Viel Spass in virtuellen Realitäten
Kann irgendjemand Lernen und Spielen heute noch deutlich unterscheiden? Auf dem PDA werden Spiele zur Unterhaltung installiert, auf portablen Spielkonsolen sind Programme fürs Gehirnjogging der Hit. Und was wäre, wenn auch die Arbeit immer verspielter würde?

(Bild: zVg)
«Dieses Spiel wurde auf Anordnung der Geschäftsleitung auf Ihrem PC installiert. Es wird Ihnen helfen, Ihre Pendenzen schnell zu erledigen und Ihre Ziele besser zu erreichen. Beginnen Sie jetzt zu spielen – selbst Ihre Pausen sind vorprogrammiert.» Die Vorstellung, eines Tages könnte eine solche Meldung auf dem Computerbildschirm die Werktätigen am Morgen an ihr Tagwerk locken, ist zu schön, um wahr zu sein. Ist sie aber gänzlich unrealistisch? Die Grenzen zwischen Spiel und Lernen verschwimmen offensichtlich zusehends – weshalb sollten Unterhaltung und Arbeit nicht auch näher zusammenrücken?
Mühselig oder monoton braucht Lernen wirklich nicht mehr zu sein, das weiss heute jedes Kind. Ob es sich mit «Willi will’s wissen» schlaumacht, auf dem PC in der «Chronik der Weltgeschichte» blättert oder zu einem «virtuellen Besuch im Louvre» aufbricht – Edutainment statt Büffeln heisst die Devise. Und die weltweit boomende Spieleindustrie lockt damit längst nicht mehr nur Kinder auf die virtuelle Schulbank. Wenn ein sachlicher Hintergrund vorliegt und ein konkreter Nutzen winkt, spielen auch erwachsene Berufstätige ganz gerne. Management-Games, Unternehmenssimulationen und Ähnliches werden in der Ausbildung von Führungskräften ja schon seit über 30 Jahren mit Erfolg eingesetzt.
Wartezeit verwandelt sich in Weiterbildungszeit
In diesem Bereich seien gegenwärtig die computergestützten Planspiele besonders gefragt, erklärt Mario Gust, Sprecher der Gesellschaft für Planspiele in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Selbst einem «English Training» von Nintendo verschliesst sich der moderne Manager nicht. Das anspruchsvolle Sprachlernprogramm verwandelt die «leere» Wartezeit in der Flughafenlounge in kurzweilige Weiterbildungszeit. Verstecken muss man sich mit den kleinen eleganten Spielkonsolen nicht. Dass sich hinter den beiden Bildschirmen in Buchform nicht die respektable elektronische Agenda, sondern eine Maschine zum frivolen Zeitvertreib verbirgt, weiss ohnehin nur der spielkundige Sitznachbar. Und der trainiert wahrscheinlich seinerseits gerade mit dem Bestseller «Dr. Kawashimas Brain Training». Dieses Spiel besetzt übrigens seit seiner Markt-einführung im Juni 2006 fast ununterbrochen Platz 1 der Verkaufslisten für portable Spiele der Nintendo-Konsole – und verkauft sich damit besser als jedes andere Spiel im portablen Bereich, erklärt Jean Pierre Gerber, Marketingleiter der Waldmeier AG, die den Nintendo-Vertrieb in der Schweiz macht.
Apropos Gehirntraining. Der Nutzen des Spiels auf die Hirntätigkeit ist wissenschaftlich längst erwiesen. Ginge es nach der Gehirnforschung, wäre längst Schluss mit tumbem Drill und monotonem Pauken. «Game-Based Learning» ist auf jeden Fall abwechslungsreich und unterhaltend, Fertigkeiten werden nicht monoton repetiert, sondern beiläufig eingeübt. Für die Flinkeren gibt es höhere Schwierigkeitsstufen und wer den Wettkampf mag, zielt auf Belohnungen in Form von Ranglisten oder virtuellen Auszeichnungen. So langsam sollten sich die Spieleentwickler den ernsthaften Arbeitsthemen annehmen und sie für uns aufpeppen. Mancher Angestellte begäbe sich vielleicht lieber ins Büro, wenn es im Second Life wäre …
«Burnout Paradise»
«War games invade boardrooms», titelte vor einigen Jahren das «Wall Street Journal», «Kriegsspiele erobern die Chefetagen». Vom strategischen Nutzen der Ballerspiele war da die Rede und von ihrem Wert für die Management Aus- und Weiterbildung. Euphorisch bestätigte ein «Competitive Intelligence Manager» des Pharmamultis AstraZeneca, für die «Wahrnehmung von Veränderung und die Risikominimierung» sei ein virtuelles Kriegsspiel ein «echt starkes Werkzeug». Mehrere Dutzend Kriegsspiele seien bei AstraZeneca sowohl in Nordamerika als auch in Europa durchgeführt worden, primär vor der Markteinführung neuer Medikamente. Ob in den Chefetagen der Marke-tingabteilung von AstraZeneca heute noch geballert wird, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Vermutlich eher nicht. Schliesslich – das zeigt die Recherche in den Medien-archiven – hat das Thema «Ballerspiel in der Managementausbildung» zeitgleich mit dem Ausbruch des Irakkriegs seine Attraktivität verloren.
