Erste Resultate aus dem Nationalen Forschungsprogramm «Gleichstellung der Geschlechter»

Achtung Frauenmangel

Im Chemielehrbuch der Sekundarstufe sind fast nur Männer abgebildet und im realen Leben mangelt es an Vorbildern: Sind das Gründe, warum sich nicht mehr junge Frauen für einen naturwissenschaftlich-technischen Beruf entscheiden? Die Studie «Weshalb wählen Frauen Männerberufe» hat untersucht, was Mädchen motiviert, einen untypischen Weg einzuschlagen - und was sie davon abhält.

Rechtlich sind Männer und Frauen gleichgestellt. Wenn das auch im Alltag so wäre, gäbe es keine Lohndifferenzen, die Familienarbeit wäre gerecht verteilt und die Erwerbschancen wären die gleichen. Warum dem noch immer nicht so ist, dem geht das Nationale Forschungsprogramm «Gleichstellung der Geschlechter» (NFP 60) auf den Grund. 21 Forschungsprojekte sollen Ursachen für die anhaltende Ungleichheit ausmachen, aber auch zum ersten Mal nach 30 Jahren Gleichstellungsarbeit systematische Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Strategien, Massnahmen und Programmen liefern.

Seit 2010 läuft das Programm. Nun liegen erste Erkenntnisse aus den Studien vor. An einem Diskussionsabend unter dem Titel «Women at work. Beruf, Karriere, Geschlecht», organisiert von der Fachstelle für Gleichstellung von Mann und Frau des Kantons Zürich und Gudrun Sander, Koordinatorin des NFP 60, haben Forschende zwei Projekte vorgestellt.

Lehrer oder Lehrerin - unwichtig!

Elena Makarova vom Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Bern hat sich mit ihrem Team um Professor Walter Herzog die Frage gestellt, warum Frauen Männerberufe wählen oder eben nicht. Gemäss einem OECD-Bericht von 2013 erzielen mehr als einer von zwei männlichen Studierenden, aber weniger als eine von zehn weiblichen Studierenden in den OECD-Ländern einen Abschluss in den Bereichen Ingenieurwesen, Fertigung und Bauwesen. Gleichzeitig besteht ein Fachkräftemangel in naturwissenschaftlich-technischen Branchen. Es ist also auch im Interesse der Arbeitgeber aus diesen Bereichen, dass junge Frauen nachrücken.

Warum sie das nicht tun, wird in der Allgemeinheit oft damit begründet, dass den jungen Frauen Vorbilder fehlen. Das Forscherteam hat diese Erklärung kritisch untersucht und hat herausgefunden: Die grösste Wahrscheinlichkeit, dass eine junge Frau einen männertypischen Beruf wählt, besteht, wenn entweder der Vater oder die Mutter bereits einen männertypischen oder einen geschlechtergemischten Beruf ausüben. Als männertypisch gelten Berufe mit einem Frauenanteil von unter 30 Prozent. Geschlechtergemischt sind Branchen mit zwischen 30 bis 70 Prozent Frauen. Sind mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmenden in einem Beruf Frauen, wird er als frauentypisch bezeichnet. Das heisst: Vorbilder sind zwar wichtig, es muss aber nicht zwingend die Mutter sein. Mädchen orientieren sich auch an ihren Vätern. Da dürfte es eigentlich nicht fehlen an Naturwissenschaftern und Ingenieuren.

Es kommt aber hinzu, dass sehr ausschlaggebend ist, ob die Interessen und Neigungen der Tochter mit den Eigenschaften des elterlichen Berufes zusammenpassen. Zudem hat das Forscherteam herausgefunden, ist die elterliche Unterstützung im Prozess der beruflichen Orientierung sehr wichtig. Führt eine Mutter oder ein Vater einen geschlechtsuntypischen Beruf aus und unterstützt die Tochter darin, dies ebenfalls zu tun, entscheidet sich die Tochter eher, auch einen solchen Weg einzuschlagen.

