Echte Reflexionsbereitschaft bringt einen prüfbaren ökonomischen Erfolg
Im Management ist die Bereitschaft, das eigene Handeln und die Entscheidungsfindung zu reflektieren, oft nur teilweise vorhanden. Welche Faktoren aber sind es, die Reflexion ermöglichen? Denn künftig werden Manager immer weniger um das Thema Reflexion herumkommen, da es gerade im Bereich ethischer Fragen laufend an Bedeutung gewinnen wird.
In Ihrem Bestseller «Think Again» zeigen Finkelstein, Whitehead und Campbell auf, wie geschichtsprägende Fehlentscheidungen hätten vermieden werden können, wenn eingefahrene Denkmuster systematisch hinterfragt und reflektiert worden wären. «Think again» deutet darauf hin, dass Reflexion meist im Nachhinein (ex post) stattfindet. Sie kann aber auch antizipierend (ex ante) wertvoll sein (siehe auch Ausgabe 10/2009, S. 41). Für gewisse Personen ist Reflexion zwingend notwendig, für andere «nice to have» und wiederum für andere eher bedrohlich. Die entscheidende Frage lautet daher: Welche Faktoren begünstigen Reflexion und welche dagegen hemmen sie?
Echte Reflexion oder Scheingefecht?
Ich stelle bei Leitungsgremien und Einzelpersonen immer wieder fest, dass es bei Entscheidungsprozessen darum geht, wer was – wie rhetorisch geschickt – gesagt hat. Das Bemühen um das bessere Argument findet nur phasenweise statt – zu stark wirken die gruppendynamischen beziehungsweise psychologischen Kräfte. Die inhaltlich-logische Reflexion rückt erst dann ins Zentrum, wenn die psychologisch-taktischen Manöver ihrerseits subtil und gesichtswahrend reflektiert und dadurch neutralisiert worden sind. Menschen stossen im Dialog aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur oder wegen ihrer kulturellen Prägung aber immer wieder an Grenzen: Man fühlt sich blockiert, sucht die Verantwortlichkeit ausserhalb von sich oder relativiert aufkommende Spannungen. Solche Verhaltensmuster treten in «psychologischen» Settings wie Feedbackrunden, Coachings oder Teamentwicklung häufig auf. Entsprechendes – durchaus menschliches – Schutzverhalten kann vermieden werden, wenn der Prozess bewusst depersonalisiert wird: Der Fokus wird auf den Inhalt beziehungsweise die Kraft des besseren Arguments gerichtet. Dies kommt vielen Menschen entgegen – speziell solchen mit Ingenieur-, ökonomischem oder juristischem Hintergrund; denn die inhaltlich-logische Reflexion eröffnet die Gelegenheit, sich mit seinen kognitiven Stärken einzubringen.
Grosse Fehler = grosser Lerngewinn
Echte Reflexion muss einen überprüfbaren ökonomischen Erfolg erbringen («need to have»). Messkriterium ist bei der Reflexion ex ante, dass das Spektrum der angewandten Prämissen und somit die Qualität der Entscheidung massgeblich verbessert werden konnte. Zum Beispiel hätten die horrenden Verluste im Gefolge der gescheiterten Allfinanzstrategien (etwa bei Credit Suisse / Winterthur Versicherungen oder bei der Allianz) vermieden werden können, wenn man u.a. die signifikanten kulturellen Unterschiede von Bank- und Versicherungswelt entsprechend berücksichtigt hätte.
Bei der Reflexion ex post sind es gezielte Interviews, welche helfen, den Erfolg zu überprüfen: Wie viel hat man tatsächlich aus einem Misserfolg gelernt beziehungsweise wie ist die «rettende» Argumentation beim Zielpublikum angekommen? Aus grossen Fehlern muss auch ein grosser Lerngewinn für die Zukunft entstehen.
Wer die Tagespresse mitverfolgt, stellt fest, dass ethische Themen an Brisanz und Gewicht zunehmen: Fragen nach der persönlichen Glaubwürdigkeit und (ethischen) Mitverantwortung von Entscheidungsträgern in Organisationen werden immer häufiger und lauter gestellt. Die Verantwortlichen sehen sich deshalb gezwungen, Entscheide sorgfältig und möglichst unangreifbar zu treffen, was komplexe Güterabwägungen bedingt. Dabei drängt sich Reflexion als Methode geradezu auf. Wenn die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht, ist die Bereitschaft zur Reflexion grösser. Der Leidensdruck – nicht nur im Sinne der verschärften rechtlichen Verantwortlichkeit – hat bereits zugenommen.
Einfluss des HRM ist entscheidend
In Gremien, deren Diversität eher klein ist oder wo einzelne Mitglieder (noch) von ihrer Anstellung wirtschaftlich abhängig sind, ist Reflexion ein Muss. Es ist dann besonders wichtig, die Bereitschaft dafür abzuholen und gesichtswahrend vorzugehen. Es hat sich auch gezeigt, dass inhaltliche Reflexion das Bedürfnis nach psychologisch ausgerichteten Verfahren wie Feedback, Coaching oder Teamentwicklung erst richtig geweckt hat.
Die Bereitschaft zur Reflexion ist dann am grössten, wenn sie depersonalisiert, im Bemühen um das bessere Argument und mit überprüfbarem Erfolg erfolgt. Gelingt dies, dann ist Reflexion ein kurzfristig einsetzbarer Beitrag mit langfristiger Wirkung. HR-Verantwortliche bestimmen mit, welche Qualität von Reflexion in ihrer Organisation stattfindet. Bei der an Bedeutung zunehmenden ethischen Reflexion kommt ihnen ebenfalls eine Schlüsselrolle zu.
Literatur:
- Finkelstein, S./Whitehead, J. /Campbell, A: Think Again, Harvard Business Press, 2008.
- S. E. Toulmin: An Introduction to Reasoning, Prentice Hall, 1984.