«Mad Men», oder was?

Wieso das Recruiting nicht bei jedem Trend mitmachen sollte

Jobshot, Tiktok, Metaverse … weiss das Recruiting überhaupt noch, was es tut? Eine Zeitreise durch die Marketinggeschichte soll zeigen, dass Recruiting zurück in die Zukunft muss.

Kennen Sie «Mad Men»? In der ikonischen Serie über die Werbebranche in den 1960er-Jahren trifft chauvinistischer Charme auf Zukunfts­optimismus und auf Rollenmodelle, die befremdlich wirken. Damit wirkt sie ganz schön aus der Zeit gefallen, doch das macht genau die Serie aus, weil sie mit beissender Authentizität auch die heutige Zeit kommentiert. Warum sind nun Employer Branding, HR-Marketing und Recruiting vielleicht näher an «Mad Men», als man auf den ersten Blick denken mag?

Recruiting, wie auch «Mad Men», sind gefangen im jeweiligen Zeitgeist. Recruiting bemüht sich zwar, nach aussen hin ex­trem mit der Zeit zu gehen, vergisst aber die wirklich wichtigen Hausaufgaben. Das Problem dabei: Man orientiert sich immer mehr an Trends im Marketing, hat dabei aber ein paar Evolutionsstufen ausgelassen. Auch das Marketing musste sich immer wieder neu erfinden. Man mag es kaum glauben, aber in den 1960er-Jahren galt Marketing noch nicht als erfolgsrelevant: chic für die Reputation, aber eher belächelt für bunte Bilder und markige Sprüche. Das erinnert ein bisschen an Diskussionen über den Stellenwert vom Employer Branding.

Marktfrische Äpfel und Birnen

Wie hat Marketing die Kurve gekriegt? Man hörte auf Fachleute und beschäftigte sich intensiv mit den wirklich wichtigen Grundlagen, von denen wir uns heute noch inspirieren lassen ­können. Etwas ketzerisch gesagt, ist HR seit einigen Jahren dort, wo Marketing vor 60 Jahren war. Vielleicht sollte sich das Recruiting etwas vom Marketing abschauen, aber nicht nur von den neusten Trends, sondern von den Grundlagen der Marktorientierung. Zumal ein Blick auf die Märkte zeigt, dass wir hier Äpfel mit Birnen ­vergleichen. Arbeitsmärkte sind eben keine Konsumentenmärkte – gerade hier scheinen einige grosse Missverständnisse des Recruitings zu liegen.

Märkte sind der Ort, wo die Abnehmer unserer Produkte, also unserer Jobs, sind. Wenn das so ist, was sind eigentlich Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt? Auf dem Arbeitsmarkt bieten Menschen ihre Arbeitskraft an, die Unternehmen nachfragen. Da stellt sich die Frage, wie das Wort «Stellenangebot» es geschafft hat, zu dieser Standardphrase zu werden, und ob wir wirklich ein Produkt anbieten. Das wird klar, wenn wir den Blick etwas zurückwerfen, dann sind auch die Parallelen zur Marketing-Evolution vergleichsweise frappierend, wenn eben auch unter etwas anderen Vorzeichen.

Märkte ändern sich

In den 1960er-Jahren entwickelte sich das Produktmarketing langsam zum Verkäufermarketing, bis man sich in den 1970ern eher am Markt orientierte, weil Nachfrage kein Selbstläufer mehr war. Ungefähr in dieser Zeit verfasste ­Philip Kotler gewissermassen eine Bibel seines Fachs, das Buch «Marketing Management». Das Manager Magazin zitiert Kotler: «Marketing ist nicht die Kunst, geschickte Wege zu finden, um das loszuwerden, was man produziert. Marketing ist die Kunst, echten Kundenwert zu schaffen. Es ist die Kunst, Bedürfnisse präzise und dabei profitabel zu befriedigen.» An dieser Stelle sei festgehalten: Bedürfnisse von Menschen auf dem Arbeitsmarkt sind weder Jobshot noch Tiktok-Videos noch das Metaverse noch irgendeine Employer Brand.

Die Aufgabe des Recruitings ist es, den Bedarf eines Unternehmens mit dem Angebot am Markt zu decken. Man könnte also sagen: Der Bedarf muss den Bedürfnissen gerecht werden – Verführung der Massen durch markige Sprüche und bunte Bilder ist so «Mad Men». Doch was braucht es dafür?

Das Recruiting muss sich auf Informationen und Beziehungen fokussieren. Informationen schaffen individuellen Mehrwert und Beziehungen schaffen Vertrauen. Beides ist im Arbeitsmarkt massgeblich. Dafür müssen wir die Art, wie wir rekrutieren ändern, weil es noch in den Pfadabhängigkeiten und Mindsets der alten Welt feststeckt, in der man Stellen massenweise zur Besetzung angeboten hat. Da greifen die modernen individuellen Verpackungen in den sozialen Netzwerken zu kurz. Die Kunst ist, Informationsbedürfnisse konsistent ernst zu nehmen und zu befriedigen.

Die alte Welt

Die alte Welt, das ist der industrielle Massenmarkt. Bei allen Bemühungen, individueller zu werden, baut das Recruiting im Kern auf dieser Denkweise auf. Standardmässig adressieren wir Menschen mit einem Stelleninserat, das bei allen Versuchen, es aufzufrischen, eben ein Masseninstrument ist. Haben wir Bewerbungen erhalten, teilen wir sie ein in gut oder schlecht. Das Problem: Im Grundsatz ist Recruiting darauf aus­gerichtet, dass mehr besser ist. Das setzt allerdings voraus, dass es mehr gibt und Menschen sich damit zufriedengeben, ein Teil in diesem Massenprozess zu sein.

In Zeiten von Arbeiter- und Fachkräftemangel ist das längst nicht mehr gegeben und zudem ist die Masse anonym, also stehen individuelle Bedürfnisse nicht im Vordergrund. Wie können wir nun erreichen, dass aus weniger mehr wird? Dazu muss aus dem Mantra «Mehr ist ­besser» ein «Passender ist besser» werden. Und am besten ist es, weitsichtiger zu werden, gerade wenn es um hart umkämpfte Ressourcen geht. Das verlangt von Recruitern, auf individueller Ebene zu agieren.

Ein Beispiel: Warum sagen wir Menschen ab, die nicht am besten zur Stelle gepasst haben? ­Individuell, bedürfnisgerecht und vorausschauend zu rekrutieren, bedeutet eben auch, Potenziale zu erkennen und später nutzbar zu machen. Das «One fits best»-Mindset ist auch wieder nur Massenmarkt-Ideologie. Stattdessen lautet heute die Devise: in Beziehungen denken. Und eine nachhaltig aufgebaute Beziehung ist die beste Markenpflege.

Schaffen wir Bewerbermanagementsysteme ab

Wie das am besten gelingen kann? Hier kann das Recruiting in der Tat einiges beim Marketing und seiner Klaviatur an Massnahmen und Beziehungsaufbau abschauen. Aber es gibt zwei Unterschiede zum klassischen Marketing, die wir dabei berücksichtigen sollten.

Erstens verkaufen Recruiter keine Produkte in Form von Stellen, sie fragen Arbeitsleistung nach. Was wir Bedarf nennen, ist für Arbeitnehmende Mittel zum Zweck – zur Bedürfnisbefriedigung und damit eine persönliche Sache. Doch diese Bedürfnisse sind im Wandel. Die Attribute, die der Generation Z gerne zugeschrieben werden, sind weniger generationenspezifisch. Die Generationenschablone gehört zu den alten Denkmustern, denn Bedürfnisse sind vom individuellen Kontext abhängig und ziehen sich durch alle Generationen. Ein Job ist nicht nur ein Produkt, sondern mit Hoffnungen, Wünschen und materiellen Grundvoraussetzungen verbunden.

Der zweite Unterschied ist, dass der Arbeitsmarkt kein klassischer Markt ist, sondern ein Matching-Markt. In einem Matching-Markt führt nicht nur der Preismechanismus zu einem Deal, in diesem Fall der Lohn, sondern weitere Faktoren müssen gegeben sein, damit beide Parteien das Gefühl haben: Wir passen zueinander. Erst wenn sich auch der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer entschieden hat, kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsstelle antreten. Das gilt heute umso mehr auch anders herum.

Für das Recruiting wird dabei eine weitere Hürde offensichtlich: Arbeitgebende wie auch Arbeitnehmende haben nur unvollständige Informationen übereinander. Diese Lücke gilt es zu schliessen – besonders weil heute die Menschen wissen wollen, was sie als Beschäftigte eines Unternehmens erwartet. Gleichermassen will das Recruiting auch bei weniger Auswahl bessere Einstellungsentscheide treffen. Informationen sind im Grunde unser Kerngeschäft, deshalb machen wir in der Rekrutierung eigentlich Informationsmanagement. Und zwar durch die gesamte Candidate Journey. Informationsmanagement findet in Prozessen statt, doch denken wir zu sehr in Standards und dienen somit den althergebrachten Recruiting-Abläufen und nicht anders herum. Aber wann brauchen Recruiter und Bewerbende welche Informationen?

Dafür braucht es gutes Touchpoint Management, welches die wichtigsten Berührungspunkte zwischen Talenten und Unternehmen identifiziert und abhängig vom Kontext mit den jeweils passenden Informationen reagiert. So wird schrittweise aus dem Informationsmanagement ein Beziehungsmanagement. Damit ist auch der Grundstein gelegt für eine gesunde Beziehung, die auch nach dem Eintritt ins Unternehmen hält.

Wie schafft es das Recruiting also, bessere Informationen und gleichzeitig Beziehungen aufzubauen? Indem das Recruiting das Gesamtsystem anpackt. Ob Stelleninserat, Kampagnen in sozialen Netzwerken oder Active Sourcing: Diversifizierung in der Ansprache ist gut, weil sie die Menschen dort abholt, wo sie sind. Wie geht es dann aber weiter im Informationsfluss? Hier gilt es, in besagten Touchpoints zu denken. Was bedeutet das in der Konsequenz?

Lassen Sie es mich überspitzt sagen: Schaffen wir die Bewerbermanagementsysteme ab und investieren in Candidate-Relation-Management-Programme. Denn so können wir Menschen und ihre Informationsbedürfnisse besser in den Fokus stellen. Hier kann uns dann auch Automatisierung helfen, besser zu personalisieren und Zeit für das Wesentliche zu gewinnen. Und darum geht es heute. Alles andere ist wie «Mad Men»: einfach aus der Zeit gefallen.

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Florian Schmidt

Florian Schrodt, Leiter Employer Branding und Recruitment bei der Medbase Gruppe, ist seit über 10 Jahren in leitenden Positionen in PR, Kommunikation und HR tätig. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Swiss HR Award und dem HR Excellence Award. Nebenberuflich gibt er sein Wissen als Speaker, Autor und Berater weiter.

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