Recruiting

Von der fragwürdigen Suche nach dem Superlativ

Konzerne suchen immer nur die Besten. Und die erhalten sie auch. Was ihnen dabei häufig durch die Lappen geht: die Richtigen.

Leider findet man zum Thema «Arbeitswelt der Zukunft» nur selten Vorstellungen von denen, die tatsächlich in der Zukunft arbeiten werden. Die meisten Szenarien werden vor allem von Trendforschern in  die publizistischen Umlaufbahnen eingespeist – Ideen, die allesamt die Befreiung aus den klassischen Abhängigkeitsverhältnissen feiern, etikettiert mit lärmenden Anglizismen wie Knowledge Work, Port­folio Work, Selfpreneur – gehobene Ich-AGs, eine Art Elite der kreativen Fortführung der Wirtschaft in die Zukunft, mitreissend und zielstrebig.

Schlechtes Zeugnis für Chefs

Die Diagnose der seriösen Arbeitsmarktforscher zeigt, was der vorgeblich wissensbasierten Kreativwirtschaft für eine langfristige Perspektive fehlt: eine zukunftsgerichtete, hochmoderne, innovative In­dustrie und eine diversifizierte,
ihrer selbst bewusste Mittelschicht. Das Problem ist nur, dass, wenn heute von Talenten und junger Elite die Rede ist, diese Perspektive kaum eröffnet wird.

Und so gerät zweierlei aus dem Blick: erstens die grosse Kraft der innovativen KMU und zweitens die grosse Möglichkeit für junge Talente, sich dort auszuprobieren. Dass es ein Biotop wäre, wo sie sich wohl fühlen könnten, zeigen die Ergebnisse meiner nunmehr zwölf Jahre umfassenden Forschung zur Frage der zukünftigen Managementkultur. Junge Leute sind überwiegend bereit, sich den wirtschaftlichen und moralischen Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Nur sehen sie nicht die Gewissheit, dass die Führung der Konzerne diese Art von Gedanken teilt. Die wollen immer nur «die Besten» und definieren diesen Superlativ in einer sehr vordergründigen, kennzahldominierten Weise: Einserstudium in Wirtschaftswis­senschaften, zielstrebig formatierte Modellbiografie, Anpassungsfähigkeit und windschnittige Karrierevorstellungen. Der reproduktive Gedanke der alten Kader dominiert über die Idee, Neues zuzulassen.

Und so geschieht etwas sehr Seltsames: Man bekommt die «Besten», in der Tat, aber nur die, die dieser eingeschränkten Definition entsprechen. Ob es wirklich die «Richtigen» sind, bleibt offen und wird sich erst dann zeigen, wenn es zu spät für Korrekturen des kennzahldominierten ­Recruiting ist.

Bei der Frage nach dem Profil der amtierenden Führungskräfte ergibt sich daher bei vielen jungen Leuten, die sich durchaus vorstellen könnten, in den Unternehmen eine Managementkarriere zu starten, ein relativ schlechtes Zeugnis. Die Differenzen betreffen vor allem die genannten mitarbeiterorientierten Handlungsoptionen. Diese Konfrontation kann bereits lange vor dem Ausbruch der gegenwärtigen Krise diagnostiziert werden. Bemerkenswert ist, dass diese Konfrontation bei betriebswirtschaftlich-pragmatischen Kompetenzen (wie Organisationstalent, Intelligenz und analytisches Geschick) geringer ausfällt.

Das Ergebnis bestätigt sich in einer weiteren Frage nach den mutmasslichen Handlungsoptionen, die von amtierenden Managern im Vergleich mit den Befragten in moralisch zweifelhaften Situationen des Wirtschaftsalltags gewählt würden. Auch hier zeigt sich eine Konfrontation, die – neben den politisch bedeutsamen Moralverletzungen –  vor allem wieder die mitarbeiterorientierten Situationen charakterisiert (zum Beispiel Frauen schlechter bezahlen, Einsparungen bei Weiterbildung). Bei  betriebswirtschaftlich-pragmatischen Dilemmata ist die Differenz wieder erheblich geringer.

Anpassung ist die falsche Lösung

Man sieht an diesen Ergebnissen: Wir haben es nicht mit irgendwelchen Romantikern zu tun. Das wäre auch verwunderlich gewesen. Denn die Auswahl der Befragten über die knapp zehn Jahre der Untersuchung hinweg war definitiv auf Studierende und Young Professionals mit deutlich erkennbaren Absichten gerichtet, wirtschaftliche Karrieren zu machen. Angesichts dieser Befunde  drängt sich nun eine unabweisbare Frage auf: Warum hat die hier beschriebene Mentalität einer überwiegenden Mehrzahl junger Talente fast keine Wirkungen in der globalen Wirtschaftskultur zeitigen können?

Wirksame Mittel gegen das Unbehagen wären allerdings vorhanden, preiswert und jederzeit einsetzbar: die Menschen im Unternehmen, Mitarbeiter, Persönlichkeiten, kommunikationsbereite Individuen, vielfältig gebildete junge Talente und hochklassige, gelassene Personen im Management, Männer und Frauen gleichermassen und interessanterweise mit den gleichen Interessen, in deren Zentrum ein Wert steht: Sinn. Und viele Studierende, die noch eben diesen Sinn suchen in ihrer gewünschten Karriere. Also genau jene jungen Leute, die im Bann des formalistischen Habitus nur die Alternative zwischen Anpassung und Absage sehen – die sich aber leider, und auch das muss man sagen, allzu oft anpassen, weil sie glauben, dem Modell der vermeintlich Besten folgen zu müssen. Oder die sich verweigern, weil sie glauben, dass diese Wirtschaftswelt nicht «das Richtige» für sie ist, obwohl sie «die Richtigen» wären. Nur – wer macht den ersten Schritt, und wie? Wo doch das System der zukünftigen Arbeitswelt übermächtig scheint in seiner globalisierten Kapitalmarktlogik?

Es wäre auf jeden Fall notwendig, sich wechselseitig zu offenbaren – auf der Seite der kennzahldominierten Formalisten die Schwäche, nicht alle Herausforderungen systemisch bewältigen zu können, und die Sehnsucht nach einer anderen Art der Kooperation einzugestehen; auf der anderen Seite, der Kultur der Kritiker und der Resignierten, Stärke zu zeigen, sich auf die wirtschaftlichen Prozesse konstruktiv einzulassen, um etwas zu schaffen, das vor über 50 Jahren seinen Begriff in einer berühmten Vorlesung des Physikers und Romanciers Charles Percy Snow an der Cambridge University fand: «Third Culture».

Die Antwort auf die Frage nach dem ersten Schritt ist theoretisch natürlich sehr einfach: Es ist eine Zukunftsaufgabe der Führung, diese Charaktere zu finden, zuzulassen und in ihren Eigenarten zu pflegen.

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Prof. Dr. Holger Rust ist Wirtschaftssozio­loge mit grosser Erfahrung und Praxis in Forschung und Lehre. Er verfügt über tiefes Wissen aus Koopera­tionen und Beratungs­tätigkeiten für zahl­reiche Unternehmen, Verbände und ­politische Institu­tionen.

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