Ratgeber

Warum Führungskräfte aufhören 
müssen, alle Probleme lösen zu wollen

Manager sehen sich oft primär als Problemlöser und fühlen sich persönlich verpflichtet, «die Lösung» für jedes Problem zu haben. Dieses in vielen Köpfen verankerte Verhaltensmuster kann eine Organisation augenscheinlich in ihrer Kreativität und Effektivität beeinträchtigen. Warum ist das so, und wie können sich Manager aus dieser Falle befreien?

Spätestens seit der Wirtschaftskrise steht in mehr oder weniger allen Unternehmen das Thema Wandel ganz oben auf der Tagesordnung. Umsetzung neuer Strategien, Leistungssteigerung und Kostensenkungen sind nur einige der Themen. Die Budgets sind eng und Ressourcen knapp. Trotzdem haben viele Manager den Auftrag, in ihrer Organisation die Leistungsfähigkeit zu steigern. Leider stehen sich Führungskräfte dabei manchmal mit ihrem eigenen Verhalten als Problemlöser unbewusst selbst im Weg.

Wenn sich Manager für die Organisation kritischen Herausforderungen stellen, spielt sich in etwa der folgende Gedankengang ab: Problemstellung wird analysiert, Probleme identifiziert, Prioritäten gesetzt und potenzielle Lösungen werden abgewogen. Als nächster Schritt werden oft Projektteams zusammengestellt und damit beauftragt, entweder eine vom Manager identifizierte Lösung umzusetzen oder Empfehlungen zur Problemlösung zu erarbeiten. Zu diesem Zeitpunkt hat sich meist schon der Fokus auf eine konkrete Aufgabe oder Lösung verlagert, die meist nur indirekt mit der Herausforderung oder den benötigten Ergebnissen zu tun hat. Mögliche Antworten, zum Beispiel auf die Aufgabe der Leistungssteigerung oder Kostensenkung, lauten: Wir brauchen ein neues Performance-Management-System, wir brauchen ein Prozessverbesserungsprogramm, wir brauchen eine Führungskräfteentwicklungsinitiative, wir brauchen eine Benchmarkstudie, wir brauchen Six-Sigma-Training. Alle diese Dinge hören sich gut an und mögen auch die richtigen Ansätze sein, sind aber vorgegebene Lösungen und versetzen die Projektteams in eine rein ausführende Rolle.

Bei diesem Gedankengang und dem «hand-over» von Lösungen zu Projektteams geht daher leider oft schon die Verbindung zur eigentlichen Herausforderung (beispielsweise bessere Performance) verloren. Die Aufmerksamkeit verlagert sich von den eigentlich benötigten Ergebnissen und der strategischen Priorität auf eine Aktivität oder Lösung. In der Folge hören wir oft von Führungskräften, dass sie, obwohl sie das Richtige tun, nur geringe Verbesserung in der Performance erreichen. Zusätzlich beklagen sich viele, dass sie auf Widerstand stossen und dass ihre Mitarbeiter mangelnden Einsatz, wenig Initiative und Verständnis für die Herausforderungen der Organisation zeigen.

Das Erbe von F. W. Taylor: Trennen von Planung und Ausführung

Dieses Denken lässt sich bis zu F.W. Taylor und seinen Ansätzen des «Scientific Management» zurückverfolgen. Taylors Arbeit, die von vielen als die Geburtsstunde der Betriebswirtschaft mit wissenschaftlichen Methoden betrachtet wird, hatte zum Ziel, Leistungsfähigkeit zu steigern und die Ressourcen besser zum Einsatz zu bringen. Einer der zentralen Grundsätze besteht in der strengen Trennung von Planung (durch das Management) und der Ausführung (durch Arbeiter). Bis heute sind noch viele Managementmethoden und Ansätze von diesem Denken, wenn auch indirekt, beeinflusst und finden sich auch in dem vorher beschriebenen Gedankengang bei vielen Managern wieder.

Manchmal ist dies auch der richtige Ansatz, aber viel öfter limitiert dieses Denken Führungskräfte und Unternehmen dabei, das Potenzial und die Kreativität ihrer Mitarbeiter voll auszunutzen. Was sich früher bewährt hat und somit selbstverständlich wurde, ist immer weniger zeitgemäss. Einer der Gründe dafür liegt darin, dass das Ausbildungsniveau auf allen Ebenen ständig steigt und es immer mehr «Wissensarbeiter» gibt, die anders gefordert werden wollen.

