HR Today 7+8/2016: Vorsorge

Altersvorsorge 2020: Jetzt ist der Nationalrat dran

Der politische Prozess um die Anpassung der ersten und der zweiten Säule ist in vollem Gange: Nach 
dem Ständerat berät nun die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats die Vorlage. Der Nationalrat selbst wird voraussichtlich in der Herbstsession die Debatte aufnehmen. Das letzte Wort wird das Volk haben.

Die Altersvorsorge 2020 hat zum Ziel, die Finanzierung von AHV und BVG zu sichern und dabei das heutige Leistungsniveau zu erhalten. Verantwortlich für den Anpassungsbedarf bei der Finanzierung ist in erster Linie die demografische Entwicklung:

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AHV: Heute finanzieren vier Arbeitnehmende die laufende Rente eines AHV-Rentners; in knapp 25 Jahren sind es noch zwei Arbeitnehmende.
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BVG: Der im Gesetz verankerte Umwandlungssatz hat eine nicht vorgesehene Umverteilung zur Folge. Die aktiven Versicherten finanzieren die zu hohen Umwandlungssätze der Neurentner mit reduzierten Verzinsungen ihrer Altersguthaben. Diese Entwicklung wird durch das nach wie vor tiefe Zinsniveau und den stotternden Wirtschaftsmotor verstärkt.

Die Kernelemente

Für den Ständerat waren im Bereich AHV die Erhöhung des Rücktrittsalters der Frauen auf 65 sowie die Einführung des Teilrentenbezugs bei vorzeitiger oder aufgeschobener Pensionierung die wichtigsten Elemente. Diese Anpassungen wurden bereits in der Botschaft vorgeschlagen. Der vom Bundesrat vorgeschlagene Interventionsmechanismus wurde hingegen vom Ständerat zurückgewiesen; ebenso die Reduktion des AHV-Beitrags des Bundes. Die Finanzierung soll künftig durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um maximal CHF 3,6 Milliarden (plus 1 Prozent Mehrwertsteuer) erfolgen. Der Ständerat hat zudem eine generelle Erhöhung der AHV-Altersrente von CHF 70 pro Monat in die Vorlage aufgenommen. Diese Erhöhung kostet CHF 1,4 Milliarden bzw. 0,3 Lohnprozente. Damit wird das Leistungsniveau in der AHV erhöht.

Ein Kernelement im BVG ist die Senkung des Umwandlungssatzes auf 6,0 Prozent. Um das Leistungsziel zu erreichen, hat der Ständerat einen reduzierten Koordinationsabzug vorgeschlagen und den Sparprozess bereits ab Alter 21 vorgesehen. Die frühestmögliche Pensionierung hat er, wie bereits der Bundesrat, auf Alter 62 festgelegt. Für die Übergangsgeneration ab Alter 50 wird das bisherige Leistungsziel durch eine Finanzierung via Sicherheitsfonds sichergestellt. Die Kosten der beruflichen Vorsorge erhöhen sich um insgesamt CHF 1,6 Milliarden (angepasste Sparbeiträge und zusätzliche Kosten für die Übergangsgeneration). Es ist zu erwarten, dass der Nationalrat nicht alle Anpassungen des Ständerats übernehmen wird, vor allem die Erhöhung der AHV-Rente dürfte kritisch hinterfragt werden. Ebenso könnte es eine Schuldenbremse für die AHV in die Vorlage schaffen. Alles in allem ist davon auszugehen, dass sich der Einigungsprozess zwischen National- und Ständerat in die Länge ziehen wird. Damit ist auch der ursprünglich vorgesehene Einführungszeitpunkt (1.1.2018) in Gefahr.

Auswirkungen für Arbeitgeber und Versicherte

Am Beispiel eines Kleinunternehmens mit drei Mitarbeitenden lässt sich dies bei den BVG-Sparbeiträgen, dem wesentlichsten Bestandteil der Prämien, gut aufzeigen (siehe Grafik). Insgesamt erhöhen sich die Beiträge für dieses KMU nach den Anpassungen durch den Ständerat um 11 Prozent. Für die einzelne Person kann die Erhöhung aber noch wesentlich höher ausfallen: Bei Person C erhöht sich der Lohnabzug um CHF 508, was einer Erhöhung von 15 Prozent gleichkommt.
Die bundesrätliche Botschaft hatte ursprünglich noch massive grössere Erhöhungen vorgesehen, da für die Löhne unter der BVG-Maximalgrenze von CHF 84 600 ein Leistungsausbau vorgesehen war; im Lohnbereich von CHF 50 000–55 000 AHV-Lohn gar eine Leistungsverbesserung von knapp 40 Prozent. Dieser Leistungsausbau wurde durch den Ständerat reduziert. Im obigen Lohnbereich reduzierte sich dadurch die Leistungsverbesserung auf knapp 8 Prozent.

