Salärsysteme

Vesting-Perioden allein taugen nicht zur Mitarbeiterbindung

Über Sinn oder Unsinn von aufgeschobener Vergütung und der Arbeit mit Vesting-Perioden wird viel diskutiert – in Zeiten der Finanzkrise zum Teil auch sehr emotional. Der Autor entlarvt die gängigen Argumente für den Einsatz solcher Vergütungsinstrumente in ihrer Mehrheit als nicht zutreffend, identifiziert aber zugleich einen anderen zentralen Grund für den Einsatz: die Vermögenshaftung.

Eines der meistgehörten Argumente für die Arbeit mit Vesting-Perioden ist, dass es den Mitarbeiter an die Unternehmung binde. Dieses Argument ist so richtig wie falsch. Es ist einerseits zutreffend, weil niemand gern einen Arbeitgeber vor Ablauf der Vesting-Periode verlässt und somit bereits individuell gewidmetes Geld im Unternehmen zurücklässt.

Damit ist andererseits aber auch schon der Hauptgrund genannt, weshalb Vesting für die Mitarbeiterbindung nicht funktioniert: Gute, dank ihrer Fähigkeiten gesuchte Mitarbeiter werden immer Arbeitgeber finden, die Gehaltsbestandteile, die im alten Unternehmen zurückgelassen wurden, auskaufen – um diese dann ihrerseits häufig wieder mit einer zeitlichen Halte- oder Sperrklausel zu versehen. Damit verfehlt ein Vesting bei den wirklich gefragten Talenten seine Wirkung. Den weniger gefragten bzw. weniger mobilen Mitarbeitern sind derartige Regelungen egal, sie können diese gewissermassen aussitzen, zumal im Entlassungsfall Arbeitgeber geneigt sind, aufgeschobene Vergütungen nicht verfallen zu lassen, sondern auszuzahlen.

Löhne gehören nicht zu den Treibern des Mitarbeiterengagements

Zahlreiche Analysen, so auch die Towers Perrin Global Workforce Study(1), belegen, dass konkurrenzfähige Löhne zu den wichtigsten Kriterien bei der Auswahl eines Arbeitgebers gehören. Allerdings finden sich Vergütungsaspekte nicht unter den für Mitarbeiterbindung massgeblichen Topkriterien. Zu diesen zählen in erster Linie die Reputation des Arbeitgebers, die Qualität der Arbeit und der Vorgesetzten sowie Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten.

Löhne gehören aber auch nicht zu den Treibern des Mitarbeiterengagements. Hier sind es – nicht ganz unerwartet – Aspekte wie Mitwirkung bei Entscheidungen, Verhalten von Vorgesetzten und horizonterweiternde Herausforderungen, die den Ausschlag geben. Somit zeigt sich einmal mehr: Angemessener Lohn und die Leistung honorierende Boni sind zwar wichtige Hygienefaktoren, aber Mitarbeiter wollen grundsätzlich einen interessanten Job, und dies bei einem angesehenen Arbeitgeber, der sich möglichst auf einem Wachstumspfad befindet, Karrierechancen bietet und zudem von einem Management geleitet wird, welches die Mitarbeiter herausfordert, Perspektiven aufzeigt und das Personal gerecht behandelt.

Aber wenn nun aufgeschobene Vergütung und die Arbeit mit Vesting-Perioden hinsichtlich der Bindung von Mitarbeitern, die eine Unternehmung unbedingt halten will, nicht nützen, weshalb arbeiten Unternehmen dann überhaupt mit solchen Personalmanagement-Instrumenten? Nun, die in diesem Kontext anzutreffenden Argumente lassen sich im Wesentlichen in zwei Kategorien einteilen: Hoffnung und Mithaftung.

An Bemessungsgrundlagen wie Aktienkursentwicklung oder Wachstum gebundene, aufgeschobene Vergütungsbestandteile, meist in Form von Aktien oder Optionen gewährt, sind historisch gesehen vor allem ein US-Phänomen. So hatten in den Hochzeiten des Silicon Valley Unternehmensneugründungen aufgrund des unerschöpflichen Reichtums an Perspektive, in erster Linie aber aufgrund des Mangels an verfügbarem Bargeld gar keine andere Wahl, als ihren Talenten über aufgeschobene Vergütung und Aktienzuteilungen den Lohn für geleistete Arbeit für 
einen Tag in der Zukunft zu versprechen. Mitarbeiter wurden so mit ihrem Einverständnis zu aktiven Teilhabern.

