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Zwischen Resignation und Topleistung: Organisationale Energie ist messbar

Niedriges Aktivitätsniveau, Changemüdigkeit, mangelnde Kommunikation, latente Spannungen, destruktive Kräfte – 
das sind Problemfelder, die den Unternehmenserfolg schmälern oder ganze Organisationen in Gefahr bringen können. 
Die Symptome sind schwer fass- und adressierbar. Zwar können sie als «Bauchgefühl» wahrgenommen werden, diese weichen Faktoren jedoch objektiv zu messen, wird oftmals für unmöglich gehalten.

Die Geschäftsführung eines niederländischen Dienstleistungsunternehmens wollte aktive Führungsarbeit leisten, nicht den Kopf in den Sand stecken und sich gezielt und systematisch mit den weichen Faktoren befassen. Auch in ihrem Unternehmen hatte die Geschäftsführung Trägheit und negative Emotionen wahrgenommen. Diese wollte sie objektivieren und gezielt adressieren, um die Potenziale der Firma besser auszuschöpfen.

Dynamische Unternehmen können Energiepotenziale besser mobilisieren

Das Unternehmen hat deshalb auf ein neues Leadership-Modell gesetzt – Organisationale Energie. Unter Führung von Professor Dr. 
Heike Bruch ist es am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität 
St.Gallen (I.FPM) gelungen, dieses einflussreiche Phänomen zu identifizieren, das es erlaubt, die Mechanismen zu erkennen, die hinter vielen Problemfeldern der betrieblichen Praxis stehen. Im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses am I.FPM stand hierbei immer auch das Ziel, dieses weiche Phänomen «Energie» greifbar zu machen, zu messen und den Einfluss auf die Leistung des Unternehmens empirisch zu zeigen. Auf der Basis einer zuverlässigen Diagnose ging es dann darum, Stellhebel zu identifizieren, um gezielt die 
organisationale Energie in Unternehmen zu mobilisieren und erhalten zu können. Somit wird Führungskräften ein Instrumentarium an die Hand gegeben, um die Unternehmensleistung über den professionellen Umgang mit erfolgsentscheidenden weichen Faktoren konsequent zu optimieren.

Aber was genau ist organisationale Energie? Die renommierte US-amerikanische Forscherin Jane E. Dutton nennt Energie einen «Treibstoff», der erfolgreiche Unternehmen «zum Laufen» bringt (1). Diese Annahme untermauern die Forschungsergebnisse zur Organisationalen Energie: Die empirischen Studien zeigen, dass das Ausmass an produktiver Energie einen entscheidenden Einfluss auf den Unternehmenserfolg hat (2). Dynamischen und innovationsfreudigen Unternehmen gelingt es im Vergleich zu weniger erfolgreichen Unternehmen, Energiepotenziale stärker zu mobilisieren und für entscheidende Vorhaben im Unternehmen nutzbar zu machen. Organisationale Energie wird als die Kraft definiert, mit der Unternehmen arbeiten oder zielgerichtet Dinge bewegen (3).

Mithilfe der zwei unabhängigen Dimensionen – Intensität und Qualität – lassen sich vier typische Energiezustände in Unternehmen unterscheiden (4). Die Intensität organisationaler Energie gibt hierbei das Ausmass der Aktivierung der vorhandenen emotionalen, mentalen und verhaltensbezogenen Potenziale an und ermöglicht somit eine Unterscheidung in hoch- und niedrigenergetische Unternehmen. Die Qualitätsdimension gibt Auskunft darüber, ob die Energie positiv, also auf die gemeinsamen Unternehmensziele ausgerichtet ist, oder destruktiv genutzt wird. Berücksichtigt man beide Dimensionen, ergeben sich die Energiezustände angenehme Trägheit, resignative Trägheit, korrosive Energie und produktive Energie (siehe Grafik).

Das Energieprofil zeigt, wo ein 
Unternehmen steht

Angenehme Trägheit zeigt sich in Unternehmen oder Unternehmenseinheiten mit niedriger positiver Energie. Charakteristisch sind eine hohe Zufriedenheit mit dem Status quo, geringe Handlungsintensität und niedrige Wachsamkeit. Dieser Energiezustand ist oft die Folge länger anhaltender Erfolgsphasen. Eine stark ausgeprägte angenehme Trägheit führt zu einer reduzierten Veränderungsfähigkeit, welche den Erfolg beeinträchtigen kann.

