HR Today Nr. 10/2016: Konfliktmanagement

Das Reptil in uns

Konflikte beginnen meist mit einem Missverständnis. Werden Unstimmigkeiten nicht angesprochen, entsteht häufig eine Konfliktdynamik, die ausser Kontrolle gerät. Mit dem Konzept der «gewaltfreien Kommunikation» lässt sich eine Konflikteskalation verhindern. Eine HR-Leiterin und ein Konfliktberater geben Einblick.

«Jeder Verkäufer weiss doch, dass ...», «Sie haben mich völlig falsch verstanden», «Hier wird ständig am Problem vorbeidiskutiert». Häufig seien es verallgemeinernde Sätze wie diese oder Worte wie «nie» und «immer», die zu Konflikten führen, meint Monica Wälchli, HR-Leiterin von Prontophot, dem schweizweit bekannten Fotoautomatenhersteller. Die HR-Leiterin sieht sich auch in der Rolle der Konfliktmanagerin und hat sich deshalb auf diesem Gebiet entsprechend weitergebildet. «Niemand verhält sich nur auf eine Weise.» Auch darüber, was «richtig» oder «falsch» sei, könne man stundenlang streiten, doch ein «Richtig» oder «Falsch» gäbe es nicht. Auslöser für Konflikte seien meist bloss unterschiedliche Weltanschauungen, die aufeinanderträfen.

Auch für Michael Kühl, Unternehmensberater sowie Führungskräfte- und HR-Coach, beginnen Konflikte zumeist mit Worten. «Häufig ist eine Lappalie der Auslöser für Konflikte.» Das könne eine unachtsame Bemerkung sein oder eine als abwertend empfundene Geste. Den beteiligten Führungskräften, Personalverantwortlichen oder Teams sei oft gar nicht klar, weshalb «es nicht läuft», man habe doch schon so viel versucht. «Meist sind es Missverständnisse, die einen Konflikt auslösen.» Diese entstünden, weil Sender und Empfänger einer Botschaft einen unterschiedlichen Erfahrungsschatz hätten und eine Aussage unterschiedlich deuten würden. Eine Meinung, die Monica Wälchli teilt: «Eine unklare und unvollständige Kommunikation fördert Missverständnisse.» Etwa dann, «wenn ein Vorgesetzter einen Auftrag erteilt, aber vergisst, seinem Mitarbeitenden einen Termin zu setzen, oder den Auftrag zweideutig formuliert». In solchen Situationen könnten beide völlig verschiedene Prioritäten setzen und den Auftrag unterschiedlich auslegen. Während der Vorgesetzte seinen Auftrag als dringlich einstufe, lasse sich der Mitarbeitende bei der Bearbeitung Zeit, weil ihm die Information über die Dringlichkeit fehle. Und schon stehe ein Konflikt im Raum. Wie auch immer dieser verlaufe, letztlich ginge es um unbefriedigte Bedürfnisse nach Anerkennung und Wertschätzung, stimmen beide Experten überein.

Muss der Mensch erzogen werden?

Hinter vielen Worten verbergen sich gemäss  Marshall B. Rosenberg, dem 2015 verstorbenen «Erfinder der gewaltfreien Kommunikation» moralische Urteile, die anderen Menschen unterstellen, sie hätten unrecht oder sie seien schlecht, weil sie sich nicht gemäss unseren Wünschen verhalten. Für ihn waren Schuldzuweisungen, Beleidigungen, Niedermachen, in Schubladen stecken, Kritik, Vergleiche und Diagnosen alles Formen von Verurteilungen. Diese seien häufig auch die Auslöser eines Konflikts, denn der «Beschuldigte» fliehe, gehe in die Abwehr oder zum Angriff über. Dahinter stand für ihn eine Art des Denkens, welche die Ursachen eines Konflikts dem Fehlverhalten eines Gegners zuschreibt. Auch Wünsche, die in Form von Forderungen gepackt sind, fielen für ihn in diese Kategorie der Kommunikation. Würden diese nicht erfüllt, drohten Schuldzuweisungen oder Strafen.
In Unternehmen führe eine solch unreflektierte Kommunikation häufig dazu, dass Mitarbeitende Forderungen ihrer Vorgesetzten nur aus Angst, Schuldgefühl oder Scham erfüllen würden und nicht aus eigenem Antrieb heraus. Wer sich so genötigt fühle, werde bei der Arbeit Widerwillen empfinden und an Selbstvertrauen einbüssen. Hinter all diesen Kommunikationsmängeln ortete Rosenberg die tiefsitzende westlich geprägte Überzeugung, dass der Mensch schlecht und mangelhaft sei und erzogen werden müsse, um seine unerwünschten Eigenheiten zu beherrschen. Aus seiner Sicht benötigten besonders hierarchisch organisierte Gesellschaften schwache und unterwürfige Menschen, um zu funktionieren.

Ein Konflikt «hat die unangenehme Eigenschaft, zu wachsen», erläutert Michael Kühl solche unangenehme Konsequenzen schwelender Konflikte. Daher sollten alle Beteiligten möglichst früh ein klärendes Gespräch führen. «Wer aus Harmoniebestreben oder Konfliktscheu zunächst den Mund hält, riskiert, dass ein Konflikt eskaliert.» Das zeige sich darin, dass sich die Mitarbeitenden unkooperativ verhielten oder sich bei Dritten über den «Verursacher» beklagten. Am Ende der Konfliktleiter sei das Klima dann derart vergiftet, dass eine Zusammenarbeit nur noch schwer möglich sei.

Doch wie kommt man aus dieser Anschul­digungs-Flucht-Verteidigungs-Angriffs-Spirale wie­­der hinaus? Dazu identifizierte Rosenberg vier Schritte: Erstens solle man eine Situation beobachten und wertfrei beschreiben und die dabei ausgelösten Gefühle schildern: Ärgere ich mich etwa, bin ich erschrocken oder amüsiert? Danach gelte es, seinem Gegenüber die eigenen Bedürfnisse zu erläutern, die hinter dem Gefühl stehen. Etwa, dass man verärgert sei, weil eine Offerte noch nicht abgeschickt worden sei, man dies aber dem Kunden versprochen habe und es einem wichtig sei, sich zuverlässig zu zeigen. Den Abschluss bilde eine spezifische Bitte wie: Würden Sie diese Offerte bitte heute noch abschicken?

Beobachten, zuhören und repetieren

Das höchste Potenzial der «gewaltfreien Kommunikation» erschliesst sich für Kühl in einem frühen Konfliktstadium, wenn eine Eskalation noch verhindert werden kann. Beispielsweise, wenn im Unternehmen eine «allgemeine Unzufriedenheit zwischen den Mitarbeitenden herrscht und deren Leistungsbereitschaft infolge dieses Konflikts sinkt». Grenzen der Methode ortet er vor allem in Rosenbergs Empfehlung, «zu beobachten und auf Beurteilungen zu verzichten». In seiner Seminarpraxis habe es sich gezeigt, dass eine wertfreie Kommunikation kaum möglich sei. Denn wer in einem Konflikt stecke, werde oft von starken Gefühlen wie Angst, Wut, Frustration oder Enttäuschung überschwemmt.

Ob der Konfliktpartner die vier Schritte von Rosenberg kenne, spiele bei der Konfliktbewältigung keine grosse Rolle, sagt Monica Wälchli, denn «das Verhalten des Gegenübers passt sich automatisch an». Um erste Erfolge in der Konfliktvermeidung zu erzielen, müsse man die «gewaltfreie Kommunikation» nicht weltmeisterlich anwenden können, betonen Kühl und Wälchli. Auch Nichtgeübte erreichten viel, wenn sie nur schon in eigenen Worten wiedergäben, welche Botschaft sie aus der Aussage ihres Gegenübers heraushören oder lesen würden: «Habe ich richtig verstanden, dass ...?» Mit diesem Schritt würden viele Konflikte im Keim erstickt.

Störfaktor Reptilienhirn

Doch schon das alleine stelle viele Menschen vor grosse Herausforderungen, konstatiert Kühl, denn unser Hirn sei darauf getrimmt, alle eingehenden Eindrücke im limbischen System, unserem «Reptilienhirn», zu bewerten und mit Gefühlen zu versehen. Das geschehe automatisch und in Bruchteilen einer Sekunde. «Wir können nicht ‹nicht fühlen› oder ‹nicht bewerten›.» Fühlten sich Menschen in die Ecke getrieben, aggressiv angegangen oder beleidigt, «blasen viele zum Gegenangriff oder ziehen sich mit der Faust im Sack zurück.» Sich in der Hitze des Gefechts zurückzuhalten, ist nicht leicht. Das weiss auch Monica Wälchli. Besonders schwer fällt ihr dies, wenn sie sich empathisch zeigt, obwohl sie selbst Verständnis braucht. Die biologischen Gegebenheiten könnten eine gewisse «Coolness» in emotionalen Situationen zwar erschweren, trotzem liege es «in der Hand eines jeden einzelnen», auf Bewertungen zu verzichten, meint Kühl. Das sei zwar schwierig, aber lernbar. «Üben, üben, üben», lautet folgerichtig auch Monica Wälchlis Erfolgsrezept: «Je öfter ich gewaltfrei kommuniziere, desto bewusster werde ich mir, welche Gewalt den Worten häufig innewohnt.»

Buchtipp

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Wir betrachten unsere Art zu sprechen vielleicht nicht als gewalttätig, dennoch führen Worte oft zu Verletzungen und Leid. «Gewaltfreie Kommunikation» hilft, potenzielle Konflikte in friedliche Gespräche umzuwandeln und Gedankenmuster aufzulösen, die zu Ärger, Depression und Gewalt führen. Das Buch zeigt auf, wie man seine Meinung sagt, ohne Abwehr oder Feindseligkeit zu erzeugen, und aus gewohnheitsmässigen, Reaktionsmuster ausbricht.

Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Junfermann, 2005, 235 Seiten.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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