Generationenunterschiede

Wieso die Einteilung in Generationen keinen Sinn ergibt

Die Einteilung in Generationen ist eine nutzlose Klassifizierung, die Stereotypen über das Alter neuen Auftrieb verleiht und mehr schadet als hilft. Leider gehört diese Denkweise im HR noch zur Norm.

Beginnen wir mit einer kleinen Umfrage. Inwiefern treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu?

  1. Sind Ihnen Stabilität und Sicherheit wichtig?
  2. Sind Sie in den letzten zehn Jahren Ihrem Arbeitgeber treu geblieben?
  3. Kennen Sie sich mit neuen Technologien aus?
  4. Ist es Ihnen wichtig, mit Ihrer Arbeit etwas Sinnvolles zu tun?

Wenn Sie die Fragen 1 und 2 bejaht haben, dann gehören Sie wohl der Generation X an, geboren zwischen 1961 und 1980. Wenn Sie die Fragen 3 und 4 bejaht haben, dann gehören sie wohl eher zur Generation Z, geboren nach 1995.

Wenn Sie der Generation X angehören, dann ist es Ihnen egal, wenn Ihre Arbeit sinnlos ist. Und mit neuen Technologien kennen Sie sich nicht aus. Oder etwa doch? Aussagen zu Generationen im Arbeitsleben sind genauso plakativ und pauschalisierend wie die obigen Fragen. Es ist höchste Zeit, beim Thema Generationenunterschiede ein paar Dinge klarzustellen.

Das Thema Generationenunterschiede erfreut sich einer grossen Beliebtheit. Vielleicht, weil sich dadurch das Thema Lebensalter vermeiden lässt. Stattdessen drängen sich Themen wie politische und gesellschaftliche Umstände in den Vordergrund. Aber im Kern geht es um die Konfrontation zwischen verschiedenen Altersgruppen. Die Klassifizierung von Generationen ist eine nette Verpackung, weil einem Mitglied einer Generation kein Vorwurf gemacht werden kann, weil er oder sie zu einem bestimmten Zeitpunkt geboren wurde.

Wann beginnt eine Generation und wann endet sie?

Generationen, wenn es diese denn gäbe, sollten einen Konsens haben. Aber die Generationen werden unterschiedlich eingeteilt. Manchmal werden bedeutende Ereignisse als Meilensteine genommen, manchmal sind es bestimmte Jahrzehnte. Generationen nach Geburtenjahrgängen werden teilweise mit 15 Jahren bemessen, manchmal mit 18 oder 20 Jahren. Warum es diese unterschiedlichen Definitionen gibt, wird nirgends erklärt. Die einer Generation zugeteilten Geburtenjahrgänge unterscheiden sich also substanziell und man kann je nachdem plötzlich Teil der einen oder anderen Generation sein.

Wenn man über Generationen spricht, spricht man über das Alter. Zum Beispiel wird eine Person, die 1983 geboren wurde, im Jahr 2023 40 Jahre alt. Das Alter lässt sich jedoch nicht in bestimmte Kategorien einteilen. Der Unterschied zwischen 39 und 40 beträgt nur ein Jahr. Durch die Einteilung in Generationen kann dieser Unterschied aber viel grösser sein, weil eine Person durch dieses eine Jahr plötzlich Teil einer anderen Generation wird. Alter ist etwas, das sich kontinuierlich verändert und nicht ruckartig eine andere Bedeutung erfährt, weil man ein Jahr später geboren wurde. Die Einteilung in eine Generation ist somit zwar einfach und schnell verständlich, aber sehr ungenau. Vergleichbar wäre es, wenn im Restaurant die Speisen nach Farben eingeteilt würden: Ob sich hinter «rotem Essen» eine Tomate oder eine Chilischote versteckt, bleibt unbekannt.

Was sagt der Mittelwert einer Generation aus?

Innerhalb einer Generation befinden sich viele unterschiedliche Menschen. So viele, dass die Unterschiede innerhalb einer Generation grösser sind als die Unterschiede zwischen Generationen. Denken Sie einmal an Ihre Schulklasse und die verschiedenen Persönlichkeiten, die es dort gab. Der Vergleich zwischen unterschiedlichen Charakteren bringt mehr als der Vergleich zweier Schulklassen mit verschiedenen Jahrgängen. Niemand käme auf die Idee, den Durchschnitt der einen Klasse mit der zweiten zu vergleichen, um Aussagen über ein einzelnes Kind zu machen.

