Das Miteinander der Generationen

«Alternsgerechte Politik lässt sich nicht mit dem Durchschnittsalter 32 machen»

KMU leben Diversity, Grossunternehmen haben eine Politik dazu. HR-Verantwortliche sind mutiger als die Linie, lassen aber Bottom-up-Ansätze zu wenig zu. Solche und weitere Thesen über Diversity, Rolle des HRM und Verbesserungsmöglichkeiten in Sachen alternsgerechte Personalpolitik bespricht der Coach Michael Kres mit HR Today.

Was muss man sich unter alternsgerechter Personalpolitik vorstellen?

Michael Kres: Eine Politik, bei der die Menschen – unabhängig von ihrem Alter – ihre Kompetenzen, Stärken, aber auch ihre Bedürfnisse in Einklang bringen mit den Anforderungen des Unternehmens.

Ist das schwierig zu erreichen?

Zwei Probleme sind fundamental: Aus der gerontologischen Forschung weiss man, je
 älter der Mensch wird, desto vielfältiger ist er. Die traditionellen Karrieremodelle laufen alle auf eine Spitze zu; sie werden enger – der Mensch aber funktioniert genau umgekehrt. Damit liegt ein grosses Potenzial brach, das gerade von Grossunternehmen kaum genutzt wird. Meiner Erfahrung nach haben diese zwar eine Politik, aber wenig Praxis. Oft haben auch HR-Leute schön ausgearbeitete Leitlinien, die jedoch die Führungsleute manchmal gar nicht kennen. Kleine und mittlere Unternehmen hingegen haben Praxis und brauchen keine Politik, weil sie die Menschen und ihre Vorlieben kennen.

Grössere Unternehmen könnten älteren Menschen doch mehr bieten, etwa Teilzeitarbeit oder spezifische Weiterbildung.

Ich sehe das anders. Unternehmen müssen den Leuten nichts bieten: Wer denkt, er bekomme sowieso Altersteilzeit, Frühpensionsseminare oder flexible Pensionierung, der wird nicht deswegen arbeitsmarktfit
 bleiben. Fit bleiben zu wollen, muss von der inneren Einstellung her kommen, ebenso wie Freude an der Arbeit zu haben und seine
Kompetenzen weiterhin einbringen zu wollen. Alternsgerechte Personalpolitik kann nur bottom up funktionieren: Die Leute müssen selber wollen. Keine Führungskraft kann
seinem 55-jährigen Mitarbeiter verordnen: «Du musst noch zehn Jahre arbeiten, also sei gefälligst fit.»

Was machen KMU besser?

Je kleiner die Firma, desto näher ist man bei den Leuten. Je mehr Vertrauen Menschen in das System haben, umso länger bleiben sie im Unternehmen. Vertrauen entsteht durch Kennen, Kennen durch Nähe. Und Nähe entsteht durch Zeit. Nun fragen Sie mal in einem Grossunternehmen, wie viel Zeit eine Führungskraft mit ihren Leuten verbringt! Dabei sollte die Führung durch Zuhören, Innehalten und Reflektieren gekennzeichnet sein. Führungsleute müssen die Meinung von den Menschen einfordern, die nie etwas sagen.

Was meinen Sie mit «Menschen, die nie 
etwas sagen»?

Die heutigen Mitarbeitenden im Alter 50+ haben nicht gelernt, ihre Meinung auszudrücken. Siehaben gelernt, zu tun, was ihnen gesagt wird. Sie können nun nicht plötzlich umdenken und ihre Bedürfnisse klar formulieren. Ich glaube, unsere Führungsmodelle in Kombination mit einer gefühlten Sicherheit – den Leuten geht es ja gut – sorgen dafür, dass Themen wie Diversity nur halbherzig angegangen werden. Zwar haben gerade HR-Abteilungen in diesem Bereich viel gemacht, aber sie haben noch nicht eingesehen, dass der Impuls nicht von ihnen kommen muss, sondern von der Basis. Zu oft versinken HR-Leute in «Projektitis», ohne dabei an der Basis eine Änderung zu bewirken.

Wie kann man mehr Diversity in Teams bringen?

Es beginnt bei der Rekrutierung. Wenn da nur Punkte abgehakt werden, beispielsweise ob er einen MBA hat, bringt man keine Altersdurchmischung ins Team. Auf diese Weise wählt man den Weg des geringsten Widerstandes und der spricht nicht für ältere 
Mitarbeitende. Alter ist immer noch negativ konnotiert und mit Vorurteilen behaftet. Ein neues Teammitglied sollte daher nicht vom Chef oder einer Personalabteilung ausgewählt werden, sondern vom Team.

Würde ein junges Team freiwillig einen 60-Jährigen auswählen?

Wir haben schon solche Konstellationen zusammengebracht. Es klappt nicht immer, aber was passiert, ist bemerkenswert. Die 
jungen Leute sind sehr wohl offen gegenüber älteren. Es liegt auch an den älteren Leuten, hinzustehen und zu sagen, wer sie sind, was sie können. Sie müssen lernen, lockerer zu sein, und nicht ein paternalistisches «Ich weiss es besser»-Denken an den Tag legen.
Wie sie auf andere wirken, sollte daher ein Bestandteil jeder Standortbestimmung für 50+ sein.

Warum stellen Unternehmen denn lieber junge Menschen ein?

HR-Leute sind in dieser Hinsicht mutiger als die Linie. Sie würden ältere Mitarbeitende einstellen, weil sie wissen, wie Diversity die Leistungen in einer Gruppe steigert. Aber die Führungskräfte sträuben sich. Sie wollen ihre Ziele erreichen, und um Ziele umstandslos zu erreichen, brauchen sie keine Diversity.

