Vollbeschäftigung. Oder doch nicht?

Der Schweizer Arbeitsmarkt boomt: Erstmals seit knapp elf Jahren fiel die Zahl der Arbeitslosen unter die Schwelle von 100'000, teilte diese Woche das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mit. Doch wie so oft, ist nicht alles Gold was glänzt.

Herr Wirz, Ökonomen definieren eine Arbeitslosenquote zwischen 2-3% als Vollbeschäftigung – wie definieren Sie Vollbeschäftigung?

Erik Wirz: Wir sehen die Vollbeschäftigung ein wenig differenzierter. Aus unserer Sicht sollten auch die Langzeitarbeitslosen und Ausgesteuerten in der Statistik auftauchen. Dies würde ein umfassenderes Bild abgeben als es heute oft betrachtet wird.

Stetiger «Aufschwung der Schweizer Wirtschaft» wird als Hauptgrund für die guten Arbeitsmarktzahlen genannt – geht es uns in der Schweiz also wirklich super?

Die Schweizer Wirtschaft hat sich nach der Entkopplung vom Euro im Januar 2015 mehr als nur erholt. Viele Firmen haben im Anschluss nach der Entkopplung vom Euro das Thema der verlängerten Werkbank forciert und sind dadurch international wettbewerbsfähiger geworden.

Im Anschluss an die erste grosse Aufwertung und die damit verbundene Unsicherheit in der Wirtschaft, entstand in vielen Branchen ein Investitionsstau. Doch dieser wurde in den letzten Jahren abgebaut und kombiniert mit einem entsprechenden Wirtschaftswachstum, hat das zu einem entsprechenden Aufschwung geführt.

Tiefe Arbeitslosenquote, gesunde Wirtschaft – das klingt doch alles toll. Weshalb ist aus Ihrer Sicht trotzdem Vorsicht geboten?

Nebst der aus der Wirtschaftswissenschaft bekannten Theorie des Schweinezyklus, denken wir, dass die strukturellen Herausforderungen in der EU noch immer latent sind. Das langanhaltende Tiefzinsumfeld führt zu Verwerfungen, die aktuell noch nicht absehbar sind. Auch die geopolitische Lage bringt einige Unsicherheiten mit sich.

Eine andere Aussage, die man in den Medien liest, ist: «Durch die sinkende Arbeitslosigkeit wird das Arbeitskräftepotenzial knapper.» Teilen Sie diese Meinung?

In der Theorie mag das stimmen, allerdings greift die Betrachtung im Fall der Schweiz nicht weit genug. Wie bereits erwähnt, ist die «Werkbank» der Schweiz nicht mehr auf die lokalen Arbeitskräfte beschränkt. Immer mehr Firmen arbeiten mit hybriden Sourcing Modellen, welche es den Firmen erlauben, sowohl kostenseitig wie aber auch skalierungstechnisch, sich den Gegebenheiten des Marktes rasch anpassen zu können.

Stichwort Fachkräftemangel: Als Gegenmassnahme hat man – unter anderem – die Stellenmeldepflicht eingeführt. Wirkt diese Meldepflicht aus Ihrer Sicht?

Als Executive Search Firma, welche sich in den Bereichen Digitalisierung und Life Science bewegt, ist der Fachkräftemangel eine permanente Herausforderung.

Die Meldepflicht kann sicher ein Instrument sein dem lokalen Markt mehr Transparenz zu verschaffen, allerdings sind wir mit den von uns gesuchten Profilen davon nicht tangiert.

Wagen wir eine Zukunftsprognose: Wo sehen Sie die grössten Hürden im Schweizer Arbeitsmarkt?

Als Wissensgesellschaft wird es unsere Aufgabe sein, das Bildungssystem anzupassen, zu verbessern und sicherzustellen, dass wir weiterhin international führend sind in den massgebenderen Technologien.

Künstliche Intelligenz wird unsere Arbeitswelt in den nächsten Jahren verändern, daher werden sich auch der Inhalt und die Ziele des Bildungssystems ändern müssen. Die Schweiz hat heute einige führende Universitäten – beispielsweise ETH und EPFL – welche international zu den besten gehören. Es ist entscheidend für das Wohl unserer Gesellschaft, dass wir der anstehenden Herausforderung des Wandels im Bildungssystem genügend Aufmerksamkeit schenken.

Wo sehen Sie Chancen?

Die Executive Search Branche ist immer ein Frühindikator der Wirtschaft. Die grossen Chancen sehen wir in der immer wieder bewiesenen Anpassungsfähigkeit unserer Wirtschaft. Nebst den grossen internationalen Firmen, welche in der Schweiz ihre Hauptsitze haben und dadurch den Standort Schweiz international attraktiv machen für qualifizierte internationale Fachkräfte, sind es primär die Mittelstandsfirmen, welche sehr agil mit grossem Geschick sich immer wieder neu erfinden.

Viele Menschen fürchten sich vor der Digitalisierung: Verliere ich meinen Job? Werde ich weg-automatisiert? Denken Sie zurück an die letzten grossen Industrierevolutionen: den Dampfantrieb, die Elektrizität. Beide haben anhaltend und flächendeckend zur Erhöhung der Lebensqualität und des allgemeinen Wohlstands geführt. Die Nutzung des Potentials aus der Digitalisierung wird einer der wichtigsten Faktoren der künftigen Entwicklung der Schweizer Wirtschaft sein.

Zur Person

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Erik Wirz ist Inhaber von Wirz & Partners Management Consulting AG, ein Schweizer Executive-Search-Unternehmen für Jobs in den Bereichen Digitalisierung, IT, Management-Beratung, Pharma, Medizintechnik und Gesundheitswesen.

 

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