In der Schweiz scheint man sich auch in der Führungsausbildung lieber an das Prinzip der friedfertigen Neutralität zu halten. Die Nachfrage bei entsprechenden Anbietern von Management-Trainings zeigt: Vom Kriegsspiel lässt man die Finger. Zumindest offiziell, denn ob sich zukünftige Manager nicht zuhause in Killergames auf ihren Berufsalltag einschiessen, lässt sich natürlich nicht nachprüfen. Sie förderten das strategische Denken, die Durchsetzungskraft und die soziale Kompetenz, wird von solchen Spielen gerne behauptet. Zwar sitzen die meis-ten Spieler nach wie vor alleine vor dem Bildschirm, treffen sich aber im Internet im Spiel – und dort gilt es, seine virtuellen Kollegen erfolgreich übers Schlachtfeld zu führen. Zu hoffen bleibt, dass die Führungskräfte dabei mehr lernen, als bloss ihre Konkurrenten vom Feld zu pusten. Dass in Killerspielen tatsächlich auch Nützliches gelernt werden kann, hat kürzlich der Amerikaner Paxton Galvanek bewiesen. Er griff rettend ein, als er in North Carolina Zeuge eines Autounfalls wurde. Das notwendige Wissen habe er sich im Kriegsspiel «America’s Army» angeeignet, erklärte er in Interviews.
In diesem virtuellen Ausbildungscamp buchen Möchtegern-Soldaten auch einen Erste-Hilfe-Kurs. Ein weiteres Spiel bietet sich für die besonders Ehrgeizigen unter den Managern an: «Burnout Paradise». In diesem Autorennspiel dürfen sie andere Fahrer aus ihrer Bahn werfen. Treiben es die Spieler zu bunt, droht ihnen – genau wie im richtigen Leben – der Burnout.
Kooperativ konkurrieren
Kooperation oder Konkurrenz? Für KMU gar nicht so einfach zu entscheiden – und in den seltensten Fällen ein klares Entweder-oder. Im US-Bestseller «Coopetition», vor kurzem vom deutschen BWL-Professor Christian Rieck neu herausgegeben, wird gezeigt, wie Unternehmen «kooperativ konkurrieren». «Gegner kooperieren selbst dann nicht, wenn es für beide Seiten sinnvoll wäre», weiss Christian Rieck aus vielen Versuchen, die er mit Studenten durchgeführt hat. Die zwei häufigsten Denkfehler dabei seien:
Wir müssen die anderen schlagen. (Der Fehler: Anders als im Sport gibt es im Geschäftsleben nicht einen Gewinner und einen Verlierer, sondern oft beide gleichzeitig. Wenn beide Parteien jeweils besser sein wollen als ihr Gegner, kann es nicht aufgehen. Stattdessen sollten beide überlegen, wie viel sie dem anderen lassen, damit auch er zufrieden ist. Aber auch nicht mehr. Wo genau dieser Punkt liegt, das zeigt die Spieltheorie.)
Wir sind cleverer als die anderen. (Der Fehler: Viele wählen eine Strategie, die nur dann gut ist, wenn der Gegner eine dümmere wählt. Das wird zum Fehler, weil der andere dies oft nicht tut. Dann sind beide die Dummen. Die Spieltheorie untersucht, welche Strategien auch dann noch funktionieren, wenn sich beide Seiten intelligent verhalten.)
Wie man im Geschäftsleben von der Spieltheorie profitiert, ohne sich gleich mit mathematischen Formeln herumzuschlagen, wird in Riecks Buch gezeigt. Praktische Fallbeispiele bekannter Unternehmen machen die Lektüre praxisnah und zu einem Ideenfundus für die eigene Strategie.
(Information: www.spieltheorie.de)
Im Team ein virtuelles Haus bauen
Mit der Simulation «Projektopolis» werden Teams zu Bauherren. Und als solche – wie im richtigen Leben – ständig mit Situationen konfrontiert, in denen folgenreiche Entscheidungen getroffen werden müssen. «Die Handlungskompetenz wird so optimal gefördert», erklärt Silvio Vecellio, Geschäftsführer des gleichnamigen Beratungsunternehmens. Vorteil des Spiels gegenüber virtuellen Programmen: «Es fordert die Sinne stärker heraus. Die Teilnehmer erleben auch ganz direkt, welchen Einfluss ihre Entscheidungen haben – nicht nur in einem sachlichen, sondern auch im emotionalen Sinn.» Dadurch profitierten nicht nur Motivation, Teamgeist und Kommunikationsfähigkeit, so Vecellio, «auch die Lernziele werden meist sehr viel schneller erreicht.» Während etwa ein Projektmanagement-Zertifikationslehrgang früher gut und gerne 160 Lektionen umfasste, seien dafür heute noch rund vier Präsenztage nötig. Allerdings setzt diese Einsparung einiges an Vorbereitung voraus. Diese wird für «Projektopolis» durch E-Learning geleistet – und didaktisch sehr sorgfältig begleitet, betont Vecellio: «Wir sind als Tele-Coach immer online dabei.» Damit – wie im richtigen Leben – das Haus innert nützlicher Frist und ohne grobe Baufehler entsteht. (Information: www.vecellio.ch)