Was ist neben der Rekrutierung besonders wichtig zu beachten?

Die altersgerechte Remunerationspolitik. Ältere Leute sind oft weniger an Geld interessiert als an mehr Zeit. Sie wollen etwas Individualisiertes. Weshalb nicht einfach die Betroffenen fragen, anstatt einen Compensation & Benefit Consultant zu engagieren, der ein tolles Konzept mit völlig falschen Anreizen schafft, das nicht genutzt wird?

Was ist die Rolle von HRM in der Diversity-Diskussion?

HR-Leute haben generell eine schwierige Aufgabe: Sie sollten Moderatoren, Mediatoren, Coaches sein. Sie wollen aber Business Partner sein. Um all diese Rollen erfüllen zu können, müssen HR-Leute über persönliche Reife
verfügen. Ich finde, man sollte auch in der HR-Ausbildung vermehrt auf solche weichen Faktoren achten, anstatt die hyperkomplexesten Organisationsmodelle entwickeln zu wollen.

Wie kann die HR-Abteilung helfen, Vor
urteile gegenüber älteren Mitarbeitenden abzubauen?

Vorurteile sind tief verankert und auf Emotionen gestützt. Mit rationellen Argumenten dagegen vorgehen zu wollen, nützt nichts. HR muss eine Kommunikations-
plattform schaffen und denjenigen Leuten eine Stimme verleihen, die sonst keine haben. Das Motto muss heissen «Tue Gutes und sprich darüber». Ausserdem müssen sie in 
ihrer Rolle als Coach die Angst des 37-jährigen Vorgesetzten gegenüber einem älteren Mitarbeitenden abbauen können.

Inwiefern spielt das Alter eines Personalers eine Rolle?

Es ist ganz wesentlich. In einem HR-Team braucht es zwingend einen guten Mix. 
Alternsgerechte Politik lässt sich nicht mit einem Durchschnittsalter von 32 machen. 
Die meisten Unternehmen, die ich kenne, sind diesbezüglich recht gut durchmischt. Wichtig ist, dass das HRM besetzt ist mit
 Leuten, die selber fest im Leben stehen, die mit Unsicherheiten umgehen können und nicht von jedem Windhauch umgeblasen werden. Dazu braucht es Persönlichkeit viel mehr als eidgenössische Diplome. Ich kenne 30-jährige Personaler, die sind fantastisch, denen hört jeder 57-Jährige zu.

Also hat die Persönlichkeit nichts mit dem Alter zu tun?

Absolut. Genauso wenig hat Employability mit Alter zu tun. Es geht um die Einstellung, das Verhalten und nicht ums Alter. Auch Produktivität hat mit dem Alter nichts zu tun, dieses Vorurteil sollte endlich aus 
den Köpfen raus.

Welche Rahmenbedingungen kann ein
Unternehmen schaffen, damit ältere Leute gut und gerne weiterarbeiten?

Flexible Arbeitsmodelle, individualisierte Gehaltsmodelle, Mentoring sind zielführend … Es sind Modelle, die die Energie fliessen lassen. Energie ist Produktivität.
Junge Menschen rennen wie verrückt, die meiste Energie verpufft sinnlos. Die Älteren rennen nicht mehr so, dafür bringen sie ihre Energie am richtigen Ort ins System. Die
 Effektivität nimmt mit dem Alter generell
zu, und das hat mit Lebenserfahrung zu tun. Wir sollten uns daher bei älteren Mitarbeitenden darauf konzentrieren, die Energie dort abzuholen, wo sie ist, und nicht, wo sie sein sollte. Hier machen die meisten Unternehmen Fehler. Man muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Menschen aller 
Alterskategorien weg in einer vernünftigen Bewegung sind, ohne gestresst zu sein. Hier kommen Massnahmen wie Jobrotation zum Zuge.

Jobrotation, Teilzeitarbeit – das sind alles Themen, die auch jüngere Mitarbeitende betreffen!

Genau. Und altern tun wir alle. Da kann man nicht sagen, ab 55 Jahren führen wir
 ein Altersthema ein. Das funktioniert nicht. Streicht das Thema Altern generell einfach mal raus. Die Leute müssen gleich behandelt, aber anders geführt werden. Und das 
wiederum kann eine Führungskraft am
 besten, wenn sie sich selbst führen kann.

Was hat Selbstführung mit Diversity zu tun?

Alternsgerechte Personalpolitik ist nichts anderes, als die Menschen zu sich selber zurückzubringen und zur Selbstführung anzuleiten. Dafür ist das HRM bestens positioniert. HR-Verantwortliche sollten sich auf ihre Basiskompetenzen besinnen und erkennen: Menschen bewegen sich zwar selber, aber sie können sie dazu anleiten. Dazu braucht es keine Konzepte oder High-Potential-Karrierepläne, sondern nur Nähe. Nähe zu den Leuten – und danach entwickeln sich die Dinge wie von selbst.

Michael Kres

ist Partner der ProMove TM GmbH und 
Partner und Geschäftsführer ProMove TM Employability Consulting AG. Zudem ist er Vorstandsmitglied der Schweizerische n
Gesellschaft für Arbeitsmarktkompetenz. Er hat an der Universität St. Gallen promoviert und sich zum Executive Leadership Coach AOEC weitergebildet. Kres hat langjährige Führungserfahrungen in der Luftfahrtindustrie, der Beratungs-, Ausbildungs-, Telekom- und der Dienstleistungsbranche. Er hält Vorträge an Universitäten und Fachhochschulen in der Schweiz und im Ausland in Fragen des zukunftsorientierten Personalmanagements. Zudem hat er verschiedene Bücher und Berichte in den Themenbereichen demografische Verschiebung und Employability geschrieben.

 

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