In Ländern wie der Schweiz hatte ein solcher Vergütungsansatz den zusätzlichen Vorteil, dass die Steuern bei Zuteilung geschuldet waren und die Empfänger auf steuerfreien Kapitalgewinn hoffen durften. Zusätzliche Vorteile verschafft die auch heute noch angewandte Diskontierung des Steuersatzes bei aufgeschobener Vergütung. Wer seinen Bonus statt in bar in Aktien nimmt und diese vier Jahre sperren lässt, hat sich damit einen Steuerabschlag von gut 20 Prozent erkauft, der in normalen Börsenjahren das Risiko nach unten abdeckt und bei einer Bewegung nach oben steuerfreie Kapitalgewinne erlaubt.

Leider sind viele Firmen zu spät und oft mit zu vielen Kaderstufen auf diesen Zug aufgesprungen. Auch haben die Börsencrashs der letzten Jahre vor allem Sozialversicherungen und Steuerbehörden zu sicheren Gewinnern gemacht, konnten sie doch die bei Zuteilung aufgeschobener Vergütung fälligen Abgaben vereinnahmen, auch wenn sich diese Vergütungen am Ende oft als wertlos entpuppten. Das Resultat: frustrierte Mitarbeiter, die eine gute Leistung erbracht sowie Steuern und Sozialversicherungsabgaben geleistet haben, aber dank Ereignissen, an denen sie meist nicht einmal entfernt mitschuldig sind, vor wertloser aufgeschobener Vergütung stehen.

Das Prinzip Hoffnung hat sich im 
Alltag zum Bumerang entwickelt

Im Unternehmensalltag hat sich damit das Prinzip Hoffnung auf eine spätere (hohe) Vergütung und schnellen Reichtum als Grundlage für die Gestaltung von Anreizsystemen zum Bumerang entwickelt. Auch zeigt sich, dass Vergütungsprogramme nicht speziell zur Optimierung von individuellen und unternehmensspezifischen Steuerlasten konstruiert werden sollten. Erstens kann sich die Gesetzgebung ändern. Zweitens ist der Aufwand für eine länderspezifisch steueroptimierte Plangestaltung und Administration gerade in global tätigen Firmen mit hohen Kosten verbunden, egal, ob die Pläne intern oder durch externe Dienstleister verwaltet werden. Steuerersparnisse sind ein positiver Nebeneffekt eines gut gestalteten Vergütungs
systems, dürfen aber nicht dessen Treiber sein.

Aktienkursentwicklung oder Umsatz als Kennzahlen nicht geeignet

Während Vesting-Perioden aus der Perspektive des reinen Aussitzens und Hoffens auf Wertsteigerung der bedingt zugeteilten Vergütung keinen Sinn machen und oft sogar demotivieren, sind Vesting-Perioden zum Zweck einer Beteiligung am zukünftigen Unternehmenserfolg durchaus sinnvoll. Bedingung ist aber, dass solche Pläne auf gut ausgewählten, auf das Unternehmen und seine Branche zugeschnittenen Bemessungsgrundlagen basieren, die langfristig die Schaffung eines echten Mehrwerts messen und diesen zusätzlich mit einer weiteren Kennzahl wie zum Beispiel der relativen Aktionärsrendite (Total Shareholder Return) mit einer Vergleichsgruppe von ähnlich gelagerten Unternehmen bewerten. Pläne, die sich nur auf Aktienkursentwicklung, Wachstum oder Umsatz stützen, erfüllen diese Vorgaben nicht.(2) Ebenso werden reine Optionspläne diesen Ansprüchen nicht gerecht. An dieser Stelle sei angemerkt, dass etwa die Hälfte aller Schweizer Unternehmen im Rahmen ihrer Langfristvergütungen (LTI-Programme) noch immer Aktienoptionen ausgibt. 

