Bern (sda). Sie legen bei Baustellen Hand an, servieren in Restaurants oder reparieren Maschinen: Über 300'000 Personen werden in der Schweiz jährlich von Temporärbüros an Unternehmen verliehen. Um die Jahrtausendwende waren es gemäss Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zwischen 140'000 und 200'000 Personen.
Das sei ein beunruhigender Anstieg, findet Daniel Lampart, Chefökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Viele der Leiharbeiter arbeiteten nicht freiwillig temporär, sondern seien auf der Suche nach einer sicheren Stelle.
Laut einer Umfrage von Swissstaffing arbeiten über die Hälfte der über Personalverleiher Angestellten deshalb temporär, weil sie keine andere Stelle gefunden haben. Das meist genannte Ziel der Temporärarbeitenden ist, eine Festanstellung zu erreichen. Nicht für alle geht das auf: Innerhalb eines Jahres nach dem Arbeitseinsatz finden gemäss der Umfrage 37 Prozent eine feste Stelle.
Temporärarbeit statt neue Stellen
Seit der Freigabe des Euro-Franken-Wechselkurses durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) zu Jahresbeginn dürfte es nicht gerade einfacher geworden sein, eine sichere Stelle zu finden. Im Gegenteil: Einige Unternehmen bauen Stellen ab.
Wenn die Geschäftslage schliesslich wieder anzieht, dürften viele Unternehmen zuerst auf temporär Angestellte setzen. Dasselbe gilt auch, wenn Unternehmen unsicher sind bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung: Bei neuen Aufträgen, die nicht von der Stammbelegschaft abgedeckt werden könnten, würden dann zuerst Temporärarbeitende eingestellt, erklärt Swissstaffing-Ökonom Marius Osterfeld in einem Blogbeitrag.
Die Puffer-Funktion der Temporärarbeit wird unterschiedlich beurteilt. Temporärarbeit sichere den Arbeitsmarkt Schweiz mittel- und langfristig, sagt Swissstaffing-Sprecherin Monika Rüeger. Die Gewerkschaften hingegen kritisierten in der Vergangenheit immer wieder, Firmen würden über die Temporärarbeit Kosten drücken und das unternehmerische Risiko an die Arbeitnehmer auslagern.
Junger Gesamtarbeitsvertrag
Vor drei Jahren feierten die Sozialpartner aber eine bedeutende Errungenschaft: Damals wurde erstmals ein allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für den Personalverleih eingeführt, der nun kürzlich verlängert wurde. Seit der Einführung ist die Kritik an der Temporärarbeit leiser geworden – aber nicht verstummt.
Mit dem GAV sei dem Lohndumping Einhalt geboten und wichtige Mindestbestimmungen geschaffen und durchgesetzt worden, sagt André Kaufmann, Gewerkschafter bei der Unia und Präsident der Paritätischen Berufskommission Arbeitsverleih, welche die Einhaltung des GAV überwacht. Als Beispiele nennt er die Mindestlöhne, einen Fonds zur Finanzierung von Weiterbildungen sowie die Krankentaggeldversicherung und die berufliche Vorsorge. «Der GAV hat sich bewährt – aber er ist noch nicht das Gelbe vom Ei», bilanziert Kaufmann. Die Löhne seien trotz der vorgesehenen stufenweisen Erhöhungen im Zuge der GAV-Verlängerung weiterhin relativ tief. Im Normallohngebiet sind für das kommende Jahr Monatslöhne von 3200 Franken für Ungelernte bis zu 4100 Franken für Gelernte vorgesehen.
«Sind die Personalkosten zu hoch, bauen die Einsatzbetriebe Stellen ab, fahren die Produktion herunter oder wechseln den Standort. Leidtragende sind Berufseinsteiger und Menschen an der unteren Lohnskala», sagt Swissstaffing- Sprecherin Rüeger auf Anfrage dazu.
«Es müsste mehr möglich sein»
Ein Problem sieht Kaufmann aber auch beim fehlenden Kündigungsschutz im Krankheitsfall, der vergleichsweise minimalistischen Ferienregelung sowie den kurzen Kündigungsfristen. Je nach Einsatzdauer können Unternehmen Temporär-Angestellte innerhalb von Fristen zwischen zwei Arbeitstagen und einem Monat auf die Strasse stellen. Das sorge für eine ständige Unsicherheit bei den Temporärarbeitenden, sagt Kaufmann. Dieser Punkt beschäftigt auch immer wieder Politiker. Derzeit hängig ist noch eine Motion, die eine Verlängerung der Fristen fordert. Der Bundesrat hat bereits abgewinkt und die Ablehnung der Motion beantragt. Er stellt sich auf den Standpunkt, die Flexibilität entspreche einem Bedürfnis der Wirtschaft und der Stellensuchenden.
Ähnlich argumentiert Swissstaffing. Der Personaldienstleister unterstütze die Temporärarbeitenden aber dabei, einen neuen Einsatz zu finden, heisst es. So konnten sich die Sozialpartner bei der Verlängerung des GAV einzig darauf einigen, dass die Mindestlöhne angehoben werden. Im Gegenzug wird die Grenze zur Zuschlagspflicht bei Überzeit heraufgesetzt.
«Es müsste mehr möglich sein», sagt Kaufmann. Der Branche gehe es gut, die Temporärarbeit habe in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Der Margendruck sei auch bei den Personaldienstleistern zu spüren, hält Rüeger dagegen. Angesichts der unterschiedlichen Positionen scheint eine Einigung schwierig. Über die strittigen Punkte soll laut Kaufmann im kommenden Jahr wieder verhandelt werden.