Von der Kunst, loszulassen und 
Verantwortung zu übergeben

Um dieser Falle zu entgehen, müssen Führungskräfte umdenken. An Stelle von Lösungen müssen Herausforderungen mit Handlungsspielraum und konkreten Ergebniserwartungen treten. Was sich einfach anhört, bedeutet für viele eine schwierige Umstellung und bedarf sehr oft der Unterstützung. Vielen fällt es schwer, loszulassen und einen Teil der bisherigen Führung, Kontrolle und Verantwortung an die Angestellten abzugeben. Das Selbstbild muss sich wandeln: weg vom Problemlöser und von der «Verpflichtung», alle Antworten haben zu müssen, hin zum strategischen Richtungsgeber, der Freiraum zum Handeln schafft.

Die Führungskraft darf nicht mehr in Lösungen denken, sondern hat zur Aufgabe, den Fokus ihrer Mitarbeiter auf die wichtigsten Herausforderungen zu lenken. Dabei ist es wichtig, einem Team in einem definierten Bereich die Freiheit zu lassen, mit verschiedenen Lösungen zu experimentieren, aber gleichzeitig klare Erwartungen für die Art der Performanceverbesserung oder Kostenersparnis zu setzen. Zum Beispiel wandelt sich dann der Auftrag, einen neuen Prozess (natürlich «Best Practice») für die Auftragsbearbeitung zu implementieren, in folgende Herausforderung: Innerhalb von 100 Tagen soll die Bearbeitungszeit drastisch verkürzt werden. Anstatt eine neue Scorecard für das Forderungsmanagement zu entwickeln, lautet der Auftrag, die Anzahl der Kunden, die länger als 30 Tage mit ihrer Zahlung überfällig sind, 
signifikant zu reduzieren.

Verwechseln Sie nicht Aktivitäten 
mit Ergebnissen oder Zielen

Schaut man sich viele Projekte in Unternehmen an, sind die Ziele meistens nicht auf ergebniswirksame Performanceverbesserung oder Kostensenkung ausgerichtet. Sondern sie sind in einer Art und Weise formuliert, welche die Durchführung einer Aktivität (zum Beispiel die Implementierung einer Lösung) zum Gegenstand hat. Die Frage darf also nicht lauten: «Was machen Sie, um die Bearbeitungszeit zu verkürzen?», sondern: «Um wie viel schaffen sie es, die Bearbeitungszeit zu verkürzen?» Und: «Um wie viel kann das Team innerhalb des vorgegebenen Zeitraums die überfälligen Forderungen reduzieren?» Dabei ist es wichtig, dass vom Team gefordert wird, sich für die Herausforderung selbst ein ambitioniertes und konkretes Ziel zu setzen. Wird das spezifische Ziel von der Führungskraft vorgegeben, wird es auch immer «ihr» Ziel und nicht jenes des Teams bleiben. Die Angst, dass Teams nicht ambitioniert genug sind, deckt sich nicht mit unserer Erfahrung. Im Gegenteil, wenn man es richtig macht, setzen sich solche Team meist sogar höhere Ziele als die Führungskraft selbst.

Man könnte an dieser Stelle noch unzählige weitere Beispiele anführen. Aber der wesentliche Unterschied besteht darin, dass durch das Umdenken – also die Führungskraft nicht mehr als Problemlöser zu sehen – eine ganz andere Dynamik entsteht. Zur Zielerreichung mag die Lösung, die eine Führungskraft angedacht hat, auch nötig sein. Meistens braucht es aber noch mehr, und ein Ansatz alleine reicht nicht aus, um ein ambitioniertes Ziel zu erreichen. Es werden also das ganze Potenzial und die Kreativität der Mitarbeiter benötigt.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Keith Michaelson ist Senior Partner bei Robert H. Schaffer & Associates und arbeitet im Bereich Operational Improvement und Führungskräfte-Coaching mit 
internationalen Unternehmen.

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Markus Spiegel ist Consultant bei Robert H. Schaffer & Associates und arbeitet vorwiegend mit europäischen Kunden.

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