Evidenzbasierte Personalarbeit

Wer jagt die nächste Sau durchs Dorf?

Warum Personaler nicht jedem Trend hinterherrennen sondern auf evidenzbasiertes HRM setzen sollten.

VUCA, Inklusionsmanagement, Life Domain Balance, Mitarbeiter-Engagement, Servitization – die Liste neuer Trends im Geschäftsleben liesse sich unendlich fortsetzen. Viele dieser neuen Ideen werden in schwindelerregender Geschwindigkeit in die strategischen Planungen der meisten Unternehmen aufgesogen. Die Jagd auf den nächsten Trend ist eröffnet! Was jedoch häufig fehlt, ist die kritische Stimme, die fragt, wie sich der Trend 2015 von der Reorganisationsidee 2000 unterscheidet. Noch seltener wird die Frage gestellt: was passiert, wenn wir die Idee umsetzen – etwa, wie die Mitarbeitenden reagieren werden. Und selbst nach erfolgter Umsetzung wird kaum evaluiert, ob die «neueste Sau» auch hält, was sie verspricht.

Mit anderen Worten: wir brauchen evidenzbasiertes Personalmanagement. Evidenzbasiert bedeutet drei Dinge:

  1. Literaturkenntnis schützt vor der Neuerfindung des Rades,
  2. Wachsamkeit führt zu den richtigen Fragen zur richtigen Zeit und
  3. Experimentierfreudigkeit liefert die Grundlage für kontrollierte Veränderungen.

«Trends» sind nicht selten «alter Wein in neuen Schläuchen», was, wenn man sich dessen bewusst ist, durchaus sinnvoll sein kann, denn Unternehmen funktionieren in Pendelbewegungen. Organisationen zentralisieren – um Sparpotentiale besser zu nutzen oder Entscheidungen zu beschleunigen – und einige Zeit später soll das Unternehmen wieder flach und kundennah sein. Im besten Fall ist das ein atmender Prozess, um sich einer sich ständig ändernden Umwelt besser anzupassen. Im schlechtesten Fall hingegen folgen wir einer neuen Mode unbesehen und ohne Kenntnis, dass wir selbst oder andere Unternehmen einen sehr ähnlichen Weg schon mal gegangen sind. Die Aufgabe des evidenzbasierten Personalmanagements ist, solche Muster zu erkennen und die gesammelten, möglichst systematisierten Erfahrungen aufzubereiten. Ein systematisches Abrufen der relevanten wissenschaftlichen Literatur ist also unabdingbar.

Wachsam bleiben

Evidenzbasiert bedeutet aber auch wachsam zu bleiben. Altmodisch gesagt: Wir brauchen mehr kritisches Denken. Welches Problem lösen wir mit der neuen Idee? Wie trägt die neue Idee zu unserer Wertschöpfung bei? Welche Kernkompetenz wird dadurch verbessert und wie fügt sich der Trend in unser bestehendes Geschäftsmodell ein? Die Verantwortlichen im Personalmanagement sollten besonderes Gewicht darauf legen, wie sich ein Trend auf Engagement und Produktivität der Mitarbeitenden auswirken könnte und welchen Effekt das Ganze auf die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch im Unternehmen haben wird. Das setzt natürlich voraus, dass im Personalmanagement profunde Kenntnisse im Bereich Strukturen und Prozesse vorhanden sind, um mit diesem Wissen die neuesten verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse abzurufen, auf ihre Relevanz für das eigene Unternehmen zu analysieren und in geeignete Kennzahlen zu «übersetzen».

Last but not least – evidenzbasiert heisst auch «just do it» – experimentierfreudig und experimentell. Viele Veränderungsideen können in einem ersten Schritt im Kleinen ausprobiert werden, etwa indem die Massnahme nur in einer Filiale oder in einer Abteilung umgesetzt wird. Die Umsetzung muss begleitet werden: Was verändert sich während und nach der Umsetzung der neuen Idee im «Probierfeld» und wie verhalten sich die Veränderungen im Vergleich mit den nicht betroffenen Firmenteilen? Das bedeutet: Massgeschneiderte, kurze aber trennscharfe Messinstrumente schaffen, um den Puls der Mitarbeitenden und die Wirksamkeit korrekt zu erfassen. Zudem ist der Vergleich mit anderen Abteilungen oder Filialen wichtig, denn Unternehmen befinden sich nicht in einem Vakuum, und häufig führen ganz andere Faktoren zu Veränderungen als die eigene Changeinitiative. Nur so kann man verlässliche Zahlen über die Effektivität einer neuen Massnahme produzieren. Zugleich erlaubt diese Methode, mögliche Fehler für den Gesamtrollout ausmerzen.

Kombination macht erfolgreich

Die drei beschriebenen Dimensionen von evidenzbasiertem Personalmanagement sind aber nicht als ein Auswahlmenu zu verstehen, aus dem man sich nach Gusto eines auswählen kann. Nur die Kombination aller drei führt zum Erfolg. Was bedeutet das für die Praxis? Wie wird man ein evidenzbasierter Personalmanager? Wir brauchen eine Re-Fokussierung der Aus- und Weiterbildungen im Personalmanagement, bei der die Wissenschaftlichkeit, die Fähigkeit, kritische Fragen zum richtigen Zeitpunkt zu stellen, und die Bereitschaft, neue Wege kontrolliert auszuprobieren, eine höhere Bedeutung bekommen müssen. Wir brauchen aber auch eine Wiederbelebung des Dialogs zwischen der Personalpraxis und der Wissenschaft mit einer Offenheit nach beiden Seiten. Und schliesslich brauchen wir eine grössere Unabhängigkeit im Denken.

Am Ende geht es um eine Aufwertung professioneller Personalarbeit zum Nutzen für alle Stakeholder. Wer mehr Anerkennung möchte, muss auf einer soliden Grundlage arbeiten und belastbare Aussagen zur Wirksamkeit seiner Massnahmen machen können. Evidenzbasiertes Personalmanagement in Kombination mit gut reflektierten eigenen Erfahrungen und ausgeprägten sozialen Kompetenzen kann zu einer solchen Grundlage führen. Wenn dann die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird, werden wir zumindest wissen, ob es sich wirklich lohnt hinterherzurennen.

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Prof. Dr. Antoinette forscht und lehrt an der Universität St. Gallen zu den Themen evidenzbasiertes und positives Personalmanagement. Sie ist zudem Direktorin am neu konstituierten Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten (FAA) an der HSG.

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Matthias Mölleney ist Inhaber der HR-Strategieberatung peopleXpert GmbH, Leiter der Centers für HRM & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich und Präsident der Zürcher Gesellschaft für Personal-Management. Zudem ist er Autor zahlreicher Fachartikel sowie des Buches «Die Zukunft möglich machen».

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