Solche nur bedingt zugeteilten, das 
heisst an die Erfüllung der vom Management selbst gegebenen Versprechungen über die Geschäftsentwicklung oder an den Erfolg von mittel- bis längerfristig eingegangenen Verbindlichkeiten geknüpften Vergütungen erlauben es, deren endgültigen Wert nicht pro-, sondern retrospektiv nach Vorlage des wirklichen und nicht nur des angenommenen Ergebnisses zu bewerten – oder gar rückholbar zu machen, wenn die Ziele nicht oder nur teilweise erreicht wurden.

Ein Nachteil besteht allerdings weiter: Nach der endgültigen Bewertung und dem Vesting folgt meistens zeitnah der Verkauf der erhaltenen Werte durch den Mitarbeiter. Damit haftet er zwar mit dem in Aussicht gestellten Einkommen, aber nie mit dem eigenen Vermögen. Daher kann und sollte zumindest für die ersten beiden Führungsstufen einer Unternehmung ein zweiter, weitergehender Schritt erfolgen: die Mithaftung durch eigenes Vermögen. Entsprechende Regelungen schreiben vor, dass ein Mindestwert in Aktien des eigenen Unternehmens zu halten ist, ausgedrückt als ein Mehrfaches des Grundlohns, beispielsweise das Drei- bis Fünffache für den CEO und das Zwei- bis Dreifache für die Geschäftsleitung.

Noch striktere Regeln verlangen, dass der nach Steuern und Sozialabgaben verbleibende Nettoteil der Zuteilung länger zu halten ist. Generell können solche Career-Share-Programme Zeiträume bis zum Ausscheiden eines Mitarbeiters oder sogar noch zwei bis drei Jahre darüber hinaus abdecken. Dies macht insofern Sinn, als unternehmerische Entscheidungen, die auf diesen Führungsstufen getroffen werden, ihre Wirkung über den Tag des Ausscheidens hinaus entfalten und somit dem Anspruch der Nachhaltigkeit noch stärker gerecht werden.

Bemessungsgrundlagen über einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren

Generell mögen die erläuterten Ansätze auf den ersten Blick einschneidend wirken. Aber es steht ausser Frage, dass Führungskräfte und Experten, die mit ihrem eigenen Vermögen haften, unternehmerischer und langfristiger denken als diejenigen, die nur das Risiko eingehen, die in Aussicht gestellte Vergütung nicht oder nur teilweise zu erhalten.

Vesting allein taugt also nicht als Element von Massnahmen zur Steigerung der Mitarbeiterbindung, weil es nicht in der angestrebten Richtung wirkt. Vesting macht aber dort Sinn, wo Bonus- und LTI-Pläne aufgelegt werden, deren Bemessungsgrundlagen sich sinnvollerweise über einen Bewertungszeitraum von zwei bis vier Jahren
erstrecken oder gar eine Rückholklausel enthalten, sofern das Geschäftsmodell dies erfordert. Und wenn es gelingt, das Management nach dem Vesting zum weiteren Halten der erworbenen Unternehmensanteile zu verpflichten, dann ist durch die Mithaftung über das eigene, durch die Vergütung in der Unternehmung erworbene Vermögen dieser Personen eine weitere Synchronisierung der Interessen von Kapitalgeber bzw. Aktionär und Unternehmensführung erreicht.

Quellen

  • (1) 
Vgl. die aktuelle Ausgabe der Global Workforce Study 2007–2008, durchgeführt bei knapp 90 000 Angestellten in 18 Ländern weltweit, darunter der Schweiz. Towers Perrin, Frankfurt 12/2007.
  • (2) 
Vgl. Towers Perrin, Equity Incentives Around The World, 2008.
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Hans Münch ist Senior Manager bei Towers Perrin Human Capital Group in Zürich. Der vormalige 
Managing Director HR bei Swiss Re berät zu Fragen der Top-Management-Vergütung und Corporate 
Governance. Münch war bei Swiss Re HR Business Partner des CEO sowie Sekretär des Vergütungsausschusses im VR.

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