Auch in Unternehmen, in denen resignative Trägheit vorherrscht, sind ein geringes Aktivitätsniveau sowie reduzierte Interaktions- und Kommunikationsintensität festzustellen. Dies ist allerdings nicht auf eine zu hohe Selbstzufriedenheit, sondern auf Enttäuschung, Frustration oder Gleichgültigkeit zurückzuführen. Die Ursachen sind häufig langwierige, wenig erfolgreiche Veränderungsprozesse und/oder längere Phasen mässiger oder nicht befriedigender Unternehmens
leistungen. Resignative Trägheit führt zu geringerer Arbeitszufriedenheit und erhöhter Kündigungsabsicht.

In Unternehmen, in denen korrosive Energie herrscht, ist zwar das energetische Potenzial in hohem Mass aktiviert, die mobilisierte Energie wird allerdings nach innen gerichtet und für destruktive Aktivitäten (interne Kämpfe, Spekulationen, mikropolitische Aktivitäten) aufgewandt. Unternehmen müssen in diesem Fall mit einer Vielzahl negativer Konsequenzen rechnen. Hierzu zählen unter anderem: Verlust der Kunden- und Marktorientierung sowie ein Vertrauensverlust, der zukünftige Unternehmensvorhaben nachhaltig erschwert.

Produktive Energie stellt schliesslich den wünschenswerten Energiezustand innerhalb einer Organisation dar. Die Mitarbeiter zeichnen sich durch ein hohes Mass an Engagement und Einsatz für das Unternehmen aus und erleben positive Emotionen. Es herrscht eine erhöhte Wachsamkeit für relevante Informationen und eine hohe Interaktions
intensität. Erfolgskritische Initiativen wie strategische Neuausrichtungen, Entwicklung neuer Produkte oder systematische Kostenoptimierung werden mit grosser Kraft vorangetrieben. Es verwundert deshalb nicht, dass Unternehmen mit hoher produktiver Energie eine erhöhte Profitabilität, hohe Mitarbeiterzufriedenheit und generell bessere Performance zeigen.

Die genaue Positionierung eines Unternehmens innerhalb der Dimensionen Intensität und Qualität organisationaler Energie («Energieprofil») lässt sich mittels eines am 
I.FPM entwickelten und von der energy factory St. Gallen lizenzierten Befragungsinstruments ermitteln. Das Instrument wurde bereits in über 520 Unternehmen eingesetzt; mehr als 220000 Mitarbeiter nahmen an den Befragungen teil. Die resultierenden Ergebnisse bilden eine solide Grundlage, um in Workshops schnell und effizient Massnahmenpakete abzuleiten (siehe Grafik).

Mangelndes Verständnis von Vision und Strategie bremst Mitarbeitende

Davon profitierte auch das niederländische Dienstleistungsunternehmen: In einem ersten Schritt führte die energy factory mit der Geschäftsführung einen solchen Workshop durch. Zu Beginn wurden die Energieprofile aus Sicht der Teilnehmer ermittelt. Anschliessend wurde in einem Referat das St. Galler Energiemodell vorgestellt und es wurde anhand von Praxisbeispielen von Grossunternehmen wie Lufthansa, ABB und Hilti, aber auch KMU wie Schneider Weisse, Phoenix Contact oder Serview gezeigt, mit welchen verschiedenen Strategien Führungskräfte die Energie ihres Unternehmens mobilisieren und längerfristig erhalten können. Die Teilnehmer erfuhren, welches die Stellhebel sind, um Negativenergie oder Trägheit zu reduzieren und verkrustete Strukturen aufzubrechen. Anhand von Best Practices wurde gezeigt, wie man ein vitalisierendes Managementsystem entwickelt, das heisst Strategieprozesse, Führungsstrukturen und die Organisationskultur so gestaltet, dass hohe produktive Energie längerfristig erhalten werden kann.