Neben der Analyse der Vorbild-Funktion haben die Wissenschafter einen zweiten Fokus auf die Schulbildung auf Sekundar- und Gymnasiumsstufe gelegt. Im Zentrum stand dabei ein geschlechtergerechter Unterricht in Mathematik, Physik und Chemie. Ein solcher Unterricht wird definiert durch eine hohe Vermittlungs- und Förderungskompetenz der Lehrperson. Das heisst: Die Lehrperson weckt das Interesse der Schülerinnen und Schüler, kann gut erklären, stellt Bezüge zum Alltag her, ist engagiert, unterstützt, fördert individuell, hat eine gute Beziehung zur Klasse und informiert auch über die Berufsmöglichkeiten im Fach.

Hier hat sich gezeigt, dass ein geschlechtergerechter Unterricht einen sehr positiven Einfluss auf das Interesse der Schülerinnen und Schüler am Fach, die Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten, ihre Leistung und die Wahl eines Studienfaches in dem Bereich hat. Ob die Lehrperson männlich oder weiblich ist, spielt keine Rolle.

Frauen im Chemiebuch untervertreten

Auffallend ist die Geschlechterverteilung bei der Analyse der Lehrmittel: In den Mathe-, Chemie- und Physik- Lehrbüchern auf Sekundarstufe II sind Frauen deutlich untervertreten. Von den in Texten in einem Chemie-Lehrmittel genannten Personen sind nur 1,5 Prozent weiblich. Auf den Bildern sind 4 Frauen, aber 35 Männer abgebildet. Auch leben in den Lehrmitteln stereotype Darstellungen der Geschlechterrollen weiter. 

«Diese Persistenz der Geschlechtsstereotypen im Erziehungs- und Bildungsbereich hat mich erstaunt und erschreckt», sagt Elena Makarova. Hier müsse dringend etwas getan werden. Auch bei der Sensibilisierung der Eltern auf ihre Rolle im Berufswahlprozess und der Wahrnehmung der Schlüsselrolle der Lehrpersonen für die Fächerwahl im Studium sieht sie Handlungsbedarf. «Die Berufsorientierung in der Schule, sowohl auf Sekundarstufe als auch im Gymnasium, muss weiterentwickelt werden. Schülerinnen und Schüler müssen über naturwissenschafliche Berufe unter besonderer Beachtung des Abbaus von beruflichen Geschlechterstereotypen informiert werden.»

Diese Informationspflicht sieht Elena Makarova auch bei HR-Experten. Ihrer Meinung nach müssen sowohl junge Frauen als auch junge Männer gezielter über ihre beruflichen Optionen und Karrierechancen in Berufsbranchen, die für ihr Geschlecht untypisch sind, informiert werden. «Zudem muss natürlich eine gendersensible Unternehmenskultur etabliert und gepflegt werden.»

Schon beim Einstieg unfair

Als zweite Studie wurde an diesem Abend das Projekt «Berufseinstieg und Lohndiskriminierung» vom Projektverantwortlichen Michael Marti vorgestellt. Basis für das Projekt war die Frage, zu welchem Zeitpunkt die diskriminierenden Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen entstehen; Frauen verdienen nach Marti 10 Prozent weniger als Männer. Und diese Entwicklung, so zeigt die Studie, beginnt schon nach der Ausbildung: Bereits beim Berufseinstieg verdienen Männer im Schnitt 3 bis 4 Prozent mehr als Frauen. Das trifft vor allem in geschlechtergemischten Branchen zu. Frauen in typischen Männerberufen verdienen gut, fallen aber auch durch überdurchschnittliche Qualitäten auf. Das ist umgekehrt übrigens auch der Fall. 

Ein weiterer einschneidender Punkt in der Lohnentwicklung ist gemäss der Studie die Elternschaft. Werden Frauen Mütter, wirkt sich das schlecht auf ihren Lohn aus. Männer die Väter werden, profitieren hingegen. Weil daneben auch die Hausarbeit mehrheitlich von den Frauen getragen wird, auch wenn sie berufstätig sind, besteht eine Doppelbelastung bei jungen Frauen.

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