HR Today Special 2019: BGM – Körper und Geist

Das grosse Schweigen

Gesundheitliche Probleme, seien sie physischer oder psychischer Natur, schränken die Arbeitsleistung der Betroffenen ein und bescheren dem Unternehmen Fehltage. Der grosse Unterschied liegt allerdings darin, wie mit den Diagnosen umgegangen wird. Während über Krebs, Herzinfarkt oder Hüftoperationen gesprochen wird, herrscht bei psychischen Problemen oft das grosse Schweigen.

Absenzen aufgrund von physischen oder psychischen Problemen sind in Unternehmen gang und gäbe. Und sie haben nicht nur finanzielle Auswirkungen auf die Unternehmen, sondern beeinflussen auch die Organisation und deren Kultur.

Dr. Niklas Baer beschäftigt sich seit 25 Jahren mit den Auswirkungen von psychischen Problemen auf die Arbeitsfähigkeit. Einerseits als Forscher und Berater, andererseits ist er als Leiter der Fachstelle Psychia­trische Rehabilitation der Psychiatrie Baselland auch direkt involviert, wenn von einer psychischen Erkrankung betroffene Menschen wieder in den Arbeitsalltag einsteigen.

Dieser Wiedereinstieg gestaltet sich meistens weniger einfach als ein Wiedereinstieg nach einer physischen Erkrankung oder einem Unfall. Der Grund liegt gemäss Niklas Baer darin, dass psychische Probleme bei Kollegen, Mitarbeitenden oder Vorgesetzten starke emotionale Dynamiken auslösen. «Das Umfeld ist verunsichert und hat oft keine Ahnung, wie es mit jemandem umgehen soll, der psychische Probleme hat.» Da die psychische Erkrankung nicht sichtbar sei, sei sie auch nicht greifbar. «Dies führt zu einer ablehnenden Haltung und oft auch dazu, dass nicht darüber gesprochen wird.»

Jede vierte Person ist betroffen

Darüber sprechen möchten gemäss dem Fachmann auch die Betroffenen nicht, denn sie haben Angst vor Diskriminierung. «Während Krebs, Rückenprobleme oder Unfallverletzungen Mitgefühl auslösen, steht bei psychischen Problemen bald die Schuldfrage im Raum und die betroffenen Personen befürchten, stigmatisiert zu werden.»

Das grosse Schweigen rund um psychische Erkrankungen ist umso unverständlicher, als dass sich mit grosser Wahrscheinlichkeit in jedem Unternehmen Menschen mit psychischen Problemen befinden. Gemäss verschiedenen Untersuchungen ist innerhalb eines Jahres jede vierte Person davon betroffen.

Und ganz wichtig: Es ist nicht etwa so, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen in den vergangenen Jahren zugenommen hat, gestiegen ist allerdings die Zahl der deswegen krankgeschriebenen Personen. «Dies, weil sich mehr Betroffene Hilfe holen und trotz allem eine gewisse Enttabuisierung stattgefunden hat», konstatiert Baer. So ist zum Beispiel die Diagnose Burn-out vielerorts akzeptiert und auch eine Depression als Folge von Mobbing gehört eher zu den enttabuisierten Krankheiten, im Gegensatz zu einer Borderline-Erkrankung oder einer Schizophrenie.

Probleme ansprechen

Aufgrund seiner Forschungstätigkeit ist Baer überzeugt, dass die meisten Chefs auch Mitarbeitende mit psychischen Problemen dabei unterstützen wollen, im Betrieb zu bleiben oder nach einer Absenz wieder in diesen integriert zu werden. Viele wüssten einfach nicht, wie sie das am besten tun können.

Als wichtigsten Punkt im Umgang mit psychischen Erkrankungen nennt der Fachmann das Ansprechen des Problems. «Und zwar, bevor man sich ärgert und schon das ganze Team entnervt ist.» Dabei sollte der betroffenen Person nicht nur Hilfe angeboten, sondern auch die Erwartungen ihr gegenüber klar kommuniziert werden. «Zudem sollte nicht auf Einsicht der psychisch erkrankten Person gewartet, sondern eine Behandlung eingefordert werden.» Essentiell sei es zudem, den Kontakt zum behandelnden Arzt zu suchen und dessen Unterstützung zu fordern.

Auch die Kommunikation mit dem Team ist wichtig – vor allem auch auf der Ebene der Unternehmenskultur. «Die Frage dabei ist nicht, ob ein Mitarbeitender ein psychisches Problem hat, sondern wie das Team oder das gesamte Unternehmen damit umgeht», betont Baer. Gerade hier bestehe noch ein grosser Nachholbedarf.

 

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Sandra Escher Clauss ist freie Journalistin.

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