Bildung und Karriere

Welchen Nutzen bringt das Lernen 
am Arbeitsplatz mit mobilen Geräten?

Zahlreiche Pilotprojekte zeigen, dass mobile Geräte durchaus erfolgreich in der betrieblichen Weiterbildung eingesetzt werden können. Welches Potenzial sie haben, wo es Probleme bei der Anwendung geben kann und warum die kleinen Helfer sich noch nicht breit durchsetzten konnten, wird in einer aktuellen Studie diskutiert.

Ein Lehrling erhält gegen Ende eines Arbeitstags im Unternehmen ein SMS. Für einmal wird er aber nicht von seiner Freundin oder von Sportvereinskollegen über Feierabend-aktivitäten informiert. Seine Berufsschullehrerin fordert ihn auf, sein heutiges Arbeits-verhalten vor dem Hintergrund eines in der letzten Lektion besprochenen Themas zu reflektieren. Der Lehrling soll seine Erfahrungen beim Lerntransfer durch Text, Fotos oder auch einen Videoclip dokumentieren und in einem elektronischen Lerntagebuch online zur Verfügung stellen – beispielsweise mit Hilfe eines Blogs. Die Lehrerin überwacht anhand solcher Einträge den Lernprozess und -fortschritt. Sie kann den Lehrlingen dazu entweder online oder im Präsenzunterricht Feedback geben.

Pilotanwendungen ohne Breitenwirkung

Vor dem Hintergrund der steigenden Mobilität von Mitarbeitenden und der zunehmenden Nutzung mobiler Geräte sind in den letzten Jahren in zahlreichen Pilotprojekten die Möglichkeiten und Grenzen mobiler Geräte bei der Unterstützung der betrieblichen Weiterbildung untersucht worden. Trotz einzelner Erfolge haben sich die kleinen Helfer aber noch nicht breit durchsetzen können. Für die meisten Unternehmen bleiben zu viele Fragen bei der technischen Implementierung, der Nutzungsgewohnheiten der Mitarbeitenden und vor allem bei der nötigen Reorganisation der Schulungsorganisation von entsprechen-den Lernszenarien offen.

Dabei haben mobile Technologien im Bereich der Weiterbildung beträchtliches Potenzial. Sie unterstützen die Kommunikation und den Zugriff auf Lernsoftware und Lerninhalte. Durch die geografische Unabhängigkeit können individualisierte und gemeinsame Lernprozesse im Wertschöpfungsprozess an beliebigen Orten gefördert werden. 

  • Heterogene Lernbedürfnisse, Lerntempi oder inhaltliche Präferenzen können besser berücksichtigt werden als in fix geplanten Lehrveranstaltungen. Auch Zeitpunkt und Zeitdauer des Lernens können flexibler gewählt, unmittelbarer Lernbedarf kann direkt befriedigt werden. Rückmeldungen an Lernende am Arbeitsort und die Auswertung deren Lernaktivitäten und -ergebnisse werden vereinfacht.
  • Der Praxisbezug wird in zweierlei Hinsicht verbessert: Konkrete Problemstellungen können aus dem Berufsalltag mit Hilfe der Geräte in der virtuellen Lernumgebung dokumentiert, der Transfer des Gelernten kann angeregt und reflektiert werden.
  • Die Verbreitung aktueller Informationen in verschiedenen Medienformaten direkt zum Mitarbeitenden wird verbessert. Dabei entsteht Potenzial zur Senkung von Reisekosten und Spesen sowie Präsentationskosten an Präsenzseminaren.

Delphi-Studie zu offenen Fragen

In welchen Bereichen der betrieblichen Weiterbildung kann mobiles Lernen die beschriebenen Nutzenpotenziale entfalten? Welche Problem- und Spannungsfelder müssen beim zukünftigen Einsatz berücksichtigt werden?

Über 50 Expertinnen und Experten aus 23 meist europäischen Forschungsgruppen und 19 Unternehmen haben sich in einer szenario-basierten Delphibefragung mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Das eingangs beschriebene Beispiel der Lehrlingsbetreuung schneidet in der Beurteilung der Experten mit einer deutlich positiven Potenzialbewertung besser ab als andere Szenarien mit mässigen Potenzialerwartungen. Ein hohes pädagogisches Nutzenpotenzial wird vor allem in der Unterstützung des Lerntransfers durch eine flexiblere Begleitung des Lernprozesses der Lehrlinge gesehen. Die Affinität der Zielgruppe zur Mobiltechnologie wird genutzt, um einen kontinuierlichen Lernprozess zu fördern. Durch die Reflexion und individuelle Anwendung von Gelerntem wird auch das Potenzial zur Verbesserung der Wertschöpfung als hoch eingestuft.

Kritisch schätzen einige Experten u.a. den hohen Betreuungs- und Bearbeitungsaufwand sowie die Fähigkeit und Bereitschaft der Lehrlinge zur Erstellung differenzierter Beiträge ein. In etlichen Betrieben dürfte zudem die Nutzung von Mobiltelefonen am Arbeitsplatz durch Lehrlinge unerwünscht sein. Entsprechend wird für Entwicklung solcher Szenarien angeregt, den Augenmerk auf die Motivation und Vorbereitung der Lehrlinge sowie die Einbindung in das didaktische Gesamtkonzept mit Präsenzveranstaltungen zu legen.

Zahlreiche Anwendungsszenarien mit unterschiedlichem Nutzen

Neben dem Coachingbeispiel mit Lehrlingen konnten durch die Studie etwa 40 weitere Einsatzbeispiele für mobiles Lernen in Unternehmen identifiziert werden. In den meisten der genannten Szenarien werden Mobilgeräte für den Zugang zu bestehenden Lerninhalten genutzt – auch wenn deren Nutzen nicht ganz so deutlich positiv bewertet wird wie beim Coachingszenario. Zum anderen werden auch einige Einsatzformen beschrieben, die Lernprozesse unmittelbar während wertschöpfenden Tätigkeiten vorsehen. Im Gegensatz zum Beispiel des Lehrlings greifen Mitarbeitende dabei während ihrer Arbeitstätigkeit direkt auf Lerninhalte zu, generieren solche oder vernetzen sich mit anderen Akteuren im Lernprozess.

Im Abschlussworkshop der Studie Anfang April 2008 werden Lösungsansätze zu etwa zehn Spannungs- und Problemfeldern diskutiert, die von den Experten im Zusammenhang mit den Anwendungsszenarien identifiziert worden sind. Dabei geht es unter anderem darum, sinnvolle Formen der Integration von Lernaktivitäten in den Arbeitsalltag, der Steigerung der Lernvoraussetzungen bei den Mitarbeitenden oder der Gestaltung transferorientierter Lernformen unter Einbezug von mobilen Endgeräten zu identifizieren. Und Weiterbildungsverantwortliche haben die Gelegenheit, mit den Experten Ideen zu Pilotprojekten im Bereich des mobilen Lernens zu entwickeln.

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Dr. Urs Gröhbiel ist Professor für E-Learning an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Geschäftsführer des Schweizerischen Netzwerks für Bildungsinnovation (SNBI). Schwerpunkte in Forschung und Beratung sind Bildungsinnovation und E-Learning Management.

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