oft sind die Erwartungen nicht auf ein realistisches Leistungsvermögen des Mitarbeitenden abgestimmt oder die Stelle ist nach falschen Kriterien besetzt worden. «Soll» und «Ist» der Arbeitsleistung stimmen dann nicht überein.

Ist der Mitarbeitende grundsätzlich motiviert, hat aber fachliche Defizite, die seine Leistung ausbremsen, können gezielte unterstützende Trainings- oder Schulungsmassnahmen das Leistungsniveau steigern. Auch ist es denkbar, eine neue Einsatzmöglichkeit im Unternehmen zu finden, die besser zu den Interessen und Stärken des Mitarbeitenden passt.

Drückeberger und Mitschwimmer

Schwieriger wird es, wenn der Mitarbeitende über die nötige Leistungsfähigkeit verfügt, aber nicht motiviert ist, Leistung zu erbringen. Frust, Langeweile, Mobbing, Überforderung, unrealistische Zielvorgaben oder fehlende Anerkennung können zu Resignation und innerer Kündigung führen. Hier gilt es, das Umfeld des Mitarbeitenden auf den Prüfstand zu stellen, zumal, wenn es sich um Leistungseinbrüche handelt, die für den Mitarbeitenden eigentlich bisher untypisch waren.

Es gibt Mitarbeitende, die schlichtweg zu faul sind, sich vor jeder Aufgabe drücken, sich vom Team tragen lassen und versuchen, auf der Erfolgswelle der anderen mit zu schwimmen. «Gerade in solchen Situationen zeigt sich die Qualität der Führung», so Knoch, «ein derartiges Verhalten muss zeitnah und konkret im Vieraugengespräch angesprochen werden, damit es nicht ausgesessen wird. Das ist der Teil von Führung, der für die Führungskraft unangenehm und herausfordernd sein kann.»

Ziel eines solchen Gesprächs sei, dass der Mitarbeitende eine Problemlösung vorschlage. Eigenverantwortung sei in diesen Situationen das Stichwort. «Auf dieser Basis wird gemeinsam eine klare Vereinbarung getroffen, die dem Team zugutekommt und im Handeln mündet.» Knoch ist überzeugt, dass bei guten Führungskräften solche Missstände in der Regel seltener zu finden sind. «Je offener die Kommunikation in der Organisation, je grösser das Vertrauen und je selbstbewusster die Mitarbeitenden, desto eher werden solche Missstände dem Vorgesetzten auch von Teamkollegen zurückgespiegelt», sagt Knoch. Manchmal nutzen alle gut gemeinten Massnahmen und Gespräche nichts. «Im schlimmsten Fall muss man sich von jemanden trennen, bevor das ganze Team zerstritten ist.»

Low Performer als Vorgesetzte

Doch was ist, wenn sich beim genauen Blick auf die Dinge herausstellt, dass die Führungskraft das Problem ist? Auch hier sollte HR nicht vorschnell urteilen, betont Knoch. Hierarchieabbau, Machtkonflikte, Konkurrenz- oder Silodenken in den Bereichen könnten Führungskräfte massiv unter Druck setzen und sie zu unrealistischen Zielvorgaben und unfairen Mitteln veranlassen. «Es kann sein, dass der Vorgesetzte ein guter Fachexperte, aber keine gute Führungskraft ist.» So würden in veralteten Strukturen immer noch Mitarbeitende, die gute Ergebnisse vorzuweisen haben, als Belohnung in Leitungsfunktionen befördert, denen sie aufgrund ihrer persönlichen Kompetenzen nicht gewachsen sind.

Die Folgen sind, dass Vorgesetzte ihre Macht missbrauchen, versuchen, unliebsame, aber tüchtige Mitarbeitende auf zweifelhafte Weise loszuwerden oder ihnen das Leben schwer machen, um eigene Leistungsmängel zu verschleiern.

«Es ist schon bemerkenswert, wie sich manche Führungskräfte jahrelang in einer Organisation halten können, ohne besonders aufzufallen – und damit Schaden anrichten», meint Knoch. Agile Strukturen sowie neue Formen der Zusammenarbeit können solchen Vorgesetzten künftig den Boden entziehen. «Ausschlaggebend ist, dass man den Mut hat, sich in der Organisation zu einem entsprechenden Entwicklungsprozess zu bekennen.»

So hat Knoch schon erlebt, dass eine Teamentwicklungsmassnahme für die Führungskraft in einem Trennungsprozess endete. Zu viele Dinge waren auf einmal auf den Tisch gekommen. «Letztlich wird immer noch zu wenig kommuniziert», meint Knoch. Aber dies sei die entscheidende Voraussetzung, um über die Befindlichkeiten der Mitarbeitenden etwas zu erfahren.

Stress bremst Leistung

«Emotionale Komponenten können zu Resignation führen, was sich negativ auf die Leistung auswirkt, egal auf welcher Ebene», erklärt Dieter Kissling, Leiter des Instituts für Arbeitsmedizin in Baden AG. «Ein Mitarbeitender, der sich unverstanden fühlt, nimmt automatisch seine Leistung zurück.» Miteinander im Gespräch zu bleiben, sei deshalb eine grosse Chance, rechtzeitig eingreifen zu können – spätestens wenn sich ein Mitarbeitender immer wieder über die Situation, den Arbeitsaufwand oder die Stellung beklagt und Konflikte heraufbeschwört.

Sind kritische Arbeitssituationen auszuschliessen, können auch psychische Belastungen oder Krankheit Gründe für Leistungsmängel sein. Die Führung betroffener oder gefährdeter Mitarbeitender braucht besonderes Fingerspitzengefühl. «Obwohl Erschöpfung ein Dauerbrenner ist, wird nur wenig darüber gesprochen», sagt Kissling. Jemand, der unter chronischem Stress oder gar unter einem Burnout leidet, könne seine Leistung nicht mehr im erforderlichen Mass erbringen.

Betroffene öffneten sich in der Regel nicht und beteuerten stattdessen wiederholt, dass es ihnen gut gehe. Indizien, die dagegen sprechen, seien geringe Konzentrationsfähigkeit, häufige Fehler oder das Nichteinhalten von Terminen.

Jeder Chef hat einen Chef

Betroffene können durch verstärkte Reizbarkeit oder sozialen Rückzug auffallen. Kissling sieht primär die Führungskraft in der Pflicht, ein klärendes Gespräch zu suchen und Massnahmen zu ergreifen. «Sie ist dem direkten Mitarbeitenden immer näher als das HR und sollte die Kompetenz besitzen, entsprechend zu reagieren.» Dennoch sollte die Personalabteilung in so einem Fall die Führungskraft mit unterstützenden Massnahmen stärken und Handlungsmöglichkeiten anbieten.

Geht es dem Chef selbst nicht gut, bleibt das im Team meist nicht unbemerkt. Hier könnte auch das Team reagieren und das Gespräch mit dem Chef suchen: Bringt das nichts, habe ja jede Führungskraft selbst wieder einen Vorgesetzten, der dann Ansprechpartner sein kann.

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