Brüssel (sda). Mit dem Austritt Grossbritanniens sei die Lösungssuche mit der EU für die Schweiz nicht einfacher geworden, sagte Bundespräsident Johann Schneider-Ammann einen Tag nach dem Brexit-Referendum.
Doch weil die EU vor der Brexit-Abstimmung nicht mit der Schweiz über die Freizügigkeit reden wollte, hatte sie Bern zugesagt, «dass im Zeitfenster von Ende Juni bis Juli Verhandlungen möglich sind», sagte der Schweizer Chefunterhändler Jacques de Watteville in der «NZZ am Sonntag».
Mit Blick auf die bevorstehenden Verhandlungen mit Grossbritannien ist jedoch klar, dass die EU bei den weiteren Gesprächen mit der Schweiz sehr vorsichtig sein wird mit Zugeständnissen bei der Personenfreizügigkeit. Denn eben diese ist auch London ein Dorn im Auge.
Entsprechend wenig enthusiastisch zeigte sich Brüssel dem Ansinnen der Schweiz gegenüber, vor der Sommerpause noch ein Spitzentreffen zwischen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundespräsident Johann Schneider-Ammann abzuhalten – vor allem sollte es kein grosses mediales Aufsehen geben.
Doch noch kurzfristiges Treffen
Schliesslich kam es sehr kurzfristig am 16. Juli am Rande des ASEM-Gipfels in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator dann doch noch zu einem Treffen – für rund eine halbe Stunde.
Das Gespräch fiel ernüchternd aus. Schneider-Ammann sagte zwar gegenüber der Nachrichtenagentur sda: «Wir werden die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU auf technischem Niveau intensivieren.» Über Inhalte ist aber nicht gesprochen worden. Ausserdem soll Juncker gemäss eines EU-Diplomaten gesagt haben, dass die Schweiz nicht von einer schnellen Lösung ausgehen könne.
Wenigstens einigten sich die beiden Politiker auf ein nächstes Treffen am 19. September in Zürich. Juncker hält dort eine Rede aus Anlass des 70-Jahr-Jubiläums von Winston Churchills Europa-Rede.
Ursprünglicher Plan gescheitert
Gescheitert ist damit der ursprüngliche Plan des Bundesrates, bis zur Sommerpause eine einvernehmliche Lösung mit der EU zu erzielen, um diese im ordentlichen Verfahren durch das Parlament zu bringen.
Dafür hätte der Bundesrat am 17. August eine solche Lösung in einer Zusatzbotschaft an die beiden Räte präsentieren müssen, wie Schneider-Ammann im «Sonntagsblick» erklärte. Im August läuft aber der Brüsseler Betrieb lediglich auf Sparflamme. Nur das Nötigste wird erledigt.
Würde wider Erwarten bis zum nächsten Spitzentreffen im September aber doch noch eine Grundsatzvereinbarung zwischen der Schweiz und der EU zustande kommen, dann müssten die EU-Staaten am Schluss diese absegnen. Ob die Mitgliedstaaten jedoch dazu bereit sind, bevor das Brexit-Problem gelöst ist, ist zurzeit unklar.
Ausserdem soll gemäss eines EU-Diplomaten die EU-Kommission im Botschafter-Ausschuss (Coreper) am 20. Juli bekräftige haben, dass «eine Lösung bei der Personenfreizügigkeit nur innerhalb eines Gesamtpakets gefunden werden kann».
Im Vordergrund steht hier für die Brüsseler Behörde vor allem das institutionelle Rahmenabkommen, das einen Streitschlichtungsmechanismus beinhalten soll. Während Brüssel einen Link zwischen den beiden Dossiers macht, argumentiert die Schweiz, es gebe keinen juristischen Zusammenhang.
Kompromiss nachreichen
Damit ist klar: Das Parlament in Bern wird in der Herbstsession beginnen, über eine einseitige Lösung zu beraten. Falls ein Kompromiss mit der EU doch noch zustande kommt, könnte man diesen in den Zweitrat, den Ständerat, nachreichen, wie Bundesrat Didier Burkhalter im Westschweizer Radio «RTS» sagte.
Angesichts der vielen Unbekannten ist aber auch dieser Fahrplan äusserst ambitioniert. Wahrscheinlicher ist, dass es gar nie zu einer einvernehmlichen Lösung mit der EU kommen wird.
Dann müssten Parlament und wahrscheinlich auch Stimmvolk entscheiden, ob sie eine weiche Umsetzung der Initiative oder aber diese strikt umsetzen wollen. Bei letzterem ist zwar eher nicht von einer sofortigen Kündigung der Bilateralen I auszugehen, aber die Schweiz würde schmerzhafte Konsequenzen seitens der EU zu spüren bekommen.
Nur schon wenn die EU-Staaten die WTO-Regeln gegenüber der Schweiz strikte anwenden würden, würde dies der Schweizer Wirtschaft ziemlich schaden. Man denke etwa an die vielen Schweizer Zulieferer an die deutsche Autoindustrie. Es gäbe viele solcher schmerzhaften Möglichkeiten – ohne dass die EU-Staaten gleich zu harten Retorsionsmassnahmen greifen müssten.