Heft 6/2015: Organisationsentwicklung

Die Frau, das unerforschte Wesen

Die Rolle von Frauen bei Veränderungsprozessen in Organisationen wurde bislang wenig erforscht. 
Kaum jemand schien sich dafür zu interessieren, oder die Prozesse schienen zu komplex, als dass 
die weibliche Situation noch gesondert betrachtet werden konnte. Sabine Raeder, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Oslo und Privatdozentin an der ETH Zürich, 
hat sich dem Thema angenommen.

«Frauen in Skandinavien werden im Arbeitsleben gleichberechtigter behandelt und sind auf dem Arbeitsmarkt besser vertreten, da Berufstätigkeit und Familie in Skandinavien leichter verbunden werden können», berichtete kürzlich «Die Zeit» (Nr. 12/2015). Dennoch verdienen Frauen auch in Skandinavien im Durchschnitt weniger als Männer und sind seltener in führenden Positionen anzutreffen. Dies liegt an der Segregation des Arbeitsmarktes in typisch weibliche und männliche Berufe, die in Skandinavien sogar noch ausgeprägter ist als in der Schweiz. Angesichts des Aufwands, den skandinavische Länder bereits in die Gleichstellung investiert haben, stellt sich die Frage, was passieren müsste, um echte Chancengleichheit für Frauen und Männer zu erreichen. Und wie müssten dabei Veränderungsprozesse in Unternehmen ablaufen, damit sie Chancengleichheit fördern oder erhalten?

Trotz weitgehend fehlender Forschung ermöglicht das Thema Segregation einen Zugang zur Rolle und Situation von Frauen in Veränderungsprozessen. Segregation des Arbeitsmarktes bedeutet, dass viele Berufe klar als männlich oder weiblich identifiziert werden können und es in diesen Berufen wenig Durchmischung der Geschlechter gibt. Typische Beispiele sind die Krankenschwester und der Bauarbeiter mit jeweils einer Minderheit von Berufsleuten des anderen Geschlechts. Durch die Segregation des Arbeitsmarktes befinden sich Frauen und Männer in anderen Rollen und Arbeitsaufgaben (horizontale Segregation), die für Frauen jedoch auch oft mit weniger Status und Einflussmöglichkeiten verbunden sind (vertikale Segregation). Die umfassendste Untersuchung zum Thema hat 70 000 amerikanische Unternehmen über einen Zeitraum von 30 Jahren analysiert und identifiziert zwei wesentliche Faktoren dafür, dass die Chancengleichheit von Frauen in Veränderungsprozessen gewahrt oder verbessert wird: erstens der Anteil von Frauen in Führungspositionen und zweitens Wachstum.(1)

Viele Chefinnen, wenig Segregation

In Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil auf der Führungsebene herrscht demnach weniger Segregation unter den Mitarbeitenden. Das bedeutet konkret: vergleichbare Arbeitsaufgaben, Löhne und Karrierechancen für Frauen und Männer. Der deutlichste Effekt zeigt sich gemäss der Untersuchung bei einem ausgewogenen Frauenanteil in Führungspositionen bei einem Wert von knapp über 50 Prozent. Dieser empfohlene Frauenanteil liegt deutlich über dem aktuellen Frauenanteil in Managementpositionen. Dabei entfaltet eine geringere Segregation besonders in Mittel- und Grossunternehmen eine positive Wirkung, da Führungspersonen dort die Unterstützung des HRM in Anspruch nehmen können, um die Chancengleichheit von Mitarbeiterinnen zu fördern.

Neben dem Frauenanteil auf der Führungsebene eröffnen gemäss der erwähnten Studie auch Phasen des wirtschaftlichen Wachstums Chancen für Beschäftigte, die nicht zum engen Kreis der Favorisierten gehören. Davon profitieren namentlich auch Frauen. Favorisiert werden gewöhnlich oft Personen, die zu bestimmten Netzwerken gehören. Das heisst aber nicht, dass andere Personen nicht für eine bestimmte Aufgabe geeignet wären, sondern nur, dass sie nicht Teil eines Kreises von Personen sind, die man kennt oder mit denen man bereits zusammengearbeitet hat. Wachstum bewirkt somit eine Öffnung, bei der ein grösserer Personenkreis beispielsweise für eine Stellenbesetzung oder einen internen Aufstieg in Betracht gezogen wird.

Nur implizit spricht die erwähnte Untersuchung auch an, dass allgemein Prozesse in Organisationen und besonders auch Veränderungsprozesse von einer Mehrheit von Männern gestaltet werden. Hier spielt Segregation insofern eine Rolle, als mehr Männer in Positionen arbeiten, in denen entsprechende Entscheidungen getroffen werden. Dadurch entstehende Strukturen und Prozesse beabsichtigen nicht, Männer zu bevorteilen, aber sie sind auch nicht neutral oder unabhängig vom Geschlecht. Die Sichtweise und Bedürfnisse von Frauen und überwiegend weiblichen Berufsgruppen werden in der Regel zu wenig einbezogen. Berufliche Segregation spricht somit auch Machtverhältnisse an.

