17.07.2017

Immer mehr Manager müssen virtuell führen – Vertrauen als Grundlage

In vielen Unternehmen wird immer öfter unabhängig vom Standort gearbeitet. Zunehmende Globalisierung und Digitalisierung machen es möglich. Führungskräfte müssen daher fähig sein, räumliche, zeitliche und kulturelle Distanzen zu überwinden. Beziehungspflege trotz fehlender Nähe sowie Vertrauen spielen eine entscheidende Rolle.

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Bern (sda). Es gibt Berater, die Coaching in diesem Bereich anbieten. Es ist aber nicht so, dass sie sich vor Nachfrage kaum retten können. Seminare zum Thema «Virtuelles Führen» seien eher wenig besucht, sagt etwa Rolf Zemp. Er ist seit 2000 selbständiger Berater, Trainer und Fachhochschuldozent für Personalführung. Sein Unternehmen, die Zebeco GmbH, sitzt in Zürich. Zu Zemps Kunden zählen Konzerne wie die UBS, Swisscom oder Schindler.

«Unternehmen gehen oft davon aus, dass Manager das einfach können», so Zemp weiter. Dass es aber tatsächlich Probleme gebe, komme daher eher in Einzel-Coachings mit Führungskräften zur Sprache.

Herausforderungen werden unterschätzt

Eine ähnliche Erfahrung hat auch Bruno Borer gemacht, der an der Migros-Klubschule in Bern als Dozent arbeitet. So fiel erst kürzlich eine Veranstaltung zum «Virtuellen Führen von Mitarbeitern» aus. Zu wenige hatten sich angemeldet. «Virtuelles Führen ist in der Schweiz noch nicht so ein grosses Thema und erst am kommen», sagt er. Ein solches Angebot sei ab dem vierten Quartal wieder geplant. Die Anfragen für Training in dem Bereich nähmen zwar zu, sagt auch Detlev Stabenow, der das Buch «Führen auf Distanz – virtuelle Zusammenarbeit in der Praxis» geschrieben hat. Allerdings variiere das doch von Firma zu Firma stark. Und er sei immer wieder überrascht, wenn in Unternehmen, in denen viel virtuell gearbeitet wird, nur sehr wenige Teilnehmer zum Coaching erschienen.

Die Besonderheiten würden vollkommen unterschätzt, sagt der Psychologe. Das Ergebnis: Die Mitarbeiter würden sich oft alleingelassen fühlen, weil zu wenig informeller Austausch stattfindet. Sie müssen in Situationen vor Ort alleine Entscheidungen treffen, sind aber verunsichert, wenn es keine klare Leitlinie gibt.

Raum für inoffiziellen Austausch

Als entscheidend erachten die Experten das Vertrauen zwischen Führungskraft und Mitarbeitern. Vertrauen könne man zwar nicht schulen, sagt Zemp. Er würde den Führungskräften jedoch helfen, eine Beziehung aufzubauen und loszulassen. Sie müssten lernen, Kontrollzwänge und Ängste abzulegen beziehungsweise Probleme gegebenenfalls klar und offen anzusprechen.

Die physische Distanz müssten die Führungskräfte stärker durch psychische Nähe ersetzen, so Stabenow. Der Gedankenaustausch, der sonst also beim Mittagessen oder beim Gespräch auf dem Flur passiert, müsse anders aufgefangen werden. Wichtig sei es, anstatt am Telefon nur über Aufgaben zu sprechen, auch Raum für Hintergründe, persönliche Einschätzungen oder Probleme zu geben. Und die Beziehungspflege beinhalte neben dem regelmässigen Kontakt auch, sich ab und zu persönlich zu treffen.

Klare Ziele definieren

Noch bevor die Arbeit allerdings überhaupt beginnt, sollte man sich zusammensetzen und sich gemeinsam Gedanken machen, was die Distanz für die Zusammenarbeit und den Austausch bedeutet, und besprechen, wie man damit umgehen möchte, sagt Stabenow.

Die Ziele müssten klar definiert werden, sagt zudem Zemp. Es sei dann eigentlich gar nicht möglich - wie oft von Managern befürchtet - dass Mitarbeiter die Situation ausnutzen. Und es sei dann zudem egal, wann etwas erledigt wird.

Borer geht noch einen Schritt weiter und sagt, der Mitarbeiter müsse gar eingebunden werden in die Entscheidungsfindung. Aufträge sollten vom Chef nicht einfach rausgesendet, sondern gemeinsam mit dem Angestellten erarbeitet werden.

Technik erleichtert

Hinzu kommt für Borer auch, dass ein «Wir»-Gefühl im Team auch über Distanz und Kulturen hinweg geschaffen werden muss. Ein Chef sollte «nicht einfach als Schweizer Manager auftreten», sondern müsse sein virtuelles Team genau anschauen und auch die Kultur und die Gepflogenheiten eines anderen Landes verstehen.

Ein Knackpunkt ist dabei auch die Arbeitssprache, die potentiell zu Missverständnissen führen kann. «Nicht jeder, der zum Beispiel Englisch spricht, spricht auch gut Englisch», sagt Zemp. Hinzu kommen auch die technischen Anforderungen. Führungskräfte müssten fit sein und zum Beispiel mit Videotelefonie oder Chatrooms umgehen können. Andererseits habe der technologische Fortschritt in den vergangenen Jahren die Kommunikation erheblich verbessert. Videokonferenzen mit hoher Bildqualität schafften Nähe.