Aufhebung des Euro-Mindestkurses hat auch positive Folgen

Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses und die sprunghafte Aufwertung des Frankens danach haben Mitte Januar 2015 zu einem Schock geführt. Die Industrie darbt. Tausende Stellen gingen verloren. Doch es gibt auch positive Aspekte.

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Zürich (sda). «Die Schweizer sind reicher geworden», sagt Jan-Egbert Sturm, Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF) an der ETH Zürich. Und ganze Wirtschaftszweige profitierten von Währungsgewinnen und einem Rückgang bei den durch den Franken diktierten Preisen, so etwa Ausbildungen.

Der Konsum zu laufenden Preisen, also nominal, stagnierte 2015 praktisch, erklärt Eric Scheidegger, Chef Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Das lässt gemäss Scheidegger darauf schliessen, dass die Haushalte mehr Geld zur Verfügung hätten, weil die Verdienste stärker stiegen als der Konsum.

Das sind gute Nachrichten für Konsumenten, die Anschaffungen planen. Diese Vorteile in Zahlen zu fassen, ist indessen schwer. Je nach Branche hätten Importeure die Währungsvorteile in Form von Preissenkungen unterschiedlich weitergegeben, sagt Scheidegger. Bei Elektronik und Bekleidung etwa sei der Effekt sofort eingetreten.

Die Teuerung in der Schweiz sank im Jahr 2015. Zum einen liegt das an der Frankenaufwertung, wovon der Import profitierte und zum anderen an den gesunkenen Energie- und Ölpreisen. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) geht für das vergangene Jahr von einer Negativteuerung von 1,1 Prozent aus.

Deflation in der Schweiz ist noch gutartig

Im Moment profitiere die Schweiz von einer gutartigen Deflation, sagt Michel Girardin, Professor für Makrofinanz an der Universität Genf. Die sinkenden Preise nützten den Konsumenten, wenn sie im Inland einkaufen in Form gesunkener Importpreise oder wenn sie Reisen ins Ausland buchen.

Zudem kurbelt der starke Franken im Verhältnis zum Euro den Einkaufstourismus an. Dieser für den Konsumenten positive Aspekt hat jedoch die Kehrseite, dass die entsprechenden Umsätze den hiesigen Detailhändlern verloren gehen. Die Folge: schleichender Stellenabbau und zunehmende Arbeitslosigkeit im Detailhandel.

Darüber hinaus zeigen die Konsumenten die Tendenz, mit ihren Anschaffungen zuzuwarten, bis sie noch billiger sind, wenn die Tendenz sinkender Preise anhält . Das kann zu einer starken Konsumverlangsamung führen, warnt Girardin. Nun rechnet die Notenbank damit, dass die Preisspirale bis 2017 sinkt. Das beinhaltet die Gefahr einer bösartigen Deflation wie in Japan.

Generell steigende Reallöhne

Gemäss den Quartalszahlen des Bundesamts für Statistik stiegen die Löhne von Januar bis September 2015 nominal um 0,5 bis 0,8 Prozent. Die Grossbank UBS rechnet für das Gesamtjahr mit einem Lohnanstieg von 0,8 Prozent. Die Negativteuerung eingerechnet liegt der Reallohnanstieg damit bei zwei Prozent.

In der derzeitigen Situation mit einer Negativteuerung, frisst die Inflation die Lohnsteigerungen nicht auf. Die Löhne steigen generell, sagt Tibère Adler, Direktor für die Westschweiz beim Thinktank Avenir Suisse. In den binnenwirtschaftlich orientierten Branchen, in denen Kosten und Einnahmen in Franken ausgedrückt sind, seien die Lohnempfänger die Gewinner.

Das sei etwa im öffentlichen Dienst mit seinen nach den letzten verfügbaren Zahlen 350'000 Beschäftigten der Fall, erklärt Adler. Dazu kommen halböffentliche Betriebe und die rund 300'000 in Franken bezahlten Grenzgänger.

Binnenwirtschaft profitiert von günstigen Importen

Die reinen Importeure, beispielsweise von Autos, mussten Preisnachlässe von bis zu 15 Prozent gewähren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das kostet aber Marge und geht zulasten der Profitabilität. Die Pharmabranche dagegen, wo fast 40 Prozent des Inputs aus dem Ausland stammen, konnte von einer Verbilligung der importierten Investitionsgüter profitieren, heisst es bei Avenir Suisse.

Gemäss dem Seco gehören zu den Branchen, die von verbilligten Vorprodukten profitieren und unter keinem Exportdruck stehen, auch das Gesundheitswesen und die Bauwirtschaft. Für die Industrie ist das Bild hingegen durchzogen. Jene Betriebe, die zwar für ihre Produktion importieren, aber ihre Produkte auf internationalen Märkten absetzen, leiden wegen des starken Frankens unter eingeschränkter Wettbewerbsfähigkeit und müssen auf Marge verzichten. Ein Drittel der Mem-Betriebe erwartet Verluste.

Dennoch: Die Investitionen seien erstaunlich stabil, sagt Eric Scheidegger, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik beim Seco. Zum einen spiegelten sich darin die gesunkenen Preise für eingeführte Investitionsgüter. Zum anderen erhielten die wenig währungssensiblen Unternehmen ihre Investitionstätigkeit aufrecht.

Auch hier sei die Chemisch-pharmazeutische Industrie zusammen mit der Luxus-, Uhren- und Bijouteriebranche die Gewinnerin, heisst es beim Seco. Diese Branchen könnten ihre Preise im Ausland leichter erhöhen als andere.