Studie

Vom Verschwinden der Chefs

Wohin geht es mit der Arbeit in unserer Wissensgesellschaft? Eine Studie zeigt Zukunftsszenarien auf: Kunden werden zu Mitarbeitern, Arbeitsverträge wandeln sich zu Projektverträgen, und Entscheidungen werden künftig nicht mehr nur von Menschen, sondern auch von Maschinen getroffen.

Das Forschungs-, Weiterbildungs- und Beratungsinstitut Wissensfabrik hat kürzlich die Studie «Die Zukunft des Arbeitsmarktes» publiziert. Dafür hat es 13 Experten befragt und aktuelle Literatur beigezogen. Der Schwerpunkt der Beobachtung lag auf den Entwicklungen, die sich im deutschsprachigen Raum in den Arbeitsmärkten für Hochqualifizierte abspielen. Die Erkenntnisse wurden auf zwölf Thesen reduziert.

Mehr Macht für die Arbeitnehmer?

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden die Thesen auf eine Machtverschiebung zugunsten der Arbeitnehmenden hinweisen. Diese könnten aufgrund einer verbesserten Marktposition die Arbeitsbedingungen in zeitlicher, räumlicher, inhaltlicher und finanzieller Sicht stärker als früher bestimmen.

Hintergrund dieser Entwicklung bilden die Megatrends «Demographischer Wandel» und «Wissensgesellschaft» (siehe dazu «HRM Trendstudie 2012. Die Folgen der Digitalisierung: Neue Arbeitswelten, Wissenskulturen und Führungsansätze»). Sie führen dazu, dass das Wissen zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor wird und dass es durch das Ausscheiden älterer Mitarbeitenden in den Unternehmen knapper wird. Diese Veränderungen verleihen den Hochqualifizierten mehr Gewicht auf dem Arbeits- beziehungsweise Wissensmarkt.

Gewinner und Verlierer der Wissensgesellschaft

Die Megatrends machen aber deutlich, dass die Annahme der Machtverschiebung nur teilweise zutrifft. Denn nur diejenigen Mitarbeitenden werden von diesem Machtgewinn profitieren, die tatsächlich über Wissen verfügen, das für Unternehmen wertvoll ist. Der Vorteil gegenüber den Unternehmen kann zudem nur dann aufrechterhalten werden, wenn sich die Mitarbeitenden ständig weiterentwickeln, also den Wert ihres Wissens durch Investitionen ständig erhöhen. Das passiert durch Weiterbildung, die selbständige Aktualisierung des Wissens oder die Pflege von Netzwerken. 

Diese Entwicklungen stärken die Gewinner der Wissensgesellschaft und schwächen deren Verlierer. Folge ist eine zunehmende Trennung des Arbeitsmarktes in ein Segment für Hochqualifizierte und eines für Niedrigqualifizierte.

Die Arbeitsverteilung der Zukunft

Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die zwölf Thesen auch auf eine andere Art und Weise verdichtet werden können. Im Zentrum steht dann die Frage, wie die zur Verfügung stehende beziehungsweise die zu bewältigende Arbeit in Zukunft verteilt wird. Orientierte sich die Verteilung der Arbeit früher an den in einem Unternehmen arbeitenden Menschen, so orientiert sich die Verteilung der Arbeit nun immer mehr an den zu bewältigenden Aufgaben. Das heisst, die von einem Unternehmen zu bewältigenden Aufgaben geben vor, wer in einem Unternehmen arbeitet, welche Mitarbeitenden als wertvoll betrachtet werden und wer mit wem zusammenarbeiten sollte. Das heisst nichts anderes, als dass die Ökonomisierung der Arbeit verstärkt wird. Kompetenzen und Wissen werden zum dominierenden Kriterium bei der Verteilung von Arbeit, während menschliche Faktoren unter Druck geraten.

