Heft Nr. 10/2015: HR-Debatte

Duz-Kultur in Unternehmen?

Wenn sich Mitarbeitende und Vorgesetzte duzen, trägt das zu einer wertschätzenden Unternehmenskultur bei, glaubt Eliane Toller. Nicht so Sonja A. Buholzer. Sie befürchtet, dass Mitarbeitende ins Kumpelhafte abgleiten und mit Du-Dekreten vermeidbare Führungsprobleme entstehen.

Eliane Toller

Ich kann mich kaum mehr daran erinnern, wann ich zum letzten Mal in einem Unternehmen gesiezt wurde, in dem ich tätig war. Diese Tatsache allein zeigt schon, dass eine Sie-Kultur veraltet sein muss und wohl nur noch in wenigen Firmen gelebt wird.
Sich in einem Betrieb zu siezen, mag in Zeiten des autoritären Führungsstils durchaus als Instrument benutzt worden sein, um Respekt aufzubauen, Grenzen zu setzen und damit klare Hierarchien und Strukturen zu definieren. Wo Mitarbeitende früher ausschliesslich ausführende Funktionen ohne gestalterischen Spielraum innehatten und ihrer Mitsprache wenig Bedeutung beigemessen wurde, mag die Sie-Kultur durchaus gepasst haben.

Das war auch die Zeit, als Arbeitskräfte beliebig austauschbar und die Angestellten froh waren, wenn sie eine Stelle und damit ein geregeltes Einkommen hatten. Die Zeiten haben sich nun geändert, der Arbeitsmarkt ebenso und damit auch das Selbstbewusstsein der Mitarbeitenden.

Seit die Unternehmen erkannt haben, dass das Human Capital die wichtigste Ressource ist, können sie es sich nicht mehr leisten, mit Mitarbeitenden auf Distanz zu gehen und durch ein unterkühltes Sie Autorität auszustrahlen.

Vielerorts hört und liest man, es sei in beruflich schwierigen Alltagssituationen einfacher, wenn man sich sieze, wie beispielsweise bei Kündigungs- oder Jahresendgesprächen. Mit dem Sie können sich Vorgesetzte verstecken und Distanz schaffen, als sei es die Entscheidung des Unternehmens und nicht ihre eigene. Ist es für Führungskräfte jedoch wirklich erstrebenswert, eine Mauer aufzubauen und eine Distanz und Grenze zu Mitarbeitern zu schaffen?

Wollen wir das wirklich? Sind Kaderangehörige nicht selbstbewusst genug, stark zu führen, mit Mitarbeitenden auf Augenhöhe zu sein, sie zu duzen und trotzdem gewisse unpopuläre Entscheide zu treffen? Betrachtet man die viel skizzierte und oft auch kritisierte Generation Y, welche uns jetzt und in den kommenden Jahren beschäftigen wird, ist klar, dass man auf partnerschaftliche Kooperation setzen muss, und dafür ist das Duzen eine Grundvoraussetzung. Wenn ich Mitarbeitenden von Anfang an das Du anbiete, zeige ich Wertschätzung und schaffe gleich zu Beginn eine Vertrauensbasis. Dadurch entsteht eine raschere und nachhaltigere Mitarbeiterbindung ans Unternehmen.

Wenn Schlagwörter wie «Work-Life-Balance» oder «Selbstverwirklichung» bestimmend sind für die kommende Generation von Mitarbeitenden, dann ist die Sie-Kultur nicht mehr angebracht und veraltet.

Anerkennen wir, dass die «neuen» Mitarbeitenden ein wertschätzendes, berufliches Umfeld suchen, in dem sie sich gleichermassen entwickeln und ausleben dürfen wie im Familien- oder Freundeskreis. Freuen wir uns darauf mit einem «Herzlich willkommen in unserem Unternehmen, schön, dass du bei uns bist.»

 

Sonja A. Buholzer

In internationalen Konzernen mit englischer Kommunikationssprache ist das Du völlig ok und steht in direkter Konstellation zum englischen You und dem Vornamen. Hier ist David eben David und der Umgang mit ihm von einer natürlichen Distanz geprägt, die durch die Sprache gegeben ist. Ganz anders etwa in einem schweizerischen KMU, das im schweizerisch-traditionellen Rahmen funktioniert: Hierarchisch geprägt, nicht selten patronal und ganz und gar traditionell verpackt. Das Du als modernes Instrument eines neuzeitlichen Leitbildes in einem solchen Betrieb zu inthronisieren, wirkt aufgesetzt. 

Künstlich in eine gewachsene und bestehende Firmenkultur eingepflanzt, ist es nie passend. Das Du als Fremdkörper stört vor allem in der deutschen Sprache, die völlig anders konnotiert ist als die englische. Erschwerend kommt hinzu, dass es viel mehr natürliche Autorität braucht, um ein aufgesetztes Du aufzufangen. Zudem beherrschen nur wenige Deutschsprachige den falschen Reflex eines Dus mit dem Vorgesetzten – das Abschweifen zum Kumpelhaften. Wer in einer hierarchisch geprägten Kultur das Du per Dekret einführt, muss überdurchschnittliche Leadership-Autorität haben, empathisch führen und wissen, wann er die Zügel anziehen und wann er sie lockern darf, um nicht in einen Führungsnotstand zu geraten.

Immerhin ein Trostpflaster: Die Du-Kultur ist kein Garant für eine partnerschaftliche Unternehmenskultur: weder für echte Nähe noch die Güte der  Zusammenarbeit. 

Kommt ein Du spontan über die Lippen, besteht bereits eine Nähe zum andern. Der grosse Unterschied zum Du-Dekret: Es basiert auf Natürlichkeit, auf einer bestehenden nahen Beziehung zum andern. Und dies muss meines Erachtens immer auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basieren. Eine weitere erschwerende Nuance zur verschriebenen Du-Kultur aus Frauensicht: Weibliche Autorität, verbunden mit einer Du-Kultur in einem deutschsprachigen hierarchisch geprägten Traditionsbetrieb, ist eine akrobatische Einlage, die nur Hochbegabten gelingt.

Ist die Chefin nämlich erst mal auf der Du-Basis fassbar, neigen Männer sofort dazu, ihr mit kumpelhafter Dienstbeflissenheit unter die Arme zu greifen. Schweizer bekunden sowieso Mühe, mit weiblichen Vorgesetzten umzugehen: Sind sie mit ihr dann auch noch per du, ist die Kunst der natürlichen Distanzhaltung in den meisten Fällen höchst gefährdet. Und die Frau erst recht in Führungsschwierigkeiten. Es liegt wahrlich nicht am Du, ob die Kultur tragfähig, die Kommunikation effizient, das Arbeitsklima innovativ und das Commitment tragfähig ist. Der Erfolg basiert auf der Summe der nachhaltigen Weichenstellungen in die Zukunft. Dieser kann aber durch die fehlgeleitete Sprachlenkung mit einem fahrlässigen Du in Gefahr geraten. Weniger ist mehr. Doch das Wenige sollte passen. Und dies ist oft mutiger als eine scheinbar moderne Sprache, die am Ende nie mehr rückgängig gemacht werden kann.

 

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Eliane Toller ist Inhaberin und Geschäftsführerin der Impulse-Group GmbH, einem 
HR-Dienstleistungsunternehmen, das sich auf Interim Management sowie Executive Search spezialisiert hat.

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Dr. Sonja A. Buholzer gründete 
vor zwanzig Jahren das Unternehmen Vestalia Vision und arbeitet seitdem 
als internationale Beraterin und Executive Coach. Sie ist zudem Autorin mehrerer Bestseller.

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