 

Ziel erreicht?

Bereits in der Botschaft hatte der Bundesrat selbst festgestellt, dass die Vorschläge nicht ausreichen, um nachhaltig und langfristig die Sozialwerke im Gleichgewicht zu halten:

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Im Bereich AHV erwähnt die Botschaft explizit, dass die Massnahmen nicht ausreichen, um die langfristige Sicherheit zu gewährleisten. Bereits im Jahr 2030 seien weitere Massnahmen für die Sicherstellung der Finanzierung der AHV notwendig.
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Im BVG ist die Senkung des Umwandlungssatzes auf 6,0 Prozent bereits zum heutigen Zeitpunkt nicht ausreichend. Nur mit einem hohen technischen Zinssatz von 3,6 Prozent ist der Umwandlungssatz 6,0 Prozent technisch korrekt. Das heisst: Um im finanziellen Gleichgewicht zu bleiben, muss die Pensionskasse eine Vermögensrendite von mehr als 4 Prozent erzielen; andernfalls nimmt sie eine Umverteilung zulasten der aktiven Versicherten und/oder des Deckungsgrads in Kauf. Im Jahr 2030 erhöht sich für einen Umwandlungssatz von 6,0 Prozent der technische Zinssatz gar auf 3,8 Prozent. Der Grund dafür liegt in der weiter steigenden Lebenserwartung, die bei gleichbleibendem Umwandlungssatz durch einen höheren Zins kompensiert werden muss.

Aber: Die technischen Zinssätze der Pensionskassen in der Schweiz sinken immer weiter und passen sich der ökonomischen Realität an. Beispiel: Einem Umwandlungssatz von 5,5 Prozent liegt ein technischer Zins von 2,5 Prozent zugrunde. Die meisten Pensionskassen, die mehr als das gesetzliche BVG-Minimum leisten, passen ihre Umwandlungssätze laufend der ökonomischen Realität an. Bereits heute gibt es Pensionskassen, die ihre Umwandlungssätze im Bereich 4,5–4,8 Prozent reglementarisch fixiert haben. Diese Umwandlungssätze gelten für die gesamte Pensionskasse («umhüllend») und das BVG-Minimum wird integral (als sogenannte «Schattenrechnung») eingehalten.

Fazit

Die nachhaltige Sicherung der Finanzierung der AHV und des BVG wird mit der Altersvorsorge 2020 nicht erreicht. Weder die Erhöhung der Mehrwertsteuer noch das Anheben des Rücktrittsalters der Frauen sowie die höheren Sparbeiträge reichen langfristig aus. Es ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt klar, dass spätestens 10 Jahre nach der Umsetzung Nachbesserungen notwendig sein werden. Sollte man also nicht besser die ganze Vorlage von Grund auf neu und nachhaltig aufgleisen? Die Antwort ist eindeutig: nein. Aber warum? – Die Lebenserwartung wird weiter steigen. Warten wir mit Massnahmen, so wirkt sich dies in exponentiell höheren Kosten aus. Dies bedeutet, dass zum jetzigen Zeitpunkt vom Parlament nicht «filigranes Detailwerkeln», sondern grossflächige Verbesserungsmassnahmen verlangt sind. So wird auch der geplante Einführungszeitpunkt nicht zusätzlich gefährdet. Das Parlament muss auf die vom Bundesrat vorgegebenen Zielsetzungen fokussieren, also auf «Leistungserhalt» und auf «Sicherstellung der Finanzierung bis ins Jahr 2030». Auf diese Weise sichern wir die Vorsorge mit der ersten und der zweiten Säule in der Schweiz grundsätzlich. Ab 2020 kann die Verfeinerung und Finalisierung der nachhaltigen Finanzierung bei gleichbleibendem Leistungsniveau in der Altersvorsorge ab 2030 diskutiert und auch beschlossen werden. In diesem Sinn: «Allez hop, werte Parlamentarierinnen und Parlamentarier!»

 

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Roland Schmid ist Geschäftsführer der Swiss Life Pension Services AG.

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