Macht sichert Unterstützung

Mehr als die Hälfte von Veränderungsprozessen führt aus verschiedensten Gründen nicht zum erwarteten Erfolg. Die fehlende Unterstützung der Betroffenen im Veränderungsprozess ist hier einer der wesentlichen Faktoren und diese ist nicht unabhängig von der Machtverteilung. Während es für ein Unternehmen darum geht, das Wissen und die Fähigkeiten in der Organisation zu nutzen, um damit den Erfolg eines Wandels und das Erreichen der unternehmerischen Ziele zu fördern, stehen für die Mitarbeitenden individuelle Ziele im Vordergrund. Dazu gehören beispielsweise ein sicherer Arbeitsplatz, interessante Arbeitsinhalte, eine faire Entlöhnung sowie Chancen für Karriere und berufliche Entwicklung. Ein Unternehmen, das sicherstellt, dass Mitarbeitende ihre persönlichen Ziele trotz eines Veränderungsprozesses erreichen können, kann eher auf deren Unterstützung zählen. Vordergründig sind Frauen und Männer hier gleichermassen angesprochen. Doch vor dem Hintergrund der beruflichen Segregation profitieren Frauen stärker von solchen Massnahmen. Zu den viel diskutierten Massnahmen, die Macht implizit ansprechen und die Unterstützung der Mitarbeitenden im Wandel sicherstellen, gehören das Thema Gerechtigkeit und ein angemessener Umgang mit Widerstand oder Resistenz gegenüber Veränderungen.

Der Ruf nach Gerechtigkeit entspricht dabei der Forderung, dass Personen mit Entscheidungsgewalt im Veränderungsprozess diese nicht zur Umsetzung ihrer eigenen Interessen oder der Interessen einer kleinen Gruppe missbrauchen. Gerechtigkeit erfolgt dann, wenn Ergebnisse des Veränderungsprozesses fair verteilt werden. Eine faire Verteilung ist nicht notwendigerweise eine Gleichverteilung, sondern eine Verteilung nach klaren, gegebenenfalls leistungsbezogenen Kriterien. Eine faire Verteilung ist etwa gewahrt, wenn Stellen nach Eignung vergeben werden und verschiedene Anspruchsgruppen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen erhalten. Wichtig sind auch der gerechte Umgang und ein angemessenes Verhalten gegenüber Betroffenen im Veränderungsprozess. Gerechtigkeit steht somit einem Missbrauch von Macht entgegen, weil sie dafür sorgt, dass Mächtigere oder bestimmte Anspruchsgruppen nicht bevorzugt werden.

Resistenz als Fingerzeig

Kritik an Veränderungsprozessen wird schnell als Resistenz oder Widerstand interpretiert. Sie kann aber auch als ablehnende Reaktion auf unangemessene Forderungen berechtigt sein. Ein Grund für Resistenz kann darin liegen, dass im Veränderungsprozess Entscheidungen getroffen werden, die aus Sicht der Betroffenen keine Verbesserung erbringen. Ein Beispiel hierfür ist die Neugestaltung eines Arbeitsschrittes, welche die Sicht und die Erfahrung der Betroffenen zu wenig berücksichtigt und daher zu einem suboptimalen Ergebnis oder zusätzlichem Arbeitsaufwand führt. Es ist also wichtig zu überprüfen, ob Widerstände begründet werden können und ob diese Gründe im Veränderungsprozess allenfalls sogar hilfreich sind und diesen weiterbringen. In diesem Fall ist Resistenz keine negative Reaktion, sondern ein Hinweis auf fehlende Möglichkeiten, Kritik konstruktiv mitzuteilen. Einfacher und zielführender ist es daher, Organisationsentwicklung als partizipativen Prozess zu gestalten, um damit Gerechtigkeit sicherzustellen und Widerstände abzubauen, weil prinzipiell die Möglichkeit besteht, dass auch weniger Mächtige gehört werden.

Fazit

Basierend auf den noch spärlichen Forschungsergebnissen zur Rolle und Situation von Frauen in Veränderungsprozessen kann zusammenfassend Folgendes empfohlen werden:

  • 
Den Frauenanteil in Managementpositionen bewusst zu erhöhen und wenn möglich, dafür Phasen des Wachstums zu nutzen.
  • In Phasen des Wachstums geeigneten Kandidatinnen den Einstieg ins Unternehmen oder den Aufstieg im Unternehmen zu ermöglichen.
  • 
Veränderungsprozesse gerecht ablaufen zu lassen, damit sie zu einer fairen Verteilung und einem fairen Umgang führen.
  • 
Genau zu prüfen, ob Widerstand gegen Veränderung mit einer klaren Benachteiligung oder Bevorzugung bestimmter Gruppen zusammenhängt, ohne für den Veränderungsprozess förderlich zu sein.
  • 
Gerechtigkeit und Resistenz mit einem partizipativen Veränderungsprozess zu begegnen.

Die Berücksichtigung dieser Punkte lohnt sich für Unternehmen, weil damit sichergestellt wird, dass der Veränderungsprozess von allen Beschäftigten mitgetragen wird, zumal diese dafür sorgen, dass der Wandel zum Erfolg führt. Zudem werden im Unternehmen vorhandene Potenziale besser genutzt, um den Wandel auch wirklich zu bewältigen.

  • (1) 
Huffman, M. L., Cohen, P. N., & Pearlman, J. (2010). Engendering change: Organizational dynamics  and workplace gender desegregation, 1975–2005. Administrative Science Quarterly, 55, 255–277.
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Sabine Raeder ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Oslo und Privatdozentin an der ETH Zürich. Sie forscht zu Beschäftigungsbeziehungen, Veränderungsprozessen in Organisationen und Human Resource Management.

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