Leadership

Auf der Suche nach dem Ikigai

Wie das alte japanische Lebens-Konzept Ikigai zu mehr Sinn, aber auch mehr Erfolg im Job, verhilft und welche anderen Leadership-Lektionen sich daraus ableiten lassen, analysieren Bodo B. Schlegelmilch, Dekan der WU Executive Academy, und die Ikigai-Expertin Klara Palucki.

«Unsere Gesellschaft wird immer schnelllebiger und unsicherer, und es ist nicht nur schwer abzusehen, was morgen passieren wird, sondern aufgrund der Komplexität der Ereignisse nahezu unmöglich, Ursache und Wirkung noch klar zu differenzieren. Gerade Ereignisse wie die Corona-Pandemie oder der Ukraine-Konflikt haben uns gezeigt, dass das Leben weniger planbar ist als je zuvor», sagt Bodo Schlegelmilch, Dekan der WU Executive Academy. 

In einer solchen Welt geht es nicht mehr nur um Volatilität, sondern um eine plötzlich auftretende Brüchigkeit; chaotische Zustände, die selbst stabile Systeme plötzlich und fundamental erschüttern können. Diese Unsicherheit kann bei Führungskräften zu einer Art «Angststarre» führen, die durch die Fülle an Informationen und Desinformationen und einer stetig steigenden Workload noch weiter verstärkt werden.

Ikigai: Sinnorientiertes Handeln in turbulenten Zeiten

Einen wertvollen Ansatz liefert hier die japanische Lebensphilosophie des Ikigai. «Iki» bedeutet so viel wie «Leben», «kai» bezeichnet den Sinn, einen Effekt, ein Ergebnis oder einen Nutzen. Die Zusammensetzung «Ikigai» kann also als «Lebenssinn» oder «das, wofür es sich lohnt, zu leben» übersetzt werden. Als praktische Lebensphilosophie meint es auch, in den kleinen Dingen, Taten und Momenten Sinn zu finden und zu wissen, wofür man tagtäglich morgens aufsteht. 

Klara Palucki, Ikigai-Expertin und Programm Managerin des EMBA Health Care Management der WU Executive Academy, muss es wissen, hat sie doch selbst die Suche nach ihrem Ikigai durchgemacht: «Ich habe spät studiert. Mit 41 Jahren habe ich meinen Bachelor in Unternehmensführung und Personalmanagement gemacht», erzählt Palucki. Als sie nach dem Abschluss nicht sofort einen Job gefunden hat, «habe ich dieses Buch in meinem Bücherregal wiederentdeckt.» Gemeint ist eines von vielen Büchern, die ihre Leser zum Ikigai führen wollen. Sie beantwortete die viel Fragen des Ikigai erfolgreich für sich selbst und hat danach - vor ihrer neuen Aufgabe an der WU Executive Academy – mehrere Jahre Frauen auf dem Weg zu einem neuen Job oder in anderen Veränderungsprozessen gecoacht, viele unter ihnen auch Führungskräfte.

«Ich habe Frauen unterstützt, ihre Stärken zu erkennen und ihre beruflichen und persönlichen Ziele klarer zu definieren. Viele waren frustriert, weil ihnen Orientierung fehlte, aber durch Ikigai haben sie gelernt, wieder an ihre Fähigkeiten zu glauben und eine Vision und Ziele für ihre berufliche (und private) Zukunft zu definieren.» In der unvorhersehbaren BANI-Welt bietet Ikigai Führungskräften eine Art Kompass. Es hilft, den Fokus auf das Wesentliche zu richten und Entscheidungen wertorientiert zu treffen. 

«In turbulenten Zeiten ist es entscheidend, sich seiner Werte klar zu werden und danach zu handeln», sagt Bodo Schlegelmilch. «Ikigai hilft dabei, die innere Sicherheit zu finden, die man braucht, um auch in unsicheren Zeiten Kurs zu halten.»

Ikigai basiert auf vier zentralen Fragen:

1.    Was liebst du?
2.    Worin bist du gut?
3.    Was braucht die Welt?
4.    Wofür kannst du bezahlt werden?

Der Schnittpunkt (Ikigai) dieser vier Dimensionen ist der persönliche Lebenssinn. Gerade Führungskräften bietet Ikigai eine wunderbare Möglichkeit, nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Teams einen sinnorientierten, nachhaltigen Weg einzuschlagen.

Vom Self-Leadership zum Ikigai des Unternehmens

Führungskräfte, die den Sinn in ihrem Leadership erkannt haben, sind authentischer und inspirieren ihre Teams dazu, ebenfalls einen sinnorientierten Weg einzuschlagen. Sie fördern ein Arbeitsumfeld, in dem die individuellen Stärken und Interessen der Mitarbeitenden berücksichtigt werden. Job Crafting, also die aktive Gestaltung des eigenen Arbeitsumfelds und der Aufgaben, spielt dabei eine zentrale Rolle.

Klara Palucki erklärt: «Wenn ich in meinem Job nicht glücklich bin, kann ich mir in kleinen Schritten ansehen, welche Aufgaben mir liegen und welche weniger. Dadurch lässt sich ein Arbeitsumfeld schaffen, das besser zu den eigenen Bedürfnissen passt. Oft hilft es auch, genauer hinzuschauen, wo der Sinn abhandengekommen ist. Indem wir Aufgaben im Sinne von Job Crafting shiften und neu verteilen oder neue Projekte initiieren, können wir wieder Sinn entdecken.»

Aber Führungskräfte sollten idealerweise nicht nur ihr eigenes Ikigai kennen, sondern auch das ihres Unternehmens. Denn: Dieselben Fragen, die sich jeder am Weg zum eigenen Ikigai stellen muss, können Führungskräfte auch für ihr Unternehmen stellen: Firmen müssen etwas produzieren, für das sie Geld verlangen können und idealerweise ist das Produkt auch nützlich. Das geht nur, wenn die Angestellten des Unternehmens ihren Job gut machen. Und damit die HR-Kosten nicht explodieren, sollten die Mitarbeiter ihre Arbeit zumindest so weit mögen, dass sie nicht nach dem Probemonat wieder weg sind. Schlegelmilch: «Ikigai ist wie ein Rezeptbuch, um den Purpose eines Unternehmens zu finden.»

Fazit

Die Welt stellt Führungskräfte vor immense Herausforderungen, doch sie bietet auch Chancen, wenn sie bereit sind, sich auf neue Wege einzulassen. Ikigai als Instrument der Sinnfindung hilft dabei, die eigenen Werte und Ziele klar zu definieren und diese in Einklang mit der beruflichen Tätigkeit und dem eigenen Leadership als Führungskraft zu bringen.

Führungskräfte, die sich ihrer eigenen Motivation bewusst sind, können ihre Teams besser motivieren und gemeinsam eine sinnstiftende Arbeitskultur schaffen – die nachhaltig auf den Unternehmenserfolg einzahlt. Klara Palucki bringt es abschließend auf den Punkt: «Menschen wollen zunehmend Teil von etwas Größerem sein und bleiben eher im Unternehmen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Arbeit einen Zweck erfüllt.»

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Klara Palucki (Bild: WU Executive Academy)

Klara Palucki ist Ikigai-Expertin und Programm Managerin des Executive MBA Health Care Management der WU Executive Academy.

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Bodo Schlegelmilch (Bild: WU Executive Academy)

Bodo B. Schlegelmilch ist Gründungsdekan sowie langjähriger Leiter der WU Executive Academy und emeritierter Professor für Global Marketing Strategie an der WU Wirtschaftsuniversität Wien.

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