Auf Basis der erstellten Energieprofile wurde das Modell im nächsten Schritt von den Workshop-Teilnehmern auf die Situation im eigenen Unternehmen angewandt. Hierzu wurden Stärken und Verbesserungsbereiche analysiert. Es wurde deutlich, dass die Organisation zu viel angenehme und resignative Trägheit aufwies. Auch die korrosive Energie war signifikant stärker ausgeprägt als in Benchmarkunternehmen. Bei der produktiven Energie waren noch längst nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Als eine wesentliche Ursache für das Energieprofil des Unternehmens wurde ein mangelndes Visions- und Strategieverständnis der Mitarbeiter identifiziert. Als wichtigste Massnahme wurde die Verbesserung des Führungs- und Kommunikationsverhaltens auf allen Führungsebenen des Unternehmens definiert.

Da die Geschäftsleitung sich bewusst war, dass ihre Einschätzung des Energiezustandes nicht der Gesamtheit aller Mitarbeiter entsprechen muss, entschloss sie sich, vor der 
Umsetzung von Massnahmen eine Befragung aller Mitarbeiter zur Organisationalen Energie durchzuführen. Die Messdaten der sechs Wochen nach dem Workshop durchgeführten Onlinebefragung bestätigten die identifizierten Problemfelder nicht nur, sondern zeigten auch, dass die Geschäftsleitung diese sogar in ihrer Ausprägung massgeblich unterschätzt hatte. Eine Auswertung nach Führungsebenen legte offen, dass es insbesondere bei den Mitarbeitern, die von der dritten Führungsebene geführt wurden, stark ausgeprägte Resignation und korrosive Energie gab. In anschliessenden Workshops mit ausgewählten Führungskräften und Mitarbeitern wurde deutlich, dass aufgrund mangelnder Kommunikation der strategischen Ziele und der Unternehmensvision zwischen den Hierarchieebenen ein hohes Mass an Verunsicherung und Ziellosigkeit festzustellen war. Erschwerend kam hinzu, dass nach Meinung der Mitarbeiter zu viele Veränderungsprojekte zur selben Zeit durchgeführt worden waren und dass sie sich über die Hintergründe und Ziele dieser Projekte nur unzureichend informiert fühlten.

Negative Energie früh erkennen 
und bekämpfen

Die Geschäftsleitung verständigte sich in einem weiteren Workshop schnell darauf, dass der jetzige Energiezustand des Unternehmens nach gezielten Massnahmen verlangte: Verarbeitung der Befragungsergebnisse in dezentralen Ergebnisworkshops, Strategie- und Visionsworkshops mit dem Ziel, ein klares und eindeutiges strategisches Leitbild für das Unternehmen zu entwerfen und allen Mitarbeitern zu vermitteln, ein Kulturentwicklungsprogramm für mehr Transparenz und Vertrauen und ausserdem ein Führungskräfteentwicklungsprogramm, das die dritte Führungsebene für die Bedeutung der organisationalen Energie sensibilisieren und ihnen die Werkzeuge für ergebniswirksame Mitarbeiterführung vermitteln soll.

Das Unternehmen will hierdurch nicht nur negative Emotionen abbauen und das positive Energiepotenzial des Unternehmens mobilisieren, sondern auch dafür sorgen, dass dieses erhalten wird und dass negative Kräfte in Zukunft bereits in einem sehr frühen Stadium erkannt und bekämpft werden können. Erste Erfolge des Projekts zeigten sich bereits in den dezentralen Ergebnisworkshops: Zahlreiche Führungskräfte berichteten von einer neuen Qualität der Adressierung abteilungsspezifischer Verbesserungsbereiche und einer konstruktiven gemeinsamen Ableitung von Massnahmen. Die nachhaltige Wirkung des Projekts wird in einer wiederholten Messung nach zwölf Monaten untersucht werden.

Quellen:

  • 1 
Dutton, J. (2003): Energize your workplace, New York
  • 2 
Bruch, H./Cole, M. /Vogel, B. (2007): Linking productive organizational energy to firm performance and individuals’ satisfaction. In: Academy of Management Meeting,
Philadelphia, PA
  • 3
 Bruch, H./Ghoshal, S. (2003): Unleashing organizational 
energy. In: MIT Sloan Management Review, Vol. 45 Issue 1, S. 45–51
  • 4 
Bruch, H./Vogel, B. (2005): Organisationale Energie – 
Wie Sie das Potenzial Ihres Unternehmens ausschöpfen,
Wiesbaden, 42
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Axel Boesche,Geschäftsführer der energy factory 
St.Gallen AG.

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Justus Kunz, Consultant der energy factory St. Gallen AG und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität 
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