Dieser neue Verteilungsmechanismus der Arbeit wird insbesondere in drei der zwölf Thesen konkret:

  • Der Arbeitsvertrag wird zum Projektvertrag: Durch kurzfristige Verträge erlangen Unternehmen eine höhere Flexibilität im Umgang mit ihrem Humankapital. Sie engagieren diejenigen Mitarbeitenden, die sie für die Bewältigung eines aktuellen Projektes brauchen. Die Projekte werden letztlich durch die Bedürfnisse der Kunden vorgegeben. Der Projektvertrag ist umso beliebter, je volatiler sich die Wirtschaftslage zeigt. Projektverträge entsprechen gleichzeitig der von vielen Hochqualifizierten angestrebten Selbstbestimmung. Folge ist eine Veränderung der Aufbauorganisation hin zu einem Netzwerk mit einem geringen Bestand an Festangestellten.
  • Kunden werden zu Mitarbeitenden: Unternehmen brauchen dasjenige Wissen, das ihnen erlaubt, ihre Prozesse zu optimieren, Kundenbedürfnisse besser und nachhaltiger zu befriedigen und im Vergleich zur Konkurrenz innovativer zu sein. Dieses Wissen besitzen häufig die Kunden eines Unternehmens. Sie kennen die Produkte und (Dienstleistungs-)Prozesse eines Unternehmens durch das Bestellen, Kaufen, Verbrauchen, Entsorgen und Reklamieren am besten. Unternehmen versuchen deshalb zunehmend (zum Beispiel durch Crowd-Innovation) das Wissen ihrer Kunden in die Produkt-, Prozess- und Unternehmensentwicklung zu integrieren.
  • Die Anzahl der Führungskräfte nimmt ab: Hierarchien sind schwerfällig und behindern die Hochqualifizierten in ihrem Drang nach Selbstbestimmung. Das Netzwerk gewinnt auch deshalb bei der Organisation der Arbeit an Bedeutung, weil externe Wissensquellen immer einfacher integriert werden können. Diese Entwicklungen führen dazu, dass es in Unternehmen künftig weniger Führungskräfte geben wird. Dieser Trend wird dadurch gestützt, dass Führungspositionen aufgrund des höheren Erfolgsdrucks, der grösseren Führungsspanne sowie der kritischen Beäugung durch die Mitarbeitenden und durch die Öffentlichkeit unbeliebter werden. Zudem werden Entscheidungen im mittleren Management verstärkt durch Algorithmen, sprich Maschinen getroffen.

Die Thesen illustrieren die Bedeutung von Personalentscheidungen für die Innovationskraft und den Erfolg eines Unternehmens. Um die richtigen Mitarbeitenden zu akquirieren, werden die Unternehmen in Zukunft auch neue Wege gehen. Durch das Internet steht den Entscheidungsträgern im Vergleich zu früher eine viel grössere Informationsdichte über (potenzielle) Mitarbeitende zur Verfügung. Diese Informationen können bei der Gewinnung, Entwicklung und Beförderung von Mitarbeitenden in Zukunft nicht mehr ignoriert werden. Wer keine professionelle Rekrutierung, kein zeitgemässes Employer Branding, keine digitalen HR-Prozesse anbieten kann oder die Kosten für den Aufbau dieser Professionalität scheut, wird das HR auslagern.

Die verstärkte Orientierung an ökonomischen Kriterien bei der Arbeit zeigt aber auch, dass die Politik gefragt sein wird, um die schützenden Rahmenbedingungen zu gestalten.

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Joël Luc Cachelin inspiriert und begleitetet mit der Wissensfabrik Unternehmen in der digitalen Transformation. Er hat an der Universität St.Gallen BWL studiert und zur Zukunft des Managements doktoriert. 2016 schloss er an der HWZ Zürich das CAS Disruptive Technologies ab – zurzeit bildet er sich an der Universität Bern in angewandter Statistik weiter. Er hat mehrere Sachbücher über die Digitalisierung veröffentlicht. www.wissensfabrik.ch

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