Im Gespräch

«Das wäre mir zu arrogant»

Dave Ulrich gilt als lebende HR-Legende. Das nach ihm benannte HR-Business-Partner-Modell ist ­weltbekannt. Im Gespräch mit HR Today reflektiert er kritisch dessen Adaption, erklärt, weshalb die Anforderungen an HR-Chefs sich immer mehr mit dem Profil erfolgreicher CEOs decken und dass er weise genug ist, sich über Schweizer ­HR-Menschen kein Urteil anzumassen.

Wie fühlt es sich an, als HR-Legende zu gelten?

Dave Ulrich: Ich bin keine Legende. Wenn von Legenden die Rede ist, heisst das normalerweise, dass man alt ist. Einer der grössten Künstler war Michelangelo. Er war nicht nur ein brillanter Künstler, er lebte auch sehr lange und produzierte viel Kunst. Manche Leute, die in meinem Gebiet tätig sind, entwickeln eine oder zwei Ideen und hören dann irgendwie damit auf. Ich bin schon lange dabei und mag es immer noch, neue Ideen zu kreieren. Wie sich das anfühlt? – Keine Ahnung, ich denke nicht allzu viel darüber nach.

Sehr berühmt und untrennbar mit Ihrem Namen verbunden ist jedenfalls das sogenannte Business-Partner-Modell, als dessen Erfinder Sie gelten.

Ich bin nicht sicher, ob ich das Modell wirklich erfunden habe. Das wäre mir zu arrogant. Ich habe in den 90er-Jahren einfach genau beob­achtet, wie Firmen damals ihre HR-Abteilungen reorganisiert haben. Ich habe einzig in Worte gefasst, was andere getan haben.

Zur Person

Dave Ulrich (62) ist einer der interna­tio-nal einflussreichsten HR-Vordenker und ­Management-Coaches. Das 1997 lancierte und nach ihm benannte «HR-Business-Partner-Modell» kommt heute noch weltweit zum Einsatz. Als Professor an der ­University of Michigan forscht Ulrich in den Bereichen Change Management, ­Leadership, HR und Talentmanagement und gibt sein Wissen auch in der Schweiz ­weiter – so unlängst im Rahmen eines ZfU-Workshops, wo das Gespräch stattfand.

Das Modell ist also nichts anderes als ein Recycling-Produkt?

Statt von «Recycling» spreche ich lieber von «Synthetisieren». Ich habe das Modell 1997 publiziert. Und die Leute haben sich daran bedient, weil es einen neuen Weg eröffnete, über die Organisation einer HR-Abteilung nachzudenken und darüber, wer wem rapportiert. Bei der Definition einer Organisationsstruktur haben Sie grundsätzlich die Wahl zwischen zwei Optionen: Zentralisierung oder Dezentralisierung. Sie können alle Entscheidungen zentralisieren oder in lokale Einheiten delegieren. – Mein Ansatz besteht darin, gleichzeitig beides zu tun.

Seit der Publikation Ihres Modells sind 17 Jahre vergangen, trotzdem gilt es immer noch als einigermassen progressiv, Ihr Modell einzuführen. Kritisieren Sie es manchmal auch?

Die grösste Kritik, die ich an meinem Modell übe, besteht darin, dass es Leute gibt, die meinen, mein Modell an sich sei bereits die Antwort auf alle Fragen, unabhängig davon, wie das Business organisiert ist. Das Ziel sollte jedoch darin bestehen, das HR-Modell auf die Bedürfnisse der Linie abzustimmen.

Sie diagnostizieren also eine gewisse Entfremdung zwischen Linie und HR?

Ja, in gewisser Weise. Im Dezember wurde in der Harvard Business Review ein Artikel über eine Studie veröffentlicht, die auf Assessment-Daten von C-Level-Positionen basiert, die ich gemeinsam mit Ellie Filler von Korn Ferry analysiert habe (sie­he Seite 20 Anm. d. Red.). Die Studie zeigt, dass das Profil erfolgreicher CEOs fast kongruent ist mit dem Anforderungsprofil, das man heute von CHROs erwartet. Mit anderen Worten: Die besten CEOs verfügen heute über die gleichen Skills wie die besten CHROs. Das ist ziemlich interessant.

Können Sie ein paar Beispiele solcher übereinstimmender Skills nennen?

Zum Beispiel die Fähigkeit, Visionen zu formulieren und diese auch durchzusetzen oder die Fähigkeit, mit anderen arbeiten und Teams zusammenstellen zu können. Das sind nur wenige, aber zentrale Beispiele, auf welchem Gebiet erfolgreiche CEOs und HR-Chefs über identische Fähigkeiten verfügen.

