Liebe ist nicht gerade das, was in der Geschäftswelt zählt. Das wird allenfalls im Zusammenhang mit Affären am Arbeitsplatz verstanden...
In einem gesunden Wirtschaftssystem existiert Liebe im bewussten Geben und Nehmen, jeder Kauf basiert auf Wertschätzung: Man schätzt das, was man erhält, und dafür zahlt man auch gerne einen anständigen Preis. Und als Arbeitnehmer fertigt man sein Produkt oder seine Dienstleistung mit Liebe, um bewusst dem Käufer eine Freude zu machen. Dieses Denken habe ich in der Möbelschreinerei meines Vaters noch erlebt. Heute gibt es das fast nicht mehr. Man fühlt Geringschätzung für den Preis, will also möglichst wenig für ein Produkt bezahlen. Und es produziert niemand mehr mit Liebe – man arbeitet fürs Geld, und das war’s.
Wir haben also statt einer liebevollen Arbeitswelt eine geizige?
Wir haben eine angsterfüllte Arbeitswelt. Denn alle Emotionen basieren im Endeffekt auf zwei Grundgefühlen: auf Liebe oder Angst. Angst lähmt, und dennoch funktioniert unsere Wirtschaft heute nach dem Prinzip Angst. In einem System, das nicht auf Kooperation, sondern auf Wettbewerb und Konkurrenz aufgebaut ist, gibt es zwei Möglichkeiten: Der andere nimmt mir etwas weg, oder ich nehme ihm etwas weg – einen Auftrag, eine Arbeitsstelle, eine Beförderung. In unseren (Hinter-)Köpfen sitzt also stets die Angst, letztlich die Angst vor Mangel. In den vergangenen 15 Jahren hat dieses Gefühl in der Wirtschaft stark zugenommen.
Und was hat das mit Wertschätzung zu tun?
Der Konkurrenz ein Stück des Kuchens wegzunehmen, sie also auszuschalten, heisst, sie geringzuschätzen. Und deshalb ist in unserer Arbeitswelt Geringschätzung sehr verbreitet. Dabei möchte doch jeder seine Stärken und Talente einbringen und dafür geschätzt und geliebt werden. Ist das nämlich der Fall, werden die Leute innovativ, und so entsteht aus Wertschätzung nachhaltige Wertschöpfung.
Warum ist denn diese Art Wertschätzung nicht verbreitet? Weil viele Menschen sich selbst nicht wertschätzen können?
Ja, die unbewusste Selbstgeringschätzung ist der wunde Punkt. Wir lernen in unserer Gesellschaft nicht, uns selbst wertzuschätzen. Als Kinder versuchen wir, den Eltern zu gefallen, später den Lehrern, dann den Vorgesetzten und Lebenspartnern. Und so stehen wir nicht für uns ein, weil wir unseren Selbst-Wert nicht kennen. Statt dessen suchen wir diesen im Aussen. Letztlich lechzen alle nach Wertschätzung und Liebe. Und in einem gewissen Mass erhalten wir das ja.
Aber?
Wir erhalten nie so viel, wie wir möchten. Es bleibt immer eine Lücke. Ein Chef, der kommt und sagt: «Diese Arbeit ist absolut phänomenal», wie oft passiert das schon? Denn der Chef hat die genau gleiche Lücke wie alle anderen auch. Deshalb müssen wir diese Lücke selbst füllen lernen, mit Selbstliebe. Zum Beispiel, indem wir uns selbst Komplimente machen: «Ich habe super gearbeitet, ich gebe mir die Note 6» oder schlicht und einfach mit «Ich bin ein wertvoller Mensch.»
Wie lässt sich das vermitteln?
Eine gute Übung, die ich bei Klienten oft anwende, ist, einmal aufzuschreiben, was einem alles nicht passt. Das fällt den Menschen leicht, denn die meisten von uns beschäftigen sich unbewusst vor allem damit, was sie nicht wollen. Wenn wir uns dessen bewusst werden und auch der Tatsache, wie viele negative Gedanken wir über uns selbst haben, werden wir frei, dieses destruktive Verhalten abzulegen und uns dem zuzuwenden, was wir wirklich wollen. Goethe hat das schön formuliert: «Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte, achte auf deine Worte, denn sie werden deine Taten.»
Im Geschäftsleben ist es manchmal nötig, Kritik anzubringen...
Wegen der Kritik, die wir dauernd ausüben, geht vieles kaputt. Viele reden zwar von konstruktiver oder positiver Kritik, aber in der Regel ist das destruktiv. Kritik sollte möglichst ersetzt werden durch konstruktive Vorschläge und Ideen. Und bei Konflikten helfen Ich- statt Du-Botschaften. Zum Beispiel «Ich fühlte mich schlecht, weil ich deine Arbeit erst nach der Deadline erhalten und damit alle hinter mir in Verzug gebracht habe» anstelle von «Nie hältst du die Deadlines ein!»
Eine echte Wertschätzungskultur kann sich in Unternehmen wohl nur dann entwickeln, wenn sie von ganz oben vorgelebt wird?
Vergessen Sie‘s! Wenn Sie warten, bis die Führungsleute in Politik und Wirtschaft in diese Richtung gehen, wird es sehr lange dauern. Meine Erfahrung ist, dass echte Wertschätzung Zelle für Zelle wächst, und zwar von unten nach oben. Wenn in einem Unternehmen eine Abteilung innovativer und erfolgreicher wird, weil deren Mitglieder wertschätzend miteinander umgehen und deshalb besser zusammenarbeiten, sich wohler fühlen und motivierter sind, erst dann wird man in den oberen Etagen aufmerksam.
Was kann das HR tun?
Ich setze insbesondere alle Hoffnung auf das HR – inklusive Training & Development –, welches dafür sorgt, dass die Würde, Entfaltung und Wertschätzung der Menschen wieder den Stellenwert erhält, welchen wir als schöpferisch tätige Menschen zu Recht verdienen. Ein zeitgemässes HR Department fokussiert auf Bewusstseins-Entwicklung.
Literatur
- Andreas Koch: Selbstevolution – Die Antwort auf eine globale Herausforderung. Zeitgeist Print & Online 2012.
- Martin E. P. Seligman: Flourish – Wie Menschen aufblühen. Kösel Verlag 2012.
- Eckhart Tolle: Jetzt! Die Kraft der Gegenwart. J.Kamphausen Verlag.
- David Bohm: Der Dialog – Das offene Gespräch am Ende der Diskussion. Klett-Cotta 2008.
- Bruce Lipton: Wie wir werden, was wir sind. DVD-Video, 120 Minuten, Koha-Verlag 2009.