Image
Anführungszeichen des Zitats

 

 

 

Was in der Praxis noch debattiert wird, wird in der Forschung bereits belächelt.

 

 

 

Weil Generationen oft mit grossen Stichproben untersucht werden, wird schnell von «signifikanten» Unterschieden gesprochen. Statistische Analyseverfahren haben die Eigenheit, dass bei grossen Stichproben kleine und inhaltlich unbedeutende Unterschiede zwischen den Stichproben signifikant werden – dass also der Zufall als Ursache für Unterschiede mit grosser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn wichtiger ist die Grösse des Effekts. Und hier schneiden Merkmale wie Persönlichkeit, Intelligenz oder Werte wesentlich besser ab als die Zugehörigkeit zu einer Generation, wenn es darum geht, Einstellungen und Verhalten im beruflichen Kontext zu erklären. Einen ernüchternden Befund haben Forschende um David Costanza bereits im Jahr 2012 publiziert. In einer sogenannten Metaanalyse fassten diese Autoren die Grösse der gefundenen Effekte von Generationenunterschieden aus 18 bestehenden Studien zusammen. Sie kamen zum ernüchternden Ergebnis, dass die zusammengefassten Generationenunterschiede in der Regel klein oder gar nicht existent sind.

Was bedeutet das für die Praxis?

Was in der Praxis noch debattiert wird, wird in der Forschung bereits belächelt. Mit Generationen beschäftigt sich dort niemand mehr ernsthaft. Ein Grund dafür ist, dass sie nicht untersucht werden können. Personen sind an Zeiten und Umstände gebunden, die sich ständig ändern. Das Homeoffice war vor 30 Jahren kein Thema, weil es die Infrastruktur gar nicht zuliess. Heute ist das anders. Das hat aber einen einfachen technischen Grund und ist keine Generationenfrage, weil die Veränderung alle Arbeitnehmenden betrifft, egal aus welcher Generation sie stammen.

Generationen sind nicht etwas, das man aktiv in der Organisation managen kann. Statt Voraussagen über Mitarbeitende basierend auf deren Zugehörigkeit zu einer Generation zu machen, lohnt es sich vielmehr, auf den jeweiligen Lebensabschnitt zu schauen, in dem Mitarbeitende gerade stecken. Beispielsweise ist die Gründung einer Familie mit Aufgaben und Herausforderungen verbunden, die für Personen aus unterschiedlichen Generationen ähnlich sind. Anders gesagt: Statt Personen derselben Generation über einen Kamm zu scheren, sollten wir uns mit den individuellen und konkreten Eigenschaften, Lebensumständen und Bedürfnissen von Mitarbeitenden befassen.

Generationenunterschiede sind eine witzige Gedankenübung, bringen uns aber leider kaum weiter, um das menschliche Verhalten und Erleben besser zu verstehen.


Quellen

Costanza, D. P., Badger, J. M., Fraser, R. L., Severt, J. B., & Gade, P. A. (2012). Generational differences in work-related attitudes: A meta-analysis. Journal of Business and Psychology, 27, 375–394.

Rudolph, C. W., Rauvola, R. S., Costanza, D. P., & Zacher, H. (2021). Generations and generational differences: Debunking myths in organizational science and practice and paving new paths forward. Journal of Business and Psychology, 36, 945–967.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Sebastian Zilse

Sebastian Zilse ist Arbeits- und Organisationspsychologe, Mitglied der SGAOP und Senior Consultant bei der Beratungsfirma Nantys AG. Zuvor war er in verschiedenen Positionen im HR tätig und verbindet beide Bereiche in der Eignungsdiagnostik, der Testentwicklung und der Durchführung von Workshops.

Weitere Artikel von Sebastian Zilse
Domingo Valero

Prof. Dr. Domingo Valero ist Psychologe und Dozent an der Hochschule Luzern. Er unterrichtet Forschungsmethoden und Grundlagen der Psychologie. In seiner Forschung untersucht er die Struktur und Entwicklung von arbeitsbezogenen Werten sowie allgemeine Themen der Berufs- und Laufbahnentwicklung.

Weitere Artikel von Domingo Valero

Cela peut aussi vous intéresser