Worin erkennen Sie die grössten HR-Trends?

Ich denke, es ist ein guter Trend, dass das Gewicht der rein administrativen Rolle kleiner wird und die Durchlässigkeit zu anderen Querschnittsfunktionen, wie etwa der IT, zunimmt. Grundsätzlich beobachte ich – und die Schweiz fällt wohl in die gleiche Gruppe –, dass die ­HR-Leute generell besser werden. Viele der rechtlich-administrativen Arbeiten werden inzwischen durch die Technologie erledigt. Dafür gibt es heute SAP, Oracle oder viele andere Anbieter. Kurz: Sie haben eine Technologie zur Verfügung – und man kann sich dieser Technologien auch in Polen oder in den Philippinen bedienen.

Wenn Sie die letzten 25 Jahre Ihrer Karriere überblicken: Welche Muster wiederholen sich?

Das dominierende Thema besteht darin, wie man HR-Werte kreieren kann. Dabei geht es nie darum, was wir uns alles ausdenken können, sondern nur darum, was wir zu liefern imstande sind. Mit anderen Worten: Es geht darum, diesen mühseligen Prozess zu definieren, wie HR für eine Organisation Werte kreieren kann. Wie definieren wir Werte? Wie sehen wir Werte? Es dreht sich immer und immer wieder um genau diesen Prozess. Zweitens geht es bei HR nicht nur um Talent. Es geht nicht nur darum, gute Leute anzustellen. Es geht auch darum, erfolgreiches Teamwork zu etablieren. Die letzten 15 Jahre haben wir uns viel zu viel mit Talent beschäftigt. Heute dreht es sich vielmehr um die Frage, wie man Talente in einem Team zusammenarbeiten lassen kann. Das ist eine konstante Herausforderung von HR.

Im Sinne von Leadership-Support?

Genau! Zwischen Talent und Kultur gibt es eine Schnittmenge – und die heis­st: Leadership. Denn Leader sollten Talente und Kultur in Bewegung bringen. Wenn ich heute zu HR-Leuten spreche, dann erwähne ich oft, dass es drei essenzielle Dinge gibt, die HR einer Organisation bringen kann: Das sind Talent, Leadership und Kultur.

Eine Möglichkeit, die Qualität von Leadership zu messen, besteht in der Retention-Quote.

Absolut, die Bindung der guten Leute ist ein hervorragender Indikator für die Qualität guter Führungskräfte. Ein anderer guter Indikator ist, ob die Leute, die für die Führungskraft arbeiten, auch wirklich hinter ihr stehen. Deshalb kann es beispielsweise sehr essenziell sein, wenn eine unübliche Anzahl an Mitarbeitenden wegen einer spezifischen Führungskraft ein Unternehmen verlassen. Das könnte darauf hinweisen, dass die Firma mit der Führungskultur ein Problem hat.

Was sind die besten Voraussetzungen, um eine erfolgreiche HR-Karriere einzuschlagen?

Es ist eine Kombination aus den drei Diszi­plinen Psychologie, Soziologie und Betriebswirtschaft. Wenn Sie aus der Psychologie kommen, beschäftigen Sie sich mehr mit dem Individuum und Sie müssen sich stärker mit dem Business in einer Organisation beschäftigen. Kommen Sie aus der Soziologie, verfügen Sie über Wissen, das den Organisationsaufbau betrifft. Und kommen Sie aus der Business-Ecke, dann kennen Sie sich mit beiden Themenfeldern aus. Ich erachte eine Kombina­tion aus diesen drei Fachgebieten als besonders geeignet für eine HR-Funktion. Wenn ich einen Trend benennen müsste, dann den, dass immer mehr Leute aus der Business-Linie sich erfolgreich für HR-Rollen in Stellung bringen. Das ist ein guter Trend.

Wie sieht es mit Juristen aus?

Persönlich denke ich, dass es sich bei rechtlich-gefärbten HR-Fragen letztlich um nichts ­anderes handelt, als um Psychologie. Insofern sollte sich HR mehr um den Business-Impact der Psychologie kümmern.

Was ist Ihre Botschaft an die HR-Leute?

Erstens: Denkt «outside-in»! Zweitens: Kreiert Werte, aber bedenkt dabei die internen und externen Kunden und liefert Talente, Leadership und Kultur. Drittens: Bereitet euch selbst auf ­diese Zukunft vor!

Was ist eigentlich Ihr Eindruck von Schweizer HR-Menschen?

Ich bin weise genug, keinen Eindruck zu ­haben. (lacht)

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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