Voraussetzungen für Agilität

Wer den Nährboden schafft, wird Agilität ernten

Schneller auf Veränderungen zu reagieren, verschafft Wettbewerbsvorteil. Statt eifrig nach «agilen» Methoden zu suchen, lohnt sich erstmal der Blick darauf, was die Reaktionsfähigkeit aktuell beeinträchtigt. Drei Eckpfeiler zeigen aus arbeitspsychologischer Sicht auf, was die Voraussetzungen für Agilität sind.

Den Druck durch ein unbeständiges Umfeld übersetzen manche Unternehmen in den Imperativ, Agilität einzuführen. Das beginnt mit der Auseinandersetzung mit dem Thema Agilität. Mitarbeitende werden auf Scrumschulungen gesendet und die Wichtigkeit eines «agilen Mindsets» wird diskutiert. Wo etwas nicht klappt, ernten die Mitarbeitenden die Schuld. Diese zeigen dann auf die Vorgesetzten, die Prozesse, die Strukturen oder alle drei. Derweil dreht sich die Welt weiter, das Management wird ungeduldig und setzt eine Deadline zum «Experimentieren», nach deren Ablauf dann eben Top-Down Geschwindigkeit in der Umsetzung verordnet wird. Was ist die Alternative?

Eine Frage der Zusammenarbeit

Agileres Arbeiten erfordert eine Veränderung auf der Ebene der Zusammenarbeit. Hier sprechen wir nach Schein (1990) von dem Muster gemeinsamer Grundannahmen, die das kollektive Verhalten prägen, also von Unternehmenskultur. Unternehmenskultur gilt als grösste Herausforderung bei angestrebten agilen Transformationen (Forbes, 2021; McKinsey, 2020). Laut Harvard Business Review (2021) ist die Kultur zu einer strategischen Priorität geworden. Sie wird im Stanford Social Innovation Review (2021) gar als Instrument für den Wandel beschrieben.

Doch Organisationskultur ist keine Knetmasse, die man formen kann. Auch Programme, die darauf zielen, Kultur zu beeinflussen, können langfristig nicht erfolgreich sein, wenn sie die Rahmenbedingungen ignorieren. Das Verhalten einer Person ist immer ein Zusammenspiel aus Persönlichkeit und Situation. Genau an dieser Dynamik lässt sich ansetzen.

Wenn man agile Unternehmen durch die psychologische Brille betrachtet, wird ein gemeinsamer Nenner und eine Logik in ihrer Arbeitsweise und -kultur sichtbar. Das TEC-Modell (Puckett, 2020) entschlüsselt diesen «agilen Kulturcode» und offenbart drei Dimensionen mit jeweils drei Facetten, mit denen sich der Nährboden für eine agile Organisation schaffen lässt: Transparenz, Empowerment und Kollaboration (Collaboration).

Je nach Unternehmen können die drei Elemente unterschiedlich ausgestaltet und gewichtet sein. Ohne die Dimensionen Transparenz, Empowerment und Kollaboration wird ein Unternehmen jedoch nicht in der Lage sein, mit den Veränderungen um es herum Schritt zu halten.

Das TEC-Modell für agile Zusammenarbeit

Das Modell kann dabei helfen, blinde Flecken zu vermeiden und dazu ermutigen, den Status quo in Frage zu stellen und die eigene Arbeitsweise systematisch weiterzuentwickeln.

1. Transparenz als Basis für Agilität

Transparenz ist die Grundvoraussetzung dafür, dass alle Mitarbeitenden strategisch denken, informiert entscheiden und ihre kreativen Fähigkeiten einbringen können. Der gleichberechtigte Zugang zu Informationen fördert Diskussionen auf Augenhöhe und stärkt das Vertrauen.

Die drei Facetten sind:

  1. Transparenz bei Informationen und Daten («Information»). Wenn Mitarbeitende wissen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt wichtig ist, können sie entsprechend ihre eigene Arbeit priorisieren.
  2. Transparenz bei Absichten und Plänen («Intention»). Entscheidungen und Zusammenhänge werden nachvollziehbar dargelegt, damit allen klar ist, wo die Firma hinwill, warum, und welche Hindernisse bevorstehen. Sind die Hintergründe bekannt, kann auch eigenständig und kreativ nach alternativen Lösungswegen gesucht werden.
  3. Transparenz in Bezug auf Ergebnisse und Auswirkungen («Wirkung»). Dadurch wird die Sinnhaftigkeit der Arbeit bestärkt und ermöglicht Selbstkorrektur.

2. Empowerment als Befähiger der Agilität

Liegen mir alle wichtigen Informationen vor und ich kenne den Kontext, in dem ich diese bewerten kann, kann ich Entscheidungen selbst treffen und wo nötig, selbst Anpassungen einleiten. Jetzt fehlt nur noch die Erlaubnis dazu. Empowerment bedeutet, den Menschen die Kontrolle über ihre Arbeit zurückzugeben und sie zu befähigen, ihre Aufgaben richtig zu machen und gleichzeitig zu entdecken, was in gegebener Situation die richtigen Aufgaben sind.

Die drei Facetten sind:

  1. Freiheit zur Anpassung und Schaffung («Gestaltungsfreiheit»). Um innovativ zu sein und kreative Lösungen zu finden, brauchen Teams auch Freiraum zum Erkunden und Experimentieren und letztlich den Handlungsfreiraum, um auf die Erkenntnisse reagieren zu können.
  2. Befähigung zur (Selbst-)Führung («Empowerment»).
  3. Eigenverantwortung mit der Tendenz zum Handeln («Bias to act»), um schnell auf Situationen zu reagieren («Ownership»). Unternehmerisches Denken und Handeln wird durch den End-to-End-Blick und die Möglichkeit, initiativ zu handeln, gestärkt.

3. Kollaboration als «Elastischmacher» und Beschleuniger

Wissen und Kompetenzen vermehren sich durch Teilen, Kreativitäts- und Umsetzungspotenziale werden gebündelt, indem der Fokus darauf liegt, wo ich zu einem gegebenen Zeitpunkt am meisten wertschöpfen kann – unabhängig davon in welchem Team oder ob die Aufgabe Teil meines Rollenprofils ist. Menschen reflektieren gemeinsam und erweitern so Schritt für Schritt die Lern- und Anpassungsfähigkeit des Unternehmens.

Die drei Facetten sind:

  1. Zusammenarbeit über Austausch und Teilen. Die vernetzte Lösung erfordert vernetzte Köpfe.
  2. Zusammenarbeit über Beiträge und Flexibilität. Letzteres bezieht sich vor allem auf das Rollenverständnis, aber auch auf die Bereitschaft, Pläne und Prioritäten, sowie auch den Inhalt der Arbeit anzupassen, wenn dies für das Unternehmen förderlich ist. 3
  3. Zusammenarbeit durch gemeinsames Lernen und Wachsen.

Regelmässiges Innehalten und Prüfen, offener Umgang mit Fehlern und Feedback. Diese drei Eckpfeiler schaffen den Nährboden, auf dem Agilität ganz natürlich wachsen kann.

Buchtipp: «Der Code agiler Organisationen» (Puckett & Neubauer, 2020).


Quellen

Howard-Grenville, J., Lahneman, B., & Pek, S. (2020). Organizational Culture as a Tool for Change. Stanford Social Innovation Review, 18(3), 28–33.

Jurisic, N., Lurie, M., Risch, P., Sado, O. (2020). Doing vs being: Practical lessons on building an agile culture. McKinsey, Aug 2020. Mckinsey.com

Puckett, S. (2020). Der Code agiler Organisationen: Das Playbook für den Wandel zur agilen Organisationskultur. Göttingen: Business Village.

Puckett, S. & Neubauer R. M. (2018). Agiles Führen – Führungskompetenzen für die agile Transformation. Göttingen: Business Village.

Schein, E. H. (1984). Coming to a New Awareness of Organizational Culture. Sloan Management Review.

Tengler, S. (2020). Changing company culture for agile project management: Avoiding the “Can`t Ban”. Forbes, Jul 30, 2020. forbes.com

Yohn, D. L. (2021). Company Culture is Everyone`s Responsibility. The Harvard Business Review, Feb 08, 2021. hbr.org

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Stefanie Puckett

Dr. phil. Stefanie Puckett ist promovierte Dipl. Psychologin mit 15 Jahren Erfahrung in Beratung, Coaching und HR. Nach dem Arbeiten für mehrere Unternehmensberatungen, in Management- und globaler Rolle für eine Fortune 500 Firma, gründete sie Psychology4Agility. Sie ist zertifizierte Executive Coach (CEC), Board Certified Coach (BCC), Agile Coach (ICP-ACC, Agile Certified Practitioner (ACP-PMI), SAFe Program Consultant und Autorin mehrerer Sachbücher, u.a. «